Tribunal in Den Haag:Wem gehört das Südchinesische Meer?

Soldiers of China's People's Liberation Army (PLA) Navy patrol near a sign in the Spratly Islands, known in China as the Nansha Islands

Im Gebiet der Spratly-Inseln lässt Peking künstliche Formationen aufschütten und Landebahnen bauen.

(Foto: REUTERS)
  • China und die USA lassen im Südchinesischen Meer Kriegsschiffe patrouillieren, die Spannungen in der Region haben stark zugenommen.
  • Die Philippinen haben ein Schiedsgericht in Den Haag angerufen. Sie wollen die Kontrolle über bestimmte Gebiete zurückerlangen.
  • Das Tribunal fällt heute Vormittag ein Urteil in dem Konflikt.

Von Arne Perras, Singapur

Die chinesische Flotte hat nun eine Woche lang geübt, seit dem 5. Juli lässt Peking Lenkwaffenzerstörer und Fregatten durchs Südchinesische Meer patrouillieren. Alles Routine, hieß es in der chinesischen Staatspresse, die Übungen richteten sich gegen niemanden. Doch die Nachbarstaaten dürften die Botschaft verstanden haben. Peking führt seine maritimen Streitkräfte vor und signalisiert der Welt: Dieser Ozean ist unser, was immer ein internationales Schiedsgericht in Den Haag auch jetzt verkünden mag.

Das Muskelspiel beherrschen auch andere. Die Amerikaner, die seit dem Zweiten Weltkrieg als Ordnungsmacht über den pazifischen Frieden wachen, haben gleich zwei ihrer Flugzeugträger vor die philippinischen Küsten verlegt, außerdem patrouillieren drei US-Zerstörer nahe der Spratly-Inseln, während Chinas Flotte sich weiter nördlich, bei den Paracel-Inseln, konzentriert. Mit Routine hat das Schaulaufen der Rivalen nicht mehr viel zu tun.

Welche Folgen der nervös anmutende Flottenwettlauf im pazifischen Raum haben wird, ist noch nicht absehbar. Doch haben die Spannungen in Südostasien unübersehbar zugenommen. Washington und Peking belauern sich, sie fahren schwere Geschütze auf, und dass sie es gerade jetzt tun, hat mit dem Datum einer Gerichtsentscheidung zu tun: Am Vormittag des 12. Juli wird ein Tribunal in Den Haag einen Schiedsspruch über Streitigkeiten im Südchinesischen Meer bekannt geben.

China beansprucht fast das gesamte Gebiet

Die Philippinen haben die Richter 2013 angerufen, weil Peking fast das ganze Südchinesische Meer für sich reklamiert. Manila möchte wissen, welche Rechte den Philippinen unter den Bestimmungen des internationalen Seerechtsübereinkommens (UNCLOS) zustehen und ob diese durch Chinas Ansprüche verletzt werden. Die Amerikaner wiederum versichern, dass sie in territorialen Streitfragen keine Partei ergreifen. Dennoch haben sie als Verbündete Manilas ihre Flotte in Stellung gebracht. Washington verspricht, die Navigationsfreiheit auf See zu verteidigen, wie sie es im Pazifik seit 60 Jahren tun.

Nun warten alle darauf, wie Peking auf den Schiedsspruch reagieren wird, dessen Relevanz die Chinesen bereits abgestritten haben. Sie boykottieren das Verfahren und wollen sich nicht an eine Entscheidung halten. "Falls das Urteil besonders ungünstig für China ausfällt, und falls die Philippinen und andere Länder darauf pochen, dass China sich strikt daran hält, könnte es schon sein, dass Peking um sich schlägt", warnt der Südostasienexperte Ian Storey.

Peking behauptet, dass etwa 80 Prozent des Seegebiets zu China gehörten, ein Anspruch, den die Großmacht mit einer grob gestrichelten Linie, der berühmt berüchtigten Nine-Dash-Line, umrissen hat. Seither ist es vorbei mit dem friedlichen Miteinander, die Spannungen steigen in der Wasserstraße, über die der Welthandel ein Volumen von fünf Billionen Dollar im Jahr abwickelt.

Peking liegt mit einem halben Dutzend Nachbarstaaten im Streit. Doch vor Gericht zog bislang allein Manila. Die Philippiner erhoffen juristische Rückendeckung, nachdem sie die Kontrolle über ein fischreiches Riff, das Scarborough Shoal, an die chinesische Marine verloren haben. Das Gebiet liegt 250 Kilometer westlich der philippinischen Insel Luzon und nahezu 850 Kilometer südöstlich der chinesischen Insel Hainan. Einst lebten philippinische Fischer davon, hier ihre Netze auszuwerfen, doch nun trauen sie sich nicht mehr.

Manila pocht auf eine im Seerecht vorgesehene exklusive 200-Meilen-Zone, die jeder Staat vor seinen Küsten wirtschaftlich ausbeuten dürfe. Das umstrittene Riff fällt in einen solchen Streifen, doch ist der Fall kompliziert, weil sich Peking auf historische Souveränitätsrechte beruft, wonach das Riff schon seit Menschengedenken zum chinesischen Besitz gehöre. Ähnlich argumentiert Peking mit Blick auf das weiter südlich gelegene Spratly-Gebiet. Dort lässt Peking künstliche Inseln aufschütten und Landebahnen bauen. Und nun sieht alles danach aus, als wolle Peking international gesprochenes Recht ignorieren: "Mit Blick auf territoriale Streitigkeiten und maritime Abgrenzungsfragen akzeptiert China keine Schlichtung durch Dritte", sagt das Außenministerium in Peking.

Für die USA könnte es heikel werden

Die Nachbarn rätseln, was das heißt: "China scheint Souveränitätsrechte über eine riesige Wasserfläche zu beanspruchen", sagt die vietnamesische Rechtsexpertin Nguyen Thi Lan Anh in Hanoi. "So etwas gibt es rechtlich gar nicht und das sorgt für Verwirrung." Wie die Philippiner befürchten auch die Vietnamesen eine chinesischen Übermacht auf dem Meer.

Peking scheint entschlossen zu sein, seine Sichtweise durchzusetzen. Das hat wesentlich mit der Rivalität zwischen den beiden großen Mächten im Pazifik zu tun. Dabei schaukeln sich gegenseitige Schuldzuweisungen auf, die Spannungen steigen. China sagt, es fühle sich durch die US-Marine vor seinen Küsten bedroht. Die USA sagen, sie garantierten nur das internationale Recht auf Navigationsfreiheit. Nun fragen sich viele: Wie lassen sich die Wogen glätten, ohne dass eine Seite ihr Gesicht verliert? Der britische Flottenspezialist Chris Parry hat die strategische Gefechtslage zwischen der Supermacht Washington und der aufsteigenden Großmacht Peking so umschrieben: "Die USA müssen in der Lage sein, Seerouten zu sichern und ihre Verbündeten zu schützen", schreibt Parry im Buch "Superhighway". Um den konkurrierenden Machtanspruch zu sichern, müsse es China nur gelingen, den Amerikanern diese Fähigkeiten zu verweigern.

Insofern wird es für Washington heikel, wenn Peking zu provokanten Mitteln greift und zum Beispiel Flugverbotszonen einrichtet. Oder eine Basis auf dem umstrittenen Scarborough-Riff baut, das nahe der philippinischen Küste liegt. Was wird Washington dann tun? Hugh White, Experte für strategische Studien an der Australian National University in Canberra glaubt, dass die Amerikaner in diesem Fall vor einer "desaströsen Wahl" stünden. Entweder gibt Washington nach und akzeptiert Chinas wachsende Macht oder es kommt womöglich zum militärischen Schlagabtausch, der in einen größeren Konflikt münden könnte. Ein solches Szenario möchte sich niemand vorstellen. "Aber die Möglichkeit ist gegeben", schreibt White. "Das macht die Lage potenziell wirklich sehr gefährlich."

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