Die Sprengkraft, die Südafrikas neuem Schulgesetz innewohnt, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Sie verbirgt sich in den Paragrafen 4 und 5 des Gesetzes, die zwei Neuregelungen vorsehen. Anders als bisher sollen Schulen nicht mehr alleine entscheiden dürfen, wie viele Schüler sie aufnehmen und in welcher Sprache der Unterricht stattfindet. Das letzte Wort in diesen Fragen soll künftig, so will es das neue Gesetz, die jeweilige Provinz haben, vergleichbar mit einem deutschen Bundesland.
Das Gesetz, das in Südafrika als Bela Bill bezeichnet wird (kurz für Basic Education Laws Amendment Bill), ist ein Akt der Zentralisierung und ein Eingriff in die Schulautonomie, der wohl in den meisten Ländern Diskussionen auslösen würde. In Südafrika löst er noch weit mehr aus. Sogar die Regierung könnte daran zerbrechen. Denn die Neuregelungen berühren zwei äußerst sensible Themen in dem Vielvölker- und Vielsprachenstaat: Hautfarbe und Ungleichheit.
Für viele schwarze Südafrikaner ist Afrikