Südafrika vor der Wahl:Geraubte Freiheit

Südafrika vor der Wahl: Führt den ANC: Präsident Cyril Ramaphosa.

Führt den ANC: Präsident Cyril Ramaphosa.

(Foto: AFP)

Der von Präsident Ramaphosa geführte ANC wird die Wahlen am Mittwoch wohl gewinnen - auch wenn er kein einziges Jahr mehr an der Macht verdient. Es wäre an der Zeit, Südafrika von seinen Befreiern zu befreien.

Kommentar von Bernd Dörries, Kapstadt

Die Stimmen der paar Dutzend Bewohner von Robben Island werden am Mittwoch wieder die ersten sein, die ausgezählt sind bei den Wahlen in Südafrika. Sie werden die ersten sein, weil es so wenige sind, ein paar ehemalige Wärter und Gefangene leben dort, und weil es eine schöne Symbolik hat: Drei Jahrhunderte lang haben die Weißen auf der Insel vor Kapstadt Menschen verbannt und eingesperrt, die ihnen gerade bei der Eroberung, Ausbeutung und Unterdrückung im Wege standen.

Die Kolonialisten haben mit den Khoi angefangen, den Ureinwohnern der Kapregion. Es folgten die muslimischen Malayen, die nach einem Aufstand in Asien ans Ende der Welt deportiert wurden. Und als die Xhosa, ein südafrikanisches Volk, gegen die britische Kolonialherrschaft rebellierten, kamen sie auf die Insel. Später internierte der Apartheidstaat dort die Freiheitskämpfer des African National Congress (ANC), allen voran Nelson Mandela. Die Insel steht also für 300 Jahre Unfreiheit. Nun zählen in der Freiheit ihre Stimmen als erste.

Aber was ist das für eine Freiheit, fragen viele in Südafrika, vor allem die, die so lange darauf gewartet haben. Die Organisation der ehemaligen politischen Gefangenen von Robben Island klagte jüngst wieder, Misswirtschaft und Korruption machten selbst vor diesem Ort nicht halt. Die Leitung des Museums soll die Kassen geplündert haben, die Boote zur Insel werden kaum gewartet und fallen immer wieder aus. So ist es überall in Südafrika. Das Land hat sich 25 Jahre nach dem Ende der Apartheid von der hoffnungsvollen Regenbogennation zur korruptesten Nation Afrikas entwickelt, was man erst einmal schaffen muss.

Der ANC war einst eine Befreiungsbewegung, die Jahrzehnte einen heroischen Kampf führte gegen die Apartheid. Doch mittlerweile gleicht die Partei eher einer mafiösen Verbrecherbande. Auf allen Ebenen des Staates bereichert sich eine kleine Elite, steckt sich viele Milliarden in die eigenen Taschen. Die staatlichen Unternehmen stehen am Abgrund, der Finanzminister erklärte, er persönlich würde keinen Cent in die Fluglinie South African Airways investieren. Als ein Untersuchungsausschuss des Parlaments kürzlich darüber diskutieren wollte, warum der staatliche Energieversorger das Land mit immer neuen Schulden versorgt, aber kaum mit Strom, fiel im Sitzungssaal der Strom aus, wie immer wieder im ganzen Land.

"Ein besseres Leben für alle", mit diesem Motto startete der ANC unter Mandela in die neue Zeit. Die begann ganz gut, Millionen kleine Wohnungen wurden gebaut, der Kampf gegen Aids erfolgreich aufgenommen - die Zahl der Schwarzen an Universitäten vervielfachte sich, die Lebenserwartung stieg um ein Jahrzehnt. Vor zehn Jahren aber kam Jacob Zuma an die Macht, der Präsident, der sich den Staat zur Beute machte, der die Losung ausgab: "Jetzt sind wir dran." Es ist die Mentalität sehr vieler ehemaliger Befreiungsbewegungen, denen es nicht darum geht, den Kuchen für alle größer zu machen, sondern darum, das größte Stück für sich zu bekommen. Sie verhalten sich nicht viel anders als die weißen Ausbeuter und Unterdrücker, gegen die sie einst angetreten sind. Aus ein "besseres Leben für alle" wurde ein "besseres Leben" für eine kleine, korrupte Elite, die ihre Ideale und zudem Millionen arme Schwarze verraten hat, denen es nicht besser geht als am Ende der Apartheid.

Es wäre an der Zeit, Südafrika von seinen Befreiern zu befreien. Der ANC hat kein einziges Jahr mehr an der Macht verdient. Trotzdem wird er die Wahlen am Mittwoch gewinnen, Zumas Nachfolger Cyril Ramaphosa wird die Mehrheit im Parlament behalten. Ramaphosa hat es geschafft, den Verfall des ANC zu seinem überzeugendsten Wahlkampfargument zu machen: Die Lage ist so dramatisch, dass nur ich euch retten kann.

Der Präsident muss den Armen helfen - sonst ändert sich nichts

Es ist traurig und hoffnungsvoll zugleich, dass er damit wohl recht hat. Traurig, weil es in Südafrika immer noch keine andere Partei mit einer realen Machtoption gibt, weil vor allem in ländlichen Gebieten auch jene immer noch treu ihre Stimme dem ANC geben, die von ihm so bitter betrogen wurden. Hoffnungsvoll stimmt, dass sich Ramaphosa selbst bisher nichts zuschulden hat kommen lassen und dass er einigermaßen glaubhaft erklärt, er wolle die Korruption bekämpfen. Nur wenn ich ein überzeugendes Wahlergebnis bekomme, so sein Argument, ist meine Position stark genug, um den ANC von korrupten Genossen zu befreien. Und die sind überall, sein Vize und sein Generalsekretär gehören zum Übelsten, was diese Organisation hervorgebracht hat. Ramaphosa hat Kommissionen eingesetzt, die erstaunlich transparent enthüllen, wie der Staat zur Beute wurde. Die große Frage ist, ob jemand zur Rechenschaft gezogen wird.

Die Schwarzen haben den Weißen nach dem Ende der Apartheid ihre Verbrechen verziehen. Es war eine große Geste - deren Nachwirkungen bis heute zu spüren sind. Es herrscht eine Kultur der Straflosigkeit, der moralischen Verwahrlosung im politischen Raum: Warum sollen wir für ein bisschen Bereicherung ins Gefängnis, wenn die weißen Mörder von damals frei herumlaufen, argumentieren Zuma und seine Mittäter. Diese sind nun alle wieder im Wahlkampf für den ANC unterwegs - gegen den Wunsch Ramaphosas. Sie wollen ihm zeigen, dass sie bereitstehen, wenn Ramaphosa Schwäche zeigt.

Der Präsident kann den Kampf um ein neues und gerechtes Südafrika nur gewinnen, wenn sich für viele Millionen verarmte Schwarze das Leben verändert. Dazu braucht es eine Landreform, dazu müssen die Weißen auf einen Teil ihres Reichtums verzichten. Denn sie sind bisher eigentlich die wahren Gewinner des Endes der Apartheid. Sie durften ihren Wohlstand behalten und wurden nicht mehr international geächtet. Mehr mussten sie nicht tun für ein neues Südafrika. Auch das muss sich ändern.

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