Südsudan:Die nächste Stunde null

Südsudan: Sie waren Feinde, nun wollen sie es gemeinsam versuchen: Südsudans Präsident Salva Kir (rechts) und Oppositionsführer Riek Machar.

Sie waren Feinde, nun wollen sie es gemeinsam versuchen: Südsudans Präsident Salva Kir (rechts) und Oppositionsführer Riek Machar.

(Foto: Majak Kuany/AFP)

Ein Abkommen soll dem Land endlich Frieden bescheren. Bisher ist die Abhängigkeit von Hilfsorganisationen immens.

Von Bernd Dörries, Aweil

Thuch Aguot sagt, diese neue Erfindung sei wirklich eine Sensation, die alles verändere. Aguot steht auf einem kargen Stück Erde im Südsudan und schnallt seine beiden Ochsen vor einen Pflug, mit dem die beiden Tiere nun den trockenen und harten Boden aufreißen sollen. Die Tiere rennen nach rechts und links, es staubt ein wenig, und als der Staub sich verzogen hat, sind ein paar Furchen zusehen. "Früher musste ich mit einem Pickel auf dem Boden knien und die Erde aufhacken, das war schrecklich", sagt Aguot und lacht begeistert. Als ob er gerade Zeuge einer weltweiten Revolution geworden sei.

In Europa wurden Überreste von Pflügen gefunden, die aus dem fünften Jahrhundert vor Christus datieren, in weiten Teilen des Südsudan ist der Ochsenpflug derzeit unbekannt. Und in jenen Regionen des Landes, in dem er schon einmal benutzt wurde, scheint er vergessen zu sein. Aus dem historischen Gedächtnis gestrichen, durch Krieg und Vertreibung.

Es ist nicht der erste Friedensplan. Aber vielleicht die letzte Chance für das Land

Der Südsudan ist das jüngste Land der Welt, 2011 wurde es vom Rest des Sudan unabhängig und versank zwei Jahre später schon wieder im Bürgerkrieg, in dem es einfach darum geht, wer das größte Stück vom Kuchen abbekommt. Verschiedene Volksgruppen kämpfen um die Vorherrschaft, um die Millioneneinnahmen aus dem Öl und die Posten in Regierung und Armee. Hunderttausende Menschen starben, vier Millionen sind auf der Flucht, gerade verhandeln die Führer mal wieder darüber, ob es einen nachhaltigen Frieden geben kann. Am Dienstag sagten die Rivalen, es habe eine Einigung gegeben, bis Mitte Februar wollen sie eine Einheitsregierung bilden. Es ist nicht der erste Friedensplan. Aber vielleicht die letzte Chance für ein Land, das ohnehin bei null anfangen muss. In dem der Ochsenpflug ein technologischer Quantensprung ist.

"Wenn endlich Frieden kommt, will ich meine Farm vergrößern, damit meine Familie nicht mehr hungern muss", sagt Aguot. Er hat sieben Kinder und eine Frau, was eher die Ausnahme ist in einem Land, in dem die Polygamie zu einem rasanten Bevölkerungswachstum führt und das Elend noch vergrößert. Fünf Kühe hatte Aguot, zwei musste er verkaufen, damit seine Kinder zu essen haben. Etwa fünf der 13 Millionen Südsudanesen gelten als "Food insecure", also als Menschen, deren Ernährung nicht gesichert ist. Hier oben in der Region Northern Bahr al-Ghazal bekommt die Hälfte der Bevölkerung Lebensmittelhilfe, die fast nie vom Staat kommt und fast immer von internationalen Organisationen.

Eine üble Piste führt gerade wie eine Schnur von der Provinzstadt Aweil in Richtung Norden, trotzdem fahren die Autos in Schlangenlinien, so tief sind die Schlaglöcher. Es sind fast ausschließlich weiße Toyota Land Cruiser der Hilfsorganisationen. Sie zeigen den Menschen, was ein Ochsenpflug ist, wie man Getreide in Säcken aufbewahrt und eine Straße baut. Der Südsudan wirkt manchmal wie ein kleines Kind, das die ersten Schritte lernen muss.

Ahok Pioth Deng ist mit der Sonne aufgestanden, hat ein paar Schlucke Wasser getrunken und steht nun seit drei Stunden mit einer Spitzhacke in der glühenden Sonne. Sie lockert den Boden, holt immer wieder aus und lässt das Gerät zu Boden sausen. "Vor zwei Wochen haben wir mit dem Bau dieses Weges angefangen, in einem Monat wollen wir fertig sein", sagt sie. Jeden Tag kommt sie hierher, um diese kleine Straße zu bauen, auf der sie und die anderen einmal mit dem Fahrrad in ihr Dorf fahren können sollen. Wozu neben der Fertigstellung des Weges aber auch noch die Fahrräder fehlen.

