Staatskrise Südkorea:Wie wird man einen Präsidenten los?

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Proteste gegen Präsident Yoon Suk-yeol in Seoul: Mit seiner Ausrufung des Kriegsrechts hat der Staatschef ein politisches Chaos losgetreten. (Foto: PHILIP FONG/AFP)

Nach dem gescheiterten Putsch von Präsident Yoon Suk-yeol versuchen Staatsanwaltschaft und Politik, die Ereignisse aufzuarbeiten. Das Problem: Streng genommen ist Yoon noch so mächtig wie zuvor.

Von Thomas Hahn, Seoul

Am Dienstag kamen Soldaten ins Nationalparlament in Seoul und erzählten brisante Details aus der Nacht, als Präsident Yoon Suk-yeol Südkoreas Demokratie kapern wollte. Generalleutnant Kwak Jong-keun, der suspendierte Leiter des Kommandos für Spezial-Operationen, berichtete, dass Verteidigungsminister Kim Yong-hyun ihm an jenem 3. Dezember aufgetragen habe, auf keinen Fall mehr als 150 Abgeordnete ins Parlament mit seinen 300 Sitzen zu lassen. Kwak sollte also sicherstellen, dass keine Mehrheit zustande kam gegen das Kriegsrecht, das Yoon für seinen Putsch ausgerufen hatte.

Und Jeong Seong-woo, Leiter im Verteidigungskommando für Spionageabwehr, bezeugte, dass sein Chef, Generalleutnant Yeo In-hyung, ihm nach der Notstandserklärung befohlen hatte, bei der Nationalen Wahlkommission (NEC) aufzumarschieren und deren Server mit den Wählerregistrierungslisten zu kopieren oder zu entfernen. Moon Sang-ho vom Verteidigungsgeheimdienst sagte, Verteidigungsminister Kim habe ihm eine ähnliche Anweisung gegeben. Kim Yong-hyun selbst, als Minister längst zurückgetreten und seit diesem Mittwoch in Untersuchungshaft, hatte vor Tagen schon erklärt, dass die Soldaten beim NEC prüfen sollten, ob eine Untersuchung wegen Wahlbetrugs nötig sei.

Die Niederlage seiner Partei, das Scheitern an der Opposition: Das konnte er wohl nicht mehr ertragen

Immer deutlicher zeigt sich, dass der Staatsstreich des Präsidenten Yoon das Ergebnis einer verletzten Selbstherrlichkeit war. Die Mehrheit der Demokratischen Partei (DP), die heftige Niederlage seiner konservativen PPP bei der Wahl im April, dieses ständige Scheitern an der Opposition – das alles konnte Yoon wohl nicht mehr ertragen. Also setzte er Gewalt ein.

Die Folge ist ein politisches Chaos, das nicht kleiner geworden ist, seit das Parlament am frühen Morgen des 4. Dezember das Kriegsrecht abschmetterte. Kim Yong-hyun hat als Verteidigungsminister des Putschs die Verantwortung übernommen: Er habe Yoon empfohlen, das Kriegsrecht auszurufen. Er soll den Erlass geschrieben haben, der auch politische Aktivitäten im Parlament verbot. Ihn hat die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Hochverrat als Erstes ins Visier genommen.

Kim Yong-hyun findet die Aktion vom 3. Dezember rechtens, das wurde nach den ersten Befragungen durch die Staatsanwaltschaft bekannt. Dem Gerichtstermin am Dienstag zur Frage, ob dem Haftbefehl gegen ihn stattgegeben wird, blieb Kim fern. In einem Entschuldigungsschreiben teilte er nochmals mit: „Alle Verantwortung an dieser Situation liegt bei mir.“

Yoon muss sich für Befragungen bereithalten und darf das Land nicht verlassen

Schwer zu glauben, dass sich der herrisch veranlagte Präsident Yoon willenlos den Notstandsfantasien eines einzelnen Ministers ergab. Auch die Behörden sehen Kim Yong-hyun eher als Hauptbeteiligten - als Rädelsführer verdächtigen sie Yoon. Die Ermittlungen gegen ihn laufen. Yoon muss sich für Befragungen bereithalten und darf das Land nicht verlassen. Hochrangige Zeugen wie der Geheimdienst-Vize-Direktor Hong Jang-won haben Yoon schon öffentlich belastet, nachdem er im Rahmen des Kriegsrechts sogar bestimmte Politiker festnehmen lassen wollte. Es sieht nicht gut aus für den Präsidenten. Am Sonntag gelobten PPP-Chef Han Dong-hoon und Premierminister Han Duck-soo außerdem, dass Yoon bis zu seinem vorzeitigen Abschied mit Regierung und Diplomatie nichts mehr zu tun haben werde.

Aber hier beginnt das Chaos: Streng genommen kann man Yoon nämlich nicht so einfach aus der Regierung ausschließen. Die PPP-Fraktion hat am Samstag die Abstimmung über die Amtsenthebung boykottiert und damit scheitern lassen. Damit bleibt Yoon vorerst Präsident mit allen Befugnissen, bis die Amtszeit turnusgemäß im Mai 2027 endet. Die Verkündung der beiden Hans sei von der Verfassung nicht gedeckt, sagen Fachleute. Bei einem Entschuldigungsauftritt am Samstag sagte Yoon zwar, dass er seiner Partei „Maßnahmen zur Stabilisierung“ anvertraue. Aber was heißt das schon? „Der Präsident kann jederzeit wieder die Führung übernehmen", sagt Politikwissenschaftler Shin Yul von der Myongji Universität im Korea Herald. „Niemand wird ihn stoppen können.“

Man merkt dem Kabinett an, dass es keinen Rechtsstreit will. Am Montag stellte der Sprecher des Verteidigungsministeriums klar, dass Yoon weiterhin Oberbefehlshaber der Streitkräfte sei. Am Dienstag stellte der Sprecher des Außenministeriums klar, dass Yoon weiterhin der Top-Entscheider in diplomatischen Fragen sei.

Ein Oberdiplomat, der nicht reisen darf – das sagt schon viel über die Lage im politischen Seoul. Gleichzeitig ist die Regierungspartei gespalten bei der Frage, wie sie Yoon loswerden soll. Und die Menschen sind sauer. Eine Petition zur Auflösung der PPP hatte schnell 160 000 Anhänger. Die Demonstrationen im Land richten sich nicht mehr nur gegen Yoon, sondern auch gegen die PPP-Abgeordneten, die die Amtsenthebung vermasselten. Deren Smartphones werden überschwemmt mit Hassbotschaften. Der PPP-Parlamentarier Shin Sung-bum teilte auf Facebook ein Bild von seinem Telefon mit 40 000 ungelesenen Textnachrichten. Es wird noch dauern, bis diese Krise überwunden ist.

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