Süddeutsche Zeitung

Südkorea:Generation "Sewol"

Seit dem Fährunglück vor zwei Jahren hat Südkorea sich politisch verändert. Weite Teile der Bevölkerung haben der Präsidentin das Vertrauen entzogen.

Von Christoph Neidhart, Seoul

Das Mädchen mit der weißen Chrysantheme starrt lange auf die Wand mit den 304 Porträtfotos. Schließlich legt sie ihre Blume auf den Tisch, verbeugt sich und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. Eine Stunde hat sie im Nieselregen auf dem Gwanghwamun-Platz von Seoul in der Schlange gestanden, um den Opfern der Sewol-Katastrophe zu gedenken. An einem Stand gegenüber falten Frauen gelbe Gummistreifen zu Trauerbändern, daneben unterschreiben Leute die "Petition für die Wahrheit des Sewol-Untergangs".

Am Abend versammeln sich Zehntausende zur Trauer auf dem Gwanghwamun-Platz. Ähnliche Kundgebungen gab es am Samstag vielerorts in Südkorea. Am zweiten Jahrestag des Untergangs der Fähre Sewol gedachte das Land der 304 Opfer, fast alle Mittelschüler aus Ansan. Sie sind umgekommen, weil der Reeder das Schiff so umbauen ließ, dass es mehr Profit brachte, aber nicht mehr sicher war. Weil die staatliche Aufsicht ihm das durchgehen ließ. Weil die Fähre falsch beladen war. Weil die Crew sich selber in Sicherheit brachte, statt sich um ihre Passagiere zu kümmern. Weil die Rettungsdienste versagten. Versagt hat auch Präsidentin Park Geun Hye, über deren Aufenthaltsort am Unglückstag wild spekuliert wird. Sie hat nie die richtigen Worte für die Katastrophe gefunden.

Die Präsidentin hat eine ernsthafte Aufklärung verhindert

Der Untergang der Sewol hat Südkorea verändert. Die jüngsten Wähler, die nun "Sewol-Generation" genannt werden, haben jedes Vertrauen in die Regierung verloren. Park tut nichts gegen die Arbeitslosigkeit der Jungen und ihre schlechten Berufsaussichten, und die Angehörigen der Sewol-Opfer werden vom Staat kaum unterstützt. Bei den Parlamentswahlen vorige Woche haben die Jungen Park die Quittung präsentiert. Saenuri, die Partei der Präsidentin, erlitt eine herbe Schlappe.

Der Reeder der Sewol hat sich das Leben genommen, der Kapitän sitzt im Gefängnis. Aber das System, das ihre Schlampereien ermöglichte, wird nicht untersucht. Saenuri hat eine ernsthafte Aufklärung der Vorgänge, die zum Unglück führten, verhindert. Dagegen wurden die Trauerkundgebungen am Samstag von enormen Polizeiaufgeboten begleitet.

Vergangenen Donnerstag ließ Park bekannt geben, das Wrack der Sewol, in dem man die Leichen von neun noch vermissten Opfern vermutet, werde für 64 Millionen Euro gehoben. Das soll den Fall abschließen. Der politische Preis, den die Präsidentin und ihre Partei für eine völlige Aufklärung zahlen müssten, wäre wahrscheinlich höher.

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Quelle:
SZ vom 18.04.2016
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