Süddeutsche Zeitung

Südkorea:Im Land der Betagten

Noch ist das Land mit der ältesten Bevölkerung Japan, doch Südkorea wird demnächst vorbeiziehen. Politikern in Seoul bereitet das Sorgen.

Von Thomas Hahn, Seoul

Der Kindertag ist in Südkorea seit den Siebzigerjahren ein gesetzlicher Feiertag. Es gibt Geschenke, Eltern unternehmen etwas mit dem Nachwuchs. Und der Präsident öffnet die Tore seines Amtssitzes, des Blauen Hauses in Seoul. Dieses Jahr empfing Moon Jae-in alle 38 Schülerinnen und Schüler der kleinen Doseong-Grundschule in Pyeongchang. Natürlich online, wegen Corona. Die Kinder saßen artig im Klassenzimmer, mit Masken, hinter Schutzscheiben. Der Präsident bedauerte ausdrücklich die Distanz. Es gab Spiele und ein Quiz. Und die First Lady Kim Jung-sook sagte: "Ihr seid ein wertvoller Schatz unseres Landes."

Das Lob der Kinder stimmt immer und überall, aber in Südkorea, Asiens viertgrößer Volkswirtschaft, steht es im Zusammenhang mit einer besonders ausgeprägten Variante des demografischen Wandels. Kein anderes Land zeigt so deutlich den Zusammenhang zwischen Wohlstand und Bevölkerungsrückgang. Im jüngsten Jahresbericht des UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) weist der Tigerstaat erneut die niedrigste Fertilitätsrate von 198 Ländern auf - nur 1,1 Kinder bekommt demnach eine Südkoreanerin durchschnittlich im Laufe ihres Lebens; weltweit liegt der Wert bei 2,4.

Gleichzeitig ist wegen des guten Gesundheitssystems die Lebenserwartung gestiegen. Noch ist Japan die älteste Gesellschaft der Welt. Aber in ihrem Dezemberbericht stellte die Bank of Korea fest, Südkorea werde den Nachbarn noch vor 2045 überholt haben, weil Südkoreas Fertilitätsrate "schneller sinkt als erwartet".

Der Demographie-Forscher Choi One-lack vom privaten Wirtschaftsforschungs-Institut KERI sagte der Nachrichtenagentur Reuters kürzlich: "Viele kleine Städte laufen Gefahr zu verschwinden." Der Präsidialausschuss für alternde Gesellschaft und Bevölkerungspolitik, dem Moon Jae-in persönlich vorsitzt, kommt zu dem Schluss: "Südkorea hat ein ernsthaftes Problem."

Früher gehörte Geburtenkontrolle zur Staatsräson

Südkorea war nach dem Ende des Korea-Kriegs ein armes Land. Noch in den Achtzigerjahren gehörte Geburtenkontrolle zur Staatsräson, welche die Politik unter anderem mit Angeboten zur freiwilligen Sterilisation verfolgte. Es funktionierte.

Aber heute ist Südkorea eine reiche, kapitalistische Konsumgesellschaft. Der Lebensstandard ist gestiegen. Die Ansprüche werden höher. Gleichzeitig wird der Wettbewerb um ein gutes Auskommen schärfer. Der Arbeitsmarkt ist umkämpft und nicht für jeden sicher. Vor allem in der Metropolregion Seoul, in der die Hälfte der 51 Millionen Menschen Südkoreas leben, sind die Preise für Wohnraum stark angestiegen. Und die Unwägbarkeiten der Pandemie haben noch mehr Leute davon abgehalten, eine Familie zu gründen. "Junge Menschen nehmen Arbeit und Leben wichtiger als Ehe und Kinder", teilt der Präsidialausschuss mit und liefert Zahlen: 2010 dachten in Südkorea 62,6 Prozent der unverheirateten Männer und 46,8 Prozent der unverheirateten Frauen, die Ehe sei wichtig. 2020 taten das bei den Männern 40,8, bei den Frauen 22,4 Prozent.

Was tun? Im Dezember hat Moons Regierung ihren neuen Vier-Jahres-Plan zur Bevölkerungspolitik herausgebracht. Dieser sieht vor allem höhere Sozialausgaben vor, die noch deutlich unter dem Schnitt innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegen. Ein monatlicher Babybonus sowie mehr Unterstützung zur Elternzeit und Kinderbetreuung sind vorgesehen - Anreize zum Kinderkriegen. Kampagnen für einen gesunden Lebensstil sollen die Gesundheitssysteme entlasten, mehr intelligent vernetzte lokale Pflegedienste den Altenpflege-Notstand lindern. Und der Präsidialausschuss empfiehlt "grundlegende und realistische Maßnahmen", um strukturschwache Gebiete so zu fördern, dass nicht mehr alle nur nach Seoul wollen.

Große Vorhaben. Moon Jae-in wird sie nicht mehr lange anschieben. Der nächste Kindertag liegt am Ende seiner fünfjährigen Amtszeit. Im Frühjahr 2022 sind Präsidentschaftswahlen, Moon darf nicht mehr antreten. Und die konservative Opposition war bei Kommunalwahlen zuletzt vor Moons Demokraten - auch ohne erkennbaren Plan gegen Südkoreas Überalterung.

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