Süddeutsche Zeitung

Traum vom Frieden:Reden statt schießen

Frieden statt Krieg - davon träumten schon Immanuel Kant und Alfred Nobel. Durch den Zweiten Weltkrieg schien dieser Traum zerplatzt, die Gründung der UNO gab Anlass zur Hoffnung. Doch nicht alle machten mit.

Heribert Prantl

Als der berühmte Philosoph Immanuel Kant schon ein recht alter Herr war, schrieb er eine seiner berühmtesten Schriften. Sie heißt "Zum ewigen Frieden". Kant lehrt darin, dass der Frieden kein natürlicher Zustand sei, sondern gestiftet werden müsse. Das war im Jahr 1795.

Hundert Jahre später nahm sich genau das der Industrielle Alfred Nobel, damals auch schon ein älterer Herr, zu Herzen. Nobel, Erfinder des Dynamits, gründete kurz vor seinem Tod eine Stiftung, in die er sein ganzes Vermögen hineinsteckte. Er glaubte an die Vernunft der Menschen und daran, dass die immer schrecklicheren Waffen sie vom Krieg abschrecken würden. Er meinte daher, dass man den Friedensnobelpreis gar nicht mehr so oft verleihen müsste: Sechsmal, im Abstand von fünf Jahren, so dachte er, dann sei alles klar - dann sei die Welt entweder in der Barbarei versunken oder endlich beim "Ewigen Frieden" des Immanuel Kant angelangt.

Es wäre so schön, wenn der große Erfinder Nobel hier recht behalten hätte. 356 Patente wurden dem klugen Mann zugesprochen - aber das Patent auf den Frieden war nicht dabei. 1901 wurde sein Friedensnobelpreis erstmals verliehen. Hätte Nobel recht behalten, dann hätte das Thema Krieg 30 Jahre später erledigt sein müssen.

Aber gut 30 Jahre später begann Hitler gerade damit, die Welt in die Katastrophe zu stürzen. Er griff andere Länder an und ließ Millionen Juden und Millionen anderer unschuldiger Menschen ermorden. Weitere zehn Jahre später begann die Welt, sich aus dieser Katastrophe, dem Zweiten Weltkrieg, herauszuarbeiten und Regeln dafür zu finden, die Welt friedlicher zu machen - also im Sinne des Philosophen Kant den Frieden zu stiften.

Regeln für die Menschheit

Ein erster Schritt waren die "Nürnberger Prozesse", die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg begannen. Dabei wurden zum ersten Mal ehemalige Spitzenpolitiker im Namen der ganzen Menschheit vor Gericht gestellt. In Nürnberg wurden Hitlers Mittäter für ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt und verurteilt.

Jahrhundertelang war es so gewesen: Das Risiko eines normalen Mörders, entdeckt und verurteilt zu werden, war hoch. Das Risiko eines Völkermörders, also eines Massenverbrechers, sich wegen seiner Verbrechen verantworten zu müssen, war gleich null. Bis zu den Nürnberger Prozessen lief es so: Gegen einen einfachen Mörder verhandelt der Richter. Mit einem tausendfachen Mörder verhandelten Staatsmänner auf internationalen Konferenzen. Die Nürnberger Prozesse machten erstmals einen Strich durch diese zynische Rechnung.

Und zwei Jahre nach den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verkündet: Schon im ersten Satz wird dort festgestellt, dass: "die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet".

Die Erklärung orientiert sich an Kants Schrift "Zum ewigen Frieden". Aber gebracht hat sie den Frieden auch nicht. Er muss immer wieder gestiftet werden - mit allen möglichen Mitteln: Mit den Mitteln des Rechts und der Gerichte, mit Bündnissen, mit "Runden Tischen", an denen Täter und Opfer miteinander sitzen und reden. Miteinander reden statt aufeinander schießen: Das ist der Wegweiser zum Frieden.

Der französische Diplomat Stéphane Hessel, Emigrant aus Berlin, Überlebender des Konzentrationslagers Buchenwald, war 1948 ein junger Mann von 30 Jahren, als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verkündet wurde. Damals schrieb er in sein Tagebuch: "Vielleicht einer der bewegendsten Augenblicke meines Lebens."

Ein internationales Gericht

Es dauerte lang, bis sich das Völker- und Friedensrecht weiterentwickelte. 1998 wurde von den Vereinten Nationen beschlossen, den Weltstrafgerichtshof in Den Haag einzurichten. Der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan sprach von einem "Geschenk der Hoffnung". Die USA allerdings machen hier nicht mit, sie behindern die Arbeit des Gerichts. Es gehört wohl zum Selbstbewusstsein der Supermacht, keine Autorität über sich zu dulden, sich keiner Macht zu beugen, auch nicht einem unabhängigen Gericht. Vielleicht müssten sich die Amerikaner ja sonst schon wegen der Folterungen im Gefängnis von Abu Ghraib vor den Weltstrafrichtern verantworten.

Stéphane Hessel, der 1948 von einem "der bewegendsten Augenblicke" seines Lebens gesprochen hatte, ist nicht einverstanden mit der Entwicklung, die die Welt seitdem genommen hat. Der 93-Jährige ruft in seinem zornigen Aufsatz "Empört Euch" zum Protest auf gegen die Macht der Finanzmärkte - und beschwört den inneren und äußeren Frieden. Wie sagt Kant? Der Frieden muss gestiftet werden. Immer wieder.

Um Frieden geht es in der nächsten Süddeutschen Zeitung für Kinder, die am Mittwoch, 14. Dezember, der Süddeutschen Zeitung beliegt.

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SZ vom 14.12.2011/rai
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