Südostasien:Die fernen Kämpfer des Kalifen

Jakarta

Der IS findet in der Region immer mehr Anhänger. Vier Milizen haben sich eben seinem Kommando unterstellt.

Von Arne Perras

Es ist erst wenige Tage her, da stürmte ein 16-jähriger Malaysier im Alleingang einen Supermarkt. Er packte eine ahnungslose Frau und hielt ihr eine Messerklinge an den Hals. Der Teenager aus der Region Kedah trug ein Outfit mit der Aufschrift des sogenannten Islamischen Staates. Sicherheitskräfte konnten den Jugendlichen überwältigen, die Frau kam mit dem Leben davon. Angeblich wollte er beweisen, dass auch er jetzt zum IS gehöre, dass er ausführen könne, was immer die Terrormiliz von ihm verlange. Es klang wie die gruselige Ankündigung noch größeren Unheils, zumindest sah es so der malaysische Polizeichef Khalid Abu Bakar: "Die Leute sollten wissen, dass die Bedrohung unmittelbar ist." Drei Tage vergingen, bis der IS dann einige Hundert Kilometer weiter südlich, in Jakarta, zuschlug.

Asiens Terrorfahnder stoßen immer häufiger auf junge Menschen, die sich der Gehirnwäsche durch IS-Propaganda unterzogen haben. In der stark vernetzten Welt findet die Terrormiliz mit ihren Videos überall Anhänger. Auch die ökonomisch aufstrebende Region Südostasien ist dagegen nicht immun. Im Gegenteil: Die Regierungen Malaysias und Indonesiens, beides Staaten mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung, wissen sehr genau, dass ihre Länder Rekrutierungspotenzial für Islamisten bieten, obgleich moderate und tolerante Ausprägungen des Islam dort viel verbreiteter sind als etwa in der arabischen Welt oder in Pakistan. Durchgesickerte Polizeipapiere aus Malaysia enthielten Ende 2015 die Einschätzung, der IS versuche, Selbstmordattentäter aus dem Nahen Osten verstärkt nach Kuala Lumpur und nach Sabah auf Borneo einzuschleusen. Zuvor hatten malaysische Sicherheitskräfte in den vergangenen Monaten etwa 80 IS-Verdächtige verhaftet, einige von ihnen sollen geplant haben, Nachtklubs und eine Brauerei in die Luft zu sprengen.

In den Gewässern zwischen Borneo und Mindanao ziehen sich die Extremisten zurück

Zahlreiche Anhänger des IS kehren inzwischen aus den Kampfgebieten im Nahen Osten zurück. Sie werden, wenn man sie denn als IS-Mitglieder identifizieren kann, häufig eingesperrt, vor allem in Malaysia. Das allerdings ist keine ausreichende Antwort, wie Experten betonten. IS-Sympathisanten, die aus Südostasien nach Syrien oder in den Irak auswandern, tun dies häufig in Begleitung ihrer Frauen und Kinder. Nicht selten sind es Menschen, die hoffen, im Kalifat ein ganz neues Leben beginnen zu können. Von den geschätzten 500 Indonesiern, die den IS im Nahen Osten verstärken sollten, kehrten bereits etwa 200 zurück. Fast zwei Drittel davon sind, wie die Terrorexpertin Sidney Jones in der Straits Times berichtete, Frauen und Kinder. Es ist schwierig, die richtige Strategie im Umgang mit diesen Gruppen zu finden. Schreckt man sie ab, suchen sie nach Rückzugsräumen und tauchen unter. Zum Beispiel im Süden der Philippinen, wo alte Bekannte der Terrorszene ihre Claims abgesteckt haben. Dort hat sich Abu Sayyaf festgesetzt, eine Gruppe, die klassische Verbrechen mit Terror vereint. Sie setzt auf Entführungen und das Erpressen von Lösegeld, auch Deutsche gerieten früher schon in ihre Gewalt.

Analysten werten derzeit Hinweise aus, die nahelegen, dass der IS in Südostasien bald eine eigene Provinz ausrufen könnte, als östliche Außenstelle des Kalifats. Angeblich spielt eine Splittergruppe von Abu Sayyaf dabei eine Schlüsselrolle. Ihr Anführer heißt Isnilon Hapilon, die Amerikaner haben auf ihn ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar ausgesetzt. Er kommandiert die Abu-Sayyaf-Miliz auf der Insel Basilan im Sulu-Archipel, mitten in den entlegenen Gewässern zwischen Borneo und dem philippinischen Mindanao. Hapilon ist der einzige noch lebende Kommandeur eine Gruppe, die im Jahr 2000 ein Tauchressort auf der Insel Sipadan überfiel und 21 Geiseln nahm, zu denen auch die Göttinger Familie Wallert gehörte.

Womöglich rufen die Dschihadisten eine eigene Provinz der Terrormiliz aus

In dem Gebiet zwischen den Inseln Mindanao und Borneo bilden separatistische Kräfte, korrupte Soldaten, kriminelle Banden und islamistische Extremisten einen gefährlichen Mix, der den philippinischen Staat schon lange überfordert. In einem Video, das Anfang des Jahres im Netz erschien, erklärten vier Milizenführer der Region ihren Zusammenschluss und schworen dem IS-Führer und selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Bagdhadi Gefolgschaft. "Der IS ist entschlossen, zumindest eine Provinz im Jahr 2016 auszurufen", sagt Rohan Gunaratna, Sicherheitsexperte von der Rajaratnam School of International Studies (RSIS) in Singapur. "Der Aufbau von Trainingscamps wird nicht nur Südostasiaten anziehen, sondern auch Leute anderer Nationen, die nicht so leicht nach Syrien gelangen können", befürchtet der Analyst. Etwa radikalisierte Australier oder Extremisten aus dem Kreis chinesischer Uiguren. Gelingt es dem IS, einen Brückenkopf in Basilan aufzubauen, könnte er dazu dienen, weitere Terrorangriffe in Malaysia und Indonesien vorzubereiten. Die geografischen Verhältnisse spielen den Extremisten in die Hände. Sowohl von Indonesien als auch von Malaysia aus ist die Sulu-See mit Booten zu erreichen, Küstenwache und Marineschiffe können den Austausch über den Ozean kaum lückenlos überwachen.

Die philippinische Armee, die seit Jahrzehnten gegen Rebellengruppen im Süden ihres Staates kämpft und mit manchen inzwischen einen Frieden ausgehandelt hat, widersprach zuletzt der Einschätzung, dass Abu Sayyaf und der IS gemeinsame Sache machten. "Es gibt keine glaubwürdige, verifizierte und direkte Verbindung", sagte Militärsprecher Restituto Padilla mit Blick auf den befürchteten Zusammenschluss von IS und Abu Sayyaf. Eine Quelle des philippinischen Geheimdienstes erklärte: "Was wir im Süden sehen, sind reine Kriminelle, die sich hinter IS-Masken verbergen, um ihre Prominenz zu steigern und höheres Lösegeld zu erpressen." Diejenigen, die dort eine islamistische Agenda verfolgten, würden immer noch eher nach Syrien reisen statt zu Hause eine IS-Außenstelle aufzubauen, hieß es.

Die Einschätzungen unterschieden sich also deutlich. Dennoch werden nun Stimmen laut, die fordern, dass die philippinische Armee ihre Kontrolle in der Sulu-See ausweiten müsse, damit es dem IS nicht gelinge, sich dort festzusetzen und vielleicht doch bald eine eigene Provinz aufzubauen.

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