Süddeutsche Zeitung

Südkorea:Jugend ohne Handy

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In Südkorea dürfen die Lehrer künftig den Schülern das Mobiltelefon wegnehmen. Der neue Regelkatalog erscheint manchen unerhört, könnte aber vielleicht sogar das Leben mancher Lehrer retten.

Von Thomas Hahn, Tokio

Es kommen schwere Zeiten zu auf Kinder und Jugendliche, die an Südkoreas Schulen den Unterricht stören wollen. Schon bald drohen ihnen Strafen, die aus ihrer Sicht in Richtung Zwangsamputation gehen. Ihre Smartphones werden zum Angriffspunkt für Lehrerinnen und Lehrer im Kampf um mehr Aufmerksamkeit. Bisher ging das nicht im Tigerstaat, weil es keine Regel gab, die Lehrkräften erlaubte, solche Geräte im Notfall einzuziehen. Wenn sie das versuchten, riskierten sie Beschwerden der Eltern, weil zur Entfaltung des Kindes natürlich ein allzeit bereites Mobiltelefon gehört.

Das ändert sich am 1. September. Was anderswo - etwa in Deutschland - gängig ist, macht Südkoreas Bildungsministerium jetzt auch möglich. Für die Frechen unter den Schülern der Online-Nation muss das ein Schock sein.

Von dieser Generation heißt es, ein Leben ohne Smartphone sei für viele von ihnen keines. Es ist so sehr zum digitalen Fortsatz ihrer Existenz geworden, dass man sich fragt, warum diese Multimedia-Fotoapparate überhaupt noch das Wort "Telefon" in der Bezeichnung tragen. Und weil superschnelles Internet in Südkorea mehr Tradition hat als in anderen Ländern, ist die Bindung zur tragbaren Datenschleuder hier besonders stark. Der Handy-Entzug dürfte also eine abschreckende Kraft entfalten. Außerdem hat die Regierung weitere Regeln erlassen, um die Rechte der Lehrer zu stärken. Zum Beispiel dürfen diese künftig "Schüler körperlich zurückhalten und störende Schüler trennen". Ressortchef Lee Ju-ho verspricht sich von den Ansagen "eine neue Gelegenheit, die Ordnung im Klassenzimmer wiederherzustellen".

Das ist wohl auch nötig. Zuletzt gab es hitzige Proteste von Lehrkräften und solchen, die es werden wollen, über die Zustände an Südkoreas Schulen. Sie klagten über Gewalt und Schikane durch Schüler und Eltern. Auslöser war im Juli der Suizid einer jungen Grundschullehrerin im schicken Seouler Bezirk Seocho. Es war nicht der erste im Land. Laut Behörden nahmen sich in den vergangenen sechs Jahren 100 Lehrkräfte das Leben.

Die Krise hat mit einer Entwicklung zu tun, die eigentlich sehr gut war. 2010 setzte die Provinz Gyeonggi einen Trend mit einer "Verordnung über die Rechte der Schüler", die Prügelstrafen verbot und Rücksicht auf die Persönlichkeit jedes Kindes vorschrieb. Sieben regionale Bildungsbehörden folgten, unter anderem die der Hauptstadt Seoul. Aber man bedachte wohl zu wenig, dass Rücksicht nicht gar keine Strenge bedeuten kann. Die Folge: Lehrer wurden schon wegen Kindesmissbrauchs angezeigt, weil sie eine Schulhof-Prügelei beendet oder störende Schüler ermahnt hatten. Das sagen zumindest viele Lehrer-Gewerkschaften. Die neuen Regeln sind eine Reaktion auf deren Kritik.

Südkoreas Jugend hat es nicht leicht. Viele Eltern wollen die bestmögliche Karriere für ihre Kinder und schicken sie neben der staatlichen Schule auf private Akademien. Wer gestresst ist, benimmt sich nicht immer richtig. Weniger Druck für den Nachwuchs wäre deshalb vielleicht auch ein Mittel gegen die Krise der Lehrkräfte. Wobei gegen den Smartphone-Entzug als erzieherische Maßnahme nichts einzuwenden ist. Verzicht soll da auch anderen schon geholfen haben.

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