"Wir hoffen, einmal unsere Waren aus dem Dorf zum Markt bringen und dort verkaufen zu können", sagt Ahok Pioth. Bisher gibt es auf den Märkten so gut wie nichts zu kaufen, weil die Bauern der Region das Gemüse und Getreide nicht in die Zentren bringen können. Obst und Gemüse stammt oft aus den Nachbarländern wie Uganda. Dabei könnte der Südsudan genug Essen für alle produzieren, das Land ist fruchtbar, oft gibt es eher zu viel Wasser als zu wenig.

4163 Meter lang wird die kleine Straße, so hat es die Welthungerhilfe berechnet, die das Projekt betreibt. Genau für 23 Meter davon ist Pioth zuständig, dort lockert sie die Erde mit der Spitzhacke und schüttet dann ein Bett auf, das schließlich fest geklopft wird. Für 15 Meter bekommt sie den Lohn in Bargeld, für acht weitere in Form von Gutscheinen, die sie gegen Samen eintauschen kann. Es ist ein schmaler Grat, einer vom Krieg traumatisierten Bevölkerung die elementaren Dinge des Lebens beizubringen. Und sie dabei nicht wie kleine Kinder zu behandeln.

Groß war die Begeisterung, als der Südsudan 2011 unabhängig wurde. Jahrzehnte hatten die mehrheitlich christlichen Menschen im Süden für die Loslösung vom muslimisch-arabischen Norden gekämpft. Es schien ein gerechter Kampf zu sein gegen ein Regime, das Reitermilizen schickte, die Männer und Frauen als Sklaven einfingen. Oder gleich vergewaltigten und töteten.

Nach dem Frieden mit dem Norden zogen die nun unabhängigen Südsudanesen gegeneinander in den Krieg. Vor allem die Völker der Nuer und Dinka kämpfen verbittert um die Macht im Staat. Der nur als Hülle existiert, als Versorgungswerk für die Kämpfer, die jahrzehntelang im Busch waren und oft nicht einmal lesen können. Jeder bedient sich, so gut es geht. Für manche gab es eine Villa in Kenia. Für andere zumindest einen Posten in der Provinz.

Die internationale Gemeinschaft sorgt für Nahrung, Medizin, die grundlegenden Dinge des Lebens

George Awad ist der Gouverneur des Bundesstaates Aweil und sitzt in einem engen und dunklen Büro der Provinzhauptstadt. Er ist ein Mann, der nicht viele Worte verliert, der aber eine Klingel hat auf seinem Schreibtisch, mit der er seine Angestellte hereinruft, um ein paar Flaschen Wasser bringen zu lassen oder das Mittagessen. Heute wünscht sich der Gouverneur mehr Hilfe aus dem Ausland. Einer seiner Mitarbeiter trägt vor, woran es dem neuen Staat fehlt. Dann steigt er in seinen Dienstwagen, der ebenfalls von der internationalen Gemeinschaft gespendet wurde. "Die internationale Gemeinschaft stellt die Nahrung bereit, die Medizin, letztlich alle grundlegenden Dinge des Lebens, für die eine Regierung verantwortlich ist. Die aber lehnt sich einfach zurück", so hat es Tibor Nagy kürzlich formuliert, der für Afrika zuständige stellvertretende US-Außenminister. Für ihn und andere hält die internationale Hilfe ein Regime am Leben, das den Menschen das Leben zur Hölle macht. Hunderte Millionen, wenn nicht Milliarden, hat die kleine und korrupte Elite außer Landes gebracht. Bei seiner Unabhängigkeit hatte der Südsudan zehn Bundesstaaten, mittlerweile sind es 32. Einfach deshalb, damit es mehr Posten gibt, die man verteilen kann. Trotzdem überweisen Europa und die USA weiter Geld. Aber was ist die Alternative? Alle Hilfe einstellen?

"Wenn die internationalen Organisationen gehen, ist einfach niemand mehr da", sagt Bucay Deng, die stellvertretende Landesdirektorin der Welthungerhilfe im Südsudan. Sie ist selbst einst vor dem Krieg geflohen und dann voller Hoffnung zurückgekommen. In ein Land, das wieder bei null anfangen muss. "Der Krieg und die Vertreibungen haben so viele Menschen von ihren Traditionen abgeschnitten. Sie wissen nicht mehr, wie man ein Feld bestellt, wie man fischt oder Eisen schmiedet." Die Regierung macht keine großen Anstalten, es ihnen beizubringen. Also erfüllen Hilfsorganisationen die Aufgaben, die der Staat übernehmen sollte. Nicht in jedem Fall wird die Hilfe sofort angenommen. Manche Bauern sagen, der Ochsenpflug sei eher nichts für ihre Tiere. Andere sehen keinen Sinn darin, ihre Felder zu vergrößern. "Man investiert nicht, wenn man sich nicht sicher fühlt. Viele glauben, sie haben keine Zukunft, also planen sie gar nicht dafür", sagt Bucay Deng.

Mit dem neuen Friedensabkommen soll es nun wieder eine Zukunft geben für die geschundenen Menschen im Südsudan. Der Bauer Thuch Aguot möchte so schnell wie möglich seine Felder erweitern und mit dem Ochsenpflug pflügen, der für ihn eine großartige Erfindung ist.

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