Südost-Europa:Im Wartesaal des Westens

Serbien, Bosnien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro: Die Balkanstaaten geraten in ein gefährliches Vakuum, das immer häufiger von Russland ausgenutzt wird. Aber die EU sollte sich nicht beschweren. Sie selbst hat durch ihre Schwäche viele Hoffnungen enttäuscht.

Von Nadia Pantel

Das kleine Montenegro hat nun auch seinen Beitrag zum Ach-Herrje-Jahr geleistet. Schon nach der Wahl im Oktober hatte der mächtigste Mann des Landes, Milo Dukanovic, behauptet, Russland plane, ihn mit Gewalt zu entmachten. Zunächst galt dieses Putsch-Gerede als Fantasie eines Machtstrategen. Inzwischen mehren sich die Indizien, dass tatsächlich von Moskau aus ein Attentat auf Dukanovic geplant worden sein könnte. Internationale Medien berichten über Festnahmen von vermuteten russischen Spionen in Montenegro und Serbien.

Man könnte nun vor dem wachsenden Einfluss Russlands auf dem Balkan warnen. Oder man könnte sich verdeutlichen, dass die Muskelspiele in den ehemals jugoslawischen Ländern Symptom einer tiefer liegenden Krise sind, die erst Spielräume für den russischen Einfluss eröffnen.

Russland nutzt auf dem Balkan ein von der EU kreiertes Vakuum

Gäbe es Jugoslawien noch, würde in dieser Woche der "Tag der Republik" gefeiert. Heute sind von der einen großen Republik nur noch viele kleine übrig. Kroatien und Slowenien haben es in die EU geschafft, doch Serbien, Bosnien, Kosovo, Mazedonien und Montenegro stehen sich im Wartesaal der Osterweiterung die Beine in den Bauch. Es stimmt, dass die EU aktuell zu mürbe ist, um neue Mitglieder aufzunehmen. Doch es stimmt auch, dass der Hinhaltezustand auf dem Balkan ein gefährliches Vakuum entstehen ließ.

Hinter dem Etikett der westorientierten Reformer verbergen sich meist dynastisch denkende Männer, die den Demokratien ihrer Heimatländer mehr schaden als nützen. Aleksandar Vucic in Belgrad, Milorad Dodik in der Republika Srpska, Nikola Gruevski in Skopje, Dukanovic in Podgorica: All diese Politiker galten oder gelten im Westen als Anker der Stabilität. Nur hat diese Stabilität die Macht einer Minderheit zementiert. Die Arbeitslosigkeit steigt, junge Menschen verlassen den Balkan zu Hunderttausenden, die freie Presse wird gegängelt, immer weniger Bürger gehen wählen, und wer auf Veränderung hofft, wird gewarnt. Es könnte schließlich noch schlimmer kommen, immerhin sei nicht Krieg.

Diese Regierungen sind stark, wenn es darum geht, das eigene Netzwerk zu belohnen. Aber sie sind schwach, wenn es darum geht, ihre Bürger zu schützen. In Montenegro gefährden die Bandenkriege der Drogenhändler das bisschen Tourismus. In Bosnien entkernen Salafisten das friedliche Zusammenleben von Muslimen und Christen. In Mazedonien vegetieren die Roma in Slums ohne Anschluss ans Stromnetz. Vor diesem Hintergrund bleibt für die Mehrheit der Bürger die Europäische Union, nicht Russland, ein Sehnsuchtsort. Dort ist die Wahrscheinlichkeit größer, in Frieden und Wohlstand zu leben. Und im Gegensatz zu Russland investiert die Europäische Union auf dem Balkan in Straßenbau, Industrie und Bildungsprojekte. Die Bürger wissen und würdigen das.

Ja, die russische Balkan-Propaganda muss genau beobachtet werden. Aber ebenso genau muss die EU sich selbst beobachten und darauf achten, dass sie die Hoffnungen der Bürger des ehemaligen Jugoslawiens nicht verhöhnt.

Gerade trat Österreichs Außenminister Sebastian Kurz bei einer Kundgebung in Skopje ans Rednerpult. Eingeladen hatte ihn jene Partei, die Mazedonien seit zehn Jahren regiert und die seit über einem Jahr die Massenproteste der Bevölkerung mal ignoriert, mal niederprügeln lässt. Menschenrechtler und Opposition beklagen Korruption, Geldverschwendung und Wahlfälschung. Außenminister Kurz lobte, dass die Regierung das Land auf sicherem EU-Kurs halte und außerdem die Schließung der Balkanroute ermöglicht habe. Für diejenigen Bewohner des Balkans, die glauben, dass Demokratie auch in ihren Ländern möglich sein sollte, sind solche Auftritte niederschmetternd.

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