Staatskrise in Südkorea:Eine Wand aus rechtem Ungehorsam

Lesezeit: 3 Min.

Polizisten entfernen eine Anhängerin von Yoon Suk-yeol vor dessen Residenz in Seoul. (Foto: Chung Sung-Jun/Getty)

Auch am Freitag gebärden sich Anhänger und Beschützer des suspendierten Präsidenten als Protestmacht in Seoul. Nach Yoons gescheiterter Verhaftung muss sich Südkorea fragen: Wie umgehen mit einem Machtmenschen, der sich dem Rechtsstaat widersetzt?

Von Thomas Hahn, Tokio

Vom nächsten Versuch, Südkoreas suspendierten Präsidenten Yoon Suk-yeol zu verhaften, blieb am Ende nicht viel mehr übrig als eine resignative Note. „Wir bedauern zutiefst das Verhalten des Verdächtigen, der sich geweigert hat, die gesetzlich festgelegten Verfahren einzuhalten“, sagte das nationale Amt für Korruptionsermittlungen (CIO) am Freitag in einer Pressemitteilung. Davor hatte es ein Ermittlungsteam aus Mitgliedern des CIO, der Polizei und des Verteidigungsministeriums wieder nicht geschafft, den Haftbefehl gegen Yoon zu vollziehen. Diesen hatte ein Seouler Gericht am Dienstag auf CIO-Antrag erlassen, um Yoon nach drei vergeblichen Vorladungen endlich zur Befragung über seine Kriegsrechtserklärung vom 3. Dezember zu bringen.

Tags zuvor hatte sich die Polizei zurückgezogen, weil sich vor der Präsidentenresidenz im Seouler Bezirk Yongsan Tausende Pro-Yoon-Demonstranten eingefunden hatten. Sie wollte einen Tumult vermeiden. Am Freitag blockierten laut CIO Soldaten, die auf dem Residenzgelände stationiert sind, Kräfte des präsidialen Sicherheitsdienstes PSS und etwa ein Dutzend Fahrzeuge den Weg zur Residenz. Als die Ermittler den Haftbefehl präsentierten, verweigerte PSS-Chef Park Chong-jun den Zutritt, weil es Beschränkungen auf gesichertem Gelände zu beachten gebe. Nach mehreren Stunden zog sich das Ermittlungsteam zurück. „Aus Sorge um die Sicherheit des Personals wegen des Widerstands“, wie es in der CIO-Mitteilung heißt.

Yoon wähnt sich im Kampf gegen „staatsfeindliche Kräfte“

Wie verfährt man mit einem Machtmenschen, der sich den Behörden widersetzt? Yoons Angriff auf die politische Konstellation der demokratisch regierten Nation mit einer starken Opposition und einer schwachen Regierungspartei PPP im Parlament begann mit besagter Kriegsrechtserklärung am 3. Dezember. Alle konnten live im Fernsehen verfolgen, wie Soldaten in jener Nacht das Parlament bedrohten, ehe 190 Abgeordnete die Kriegsrechtserklärung einstimmig abschmetterten. Schnell folgten die Ermittlungen der Behörden gegen Yoon wegen des Verdachts des Aufstands und Machtmissbrauchs. Mit etwas Verzögerung wurde er per Zweidrittelmehrheit im Parlament als Präsident suspendiert. Über die endgültige Amtsenthebung entscheidet das Verfassungsgericht.

Anhänger des suspendierten Präsidenten Yoon Suk-yeol demonstrieren vor dessen Residenz in Seoul. (Foto: PHILIP FONG/AFP)

Aber jetzt, da das Strafrechtsverfahren gegen ihn seinen Lauf nehmen soll, stellt sich heraus, dass der Ex-Staatsanwalt Yoon anscheinend auch den Rechtsstaat unterwandern will.

Anders ist kaum zu erklären, dass Yoon sich den Ermittlungen verweigert. Dass seine Anwälte den Haftbefehl für illegal erklären und Yoon in Flugblättern und anderen Veröffentlichungen seinen rechten Anhängern zuruft, er werde „bis zum Ende kämpfen, um dieses Land zu schützen“. Seine Fans glauben fest daran, dass nicht er Südkoreas Demokratie und Ordnung gefährdet, sondern die Opposition, angeführt von der liberalen Demokratischen Partei (DP), die bei der jüngsten Parlamentswahl im April 2024 große Gewinne gegen Yoons konservative PPP verzeichnete.

Yoon wähnt sich im Kampf gegen „staatsfeindliche Kräfte“. Seine Anwälte unterstützen ihn dabei – entweder weil sie Yoon glauben oder von ihm bezahlt werden. Und im politisch tief gespaltenen Südkorea hat ein Verschwörungstheoretiker wie Yoon genügend Anhänger, um Tausende Demonstranten zusammenzubringen.

Die Vorgänge um Yoon scheinen Südkoreas rechte Kreise animiert zu haben

Gegen diese Wand aus rechtem Ungehorsam haben es Südkoreas Behörden schwer. Sie wollen Aufstände vermeiden, Schuldfragen mit der Kraft der Gesetze klären und die Krise nach den ordentlichen Verfahren des Rechtsstaats aufarbeiten. Aber was tun, wenn ein Anführer sich diesem Rechtsstaat einfach verweigert und damit eine Menge anstachelt, die sich mit einem solchen vermeintlich starken Mann identifizieren kann?

Ein Vertreter des Ermittlungsteams erklärte am Freitag nach der gescheiterten Verhaftung, dass dem PSS-Chef Park eine Anzeige wegen Behinderung der Justiz drohe: „Wir haben dem Chef und dem stellvertretenden Chef des PSS gesagt, dass sie bis Samstag wegen Behinderung der Justiz vor Gericht erscheinen sollen“, sagte er. Aber wer weiß, ob sie kommen werden – oder dem Beispiel des suspendierten Präsidenten folgen, der sich anscheinend in der Residenz und seiner eigenen Gedankenwelt verschanzt hat.

Gemütlich ist die Lage im Tigerstaat jedenfalls nicht. Yoons Suspendierung, seine Botschaften und zuletzt der Haftbefehl scheinen Südkoreas rechte Kreise animiert zu haben. Schon vorher demonstrierten sie regelmäßig in Seouls Innenstadt. Sie schwenken amerikanische und südkoreanische Fahnen und schwelgen in einseitigen Fantasien. Jetzt sind die Straßen vor der Präsidenten-Residenz ihr wichtigstes Einsatzgebiet. Wie die Korea Times berichtete, besetzten rechte Demonstranten schon am Freitagmorgen einige Hundert Meter der vierspurigen Straße vor der Residenz. Parolen wie „Schützt Yoon Suk-yeol!“ oder „Annulliert die Amtsenthebung“ waren zu hören. 11 000 Yoon-Anhänger sollen zusammengekommen sein. 2700 Polizisten waren da, um Ausschreitungen zu verhindern.

Es sind unruhige Zeiten in Südkorea. Und es ist nicht abzusehen, wann sie wieder ruhiger werden.

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