Armenien und Aserbaidschan:Was im Südkaukasus auf dem Spiel steht

ALAGYAZ, ARMENIA - SEPTEMBER 24, 2020: A Russian tank takes part in the Kavkaz-2020 Caucasus 2020 military exercise at

Ein russischer Panzer bei einer Armeeübung Armeniens

(Foto: imago images/ITAR-TASS)

Der Jahrzehnte alte Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan flammt wieder auf. Das könnte gefährlich werden: Sowohl Russland als auch die Türkei betrachten den Kaukasus als Einflusszone.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Die gute Nachricht für die Armenier: Kim Kardashian steht hinter ihren Landsleuten. Der amerikanische Reality-TV-Star rief die US-Regierung auf, die Türkei daran zu hindern, Waffen und Kämpfer nach Aserbaidschan zu schicken und den Krieg im Kaukasus anzuheizen. Kardashian, armenischer Herkunft und weltweit populär, sagte: "Armenien ist das Opfer unprovozierter Attacken durch Aserbaidschan". Die schlechte Nachricht für die Armenier: Die Türkei stellt sich voll hinter Aserbaidschan. Angesichts der Entschlossenheit, mit der Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan seine Truppen in Nachbarstaaten als außenpolitisches Druckmittel einsetzt, läuft das Ganze damit auf eine Abwandlung der berüchtigten Frage des Kaukasiers Josef Stalin hinaus: "Und wie viel Divisionen hat Kim Kardashian?"

Der Jahrzehnte alte Konflikt im Südkaukasus war am Wochenende wieder ausgebrochen. Auf beiden Seiten sollen bereits Dutzende Menschen getötet, Panzer und Helikopter zerstört worden sein. Aserbaidschan ordnete die Teil-Mobilmachung an, Armenien hatte am Sonntag alle Männer in Bereitschaft versetzt. Besonders gefährlich wird der Konflikt um das Berggebiet dadurch, dass die Türkei der Alliierte der Aserbaidschaner ist, Moskau der der Armenier: Der Kreml sieht den Kaukasus als strategisch wichtigen Hinterhof.

Armenier und Aserbaidschaner streiten seit dem Ende der Sowjetunion um Bergkarabach, sie haben Anfang der neunziger Jahre Krieg geführt. Das hauptsächlich von christlichen Armeniern bewohnte Berggebiet hatte sich 1991 vom muslimischen Aserbaidschan losgesagt. Diese "Republik" ist mit Hilfe Armeniens de-facto selbständig, aber völkerrechtlich nicht anerkannt: Bergkarabach liegt auf aserbaidschanischem Staatsgebiet. Die internationale Gemeinschaft ist besorgt, dass der Konflikt den Südkaukasus destabilisiert, dort verlaufen Öl- und Gaspipelines.

Sowohl die Türkei wie auch Russland sehen die Region als Einflusszone

Ankara betrachtet das muslimische und turk-sprachige Aserbaidschan traditionell als Verbündeten, zudem liefert es Öl und Gas, diese Rohstoffe sind die Türkei enorm wichtig. Erdoğan sicherte dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew "verstärkte" Solidarität zu: "Die Region wird erneut Frieden und Ruhe finden, wenn Armenien den von ihm besetzten aserbaidschanischen Boden sofort verlässt." Die Türkei stehe "mit allen Mitteln und ganzem Herzen" an Aserbaidschans Seite. "Mit allen Mitteln" heißt offenbar auch militärisch, zumindest indirekt.

Offenbar kämpfen auf aserbaidschanischer Seite syrische Söldner, in unbestätigten Berichten heißt es, es würden türkische Kampfjets und Drohnen eingesetzt. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die in London sitzt und über Vorgänge in Syrien meist zuverlässig informiert, wurden im syrischen Bürgerkrieg von der Türkei finanzierte Milizionäre der "Syrischen Nationalarmee" nach Aserbaidschan gebracht. Russische Quellen sprachen von 4000 Syrern. Ankara setzt syrische Kämpfer auch im libyschen Bürgerkrieg ein. Sie kämpfen angeblich für rund 2000 Euro Sold und sind berüchtigt für ihre Brutalität.

Erdoğan kann die Solidarität mit einem weiteren "Bruderland" gut verkaufen

Erdoğan ist aus innenpolitischen Gründen an beherrschbaren Konflikten durchaus interessiert. In der Stimmung eines aufgeheizten Nationalismus, der von ihm islamisch unterfüttert wird, kann er Solidarität mit einem weiteren "Bruderland" gut verkaufen. Nach der zur Schau gestellten neo-osmanischen Großmachtrolle in Syrien und Libyen, nach den Drohgesten gegenüber Griechenland und Zypern passt der Konflikt ins Bild. Einem bekannten Muster folgend, führte Ankara an, Armenien werde von "Terroristen" unterstützt. Eriwan bewaffne Mitglieder der "Asala", einer marxistischen Untergrundgruppe. Diese kämpfte von 1975 an bis Mitte der Neunziger Jahre mit Terror für eine Rückeroberung historisch armenischer Gebiete in der heutigen Türkei. Der aserbaidschanische Botschafter in Ankara behauptete zudem, dass Kämpfer der kurdischen PKK für den Kampf im hinzugezogen würden.

Gewinn versprechen vom Kaukasus-Krieg kann sich Erdoğan aber nur, solange kein Konflikt zwischen den beiden Unterstützerstaaten Türkei und Russland droht: Moskau beliefert sowohl Armenien als auch Aserbaidschan mit Waffen, unterhält aber Militärbasen in Armenien und kann eine allzu starke Schwächung seines Alliierten kaum dulden. Gewohnt diplomatisch - und aus Sicht der Türkei möglicherweise wenig überzeugend - reagierte die EU. Ein Sprecher des Außenbeauftragten Josep Borrell bezeichnete die Entwicklung als "sehr beunruhigend". Man brauche Verhandlungen.

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