Am Samstag ging der Umbau Südkoreas unter Präsident Lee Jae-myung weiter. Seine Demokratische Partei (DP) verabschiedete im Parlament ein Gesetz, nach dem die Korea Communications Commission (KCC) einer neuen Medienaufsichtsbehörde mit mehr Befugnissen weichen muss. Tags zuvor hatte die DP-Mehrheit dafür gestimmt, die Staatsanwaltschaft in ihrer jetzigen Form abzuschaffen und ihre Aufgaben im September 2026 neu zu verteilen – auf eine Behörde zur Ermittlung schwerer Verbrechen, die im Innenministerium installiert wird, und auf eine Anklage-Behörde im Justizministerium.
Die rechte Oppositionspartei PPP protestierte und versuchte, die Abstimmungen aufzuhalten. Aber gegen die starken Liberalen von der DP hatte sie letztlich keine Chance.
Lee Jae-myung hat gute Argumente für die neuen Strukturen
Erst seit Anfang Juni führt Lee Jae-myung, 61, die Regierungsgeschäfte in Seoul – und schon zieht seine Regierung Reformen durch, die das Staatswesen deutlich verändern. Das ist Lees Art, die Krise aufzuarbeiten, in der Südkorea steckte, nachdem sein Vorgänger, der PPP-Mann Yoon Suk-yeol, im vergangenen Dezember das Kriegsrecht ausgerufen hatte, um die starke Opposition lahmzulegen. Der Putschversuch scheiterte, im April bestätigte das Verfassungsgericht Yoons Amtsenthebung. Lee gewann die Neuwahl, aus der starken DP-Opposition wurde eine starke DP-Regierung.
Und jetzt verändert Lee also die Strukturen, die Yoon und dessen Regierung aus seiner Sicht für ihre Interessen nutzten. Anhänger der DP werfen der Staatsanwaltschaft schon lange vor, ihre Macht zu politisch motivierten Anklagen zu missbrauchen. Auch die KCC fanden sie zu parteiisch im Sinne der Konservativen.
Ob die Reformen wirklich mehr Fairness und Pressefreiheit bringen, muss sich erst zeigen. Aber Lee Jae-myung hat gute Argumente für die neuen Strukturen. Die autokratischen Tendenzen unter Yoon waren einfach zu klar. Gewerkschaftler und regierungskritische Journalisten gerieten unter Druck. Auch nach der Kriegsrechtserklärung wiegelte Yoon seine Anhänger mit Verschwörungstheorien auf.
Die PPP ist im Grunde immer noch auf Yoons Seite. Auch er selbst wirkt in dem Strafprozess, der nach der Amtsenthebung begann, nicht wie ein einsichtiger Demokrat. Wochenlang weigerte er sich, zu Befragungen oder Gerichtsterminen zu erscheinen. Im August scheiterte ein Versuch von Sonderermittlern, ihn mit Gewalt aus seiner Zelle in Seouls Justizvollzugsanstalt zu einer Befragung zu bringen. Grund laut den Ermittlern: „Sorge, dass es zu Verletzungen kommt.“ Yoon soll sich in Unterhosen auf den Boden gelegt haben; seine Anwälte stellen den Vorgang anders dar. Am Freitag erschien Yoon endlich mal wieder vor Gericht, ergraut und abgemagert. Er bestritt alle Vorwürfe.
Fachleute sehen in dem neuen Präsidenten einen Politikprofi mit Plan
Lee Jae-myung hingegen erlebt gerade ein Hoch. Mit seinen schwarz gefärbten Haaren und blassen Gesichtszügen sieht er zwar manchmal etwas zu perfekt aus, und seine Zustimmungsrate ist zuletzt abgerutscht. Aber laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Realmeter liegt sie immer noch bei 52 Prozent. Yoon dagegen hatte schon vor seiner Kriegsrechtserklärung keine 20 Prozent mehr erreicht.
Lee pflegt sein Image als bodenständiger Staatsdiener. Gleich nach seiner ersten Kabinettssitzung erschien ein Foto, das zum Symbolbild seiner Arbeitsmoral wurde: Es zeigt, wie Lee sich während der Sitzung mit dem Reisimbiss Gimbap stärkt, um die Gespräche nicht durch ein ordentliches Mittagessen zu unterbrechen. Das kam gut an. Und Fachleute sehen ihn als Politikprofi mit Plan, der sich von dem unbelehrbaren Hardliner Yoon wohltuend abhebt. Im Gespräch mit der US-Denkfabrik Stimson Center blickte der Politikwissenschaftler Ahn Byong-jin auf die ersten 100 Tage von Lees Präsidentschaft zurück. Der Professor der Kyung-Hee-Universität in Seoul lobte Lees Zweckdenken und seinen Realismus. „Das Mandat der Wähler bestand darin, eine kompetente Verwaltung wiederherzustellen“, sagte Ahn – das sei gelungen.
Lees Politik greift Positionen auf, die typisch sind für DP-Vertreter. Zum Beispiel einen weicheren Kurs gegenüber Nordkorea, um mit dem Bruderstaat wieder ins Gespräch zu kommen. Aber sie riskiert keinen unnötigen Streit in geopolitisch schwierigen Zeiten. Als Oppositionsführer war Lee Jae-myung ein scharfer Japan-Kritiker – als Präsident will er das gute Verhältnis bewahren, das Vorgänger Yoon herstellte, indem er die Konflikte um die kaum aufgearbeitete Kolonialgeschichte einseitig abservierte. Am Dienstag trifft Lee Japans scheidenden Premier Shigeru Ishiba in der südkoreanischen Küstenstadt Busan. Thema: Die Shuttle-Diplomatie, die beide Länder beibehalten wollen.
Die Festnahme von mehr als 300 koreanischen Arbeitern in Georgia verärgerte Lee
Im Verhältnis mit den USA erweist sich Lee als Partner, der nicht alles mit sich machen lässt. Bei seinem Besuch in Washington bauchpinselte Lee zwar hingebungsvoll den US-Präsidenten Donald Trump und sicherte so den Deal mit gesenkten Zöllen sowie südkoreanischen Investitionen im Wert von 350 Milliarden US-Dollar. Aber dann trübte Trumps Ausländerpolitik die Partnerschaft. Auf dem Gelände einer Batteriefabrik, die der Automobilriese Hyundai in Georgia baut, wurden im September mehr als 300 koreanische Arbeiter bei einer Razzia festgenommen und wie Kriminelle abgeführt. Angeblich hatten sie nicht die richtigen Papiere.
Lee Jae-myung fand das „äußerst verwirrend“. Es sei doch üblich, dass koreanische Firmen koreanische Mitarbeiter für Investitionsprojekte im Ausland anstellen: „Wenn das nicht mehr erlaubt ist, wird die Errichtung von Produktionsstätten in den USA schwieriger“, so Lee. Das Geld aus Südkorea, das Trump schon als seinen Erfolg verbucht, scheint demnach doch nicht so sicher zu sein.
Fünf Jahre dauert die Amtsperiode eines südkoreanischen Präsidenten normalerweise. Es wird eine komplizierte Zeit für Lee. Überalterung und träge Wirtschaft belasten sein Land. Der launische Trump macht die Lage nicht einfacher. Und der Umbau Südkoreas bringt die Rechten auf. Lee Jae-myung hatte einen guten Start. Aber die größten Herausforderungen liegen noch vor ihm.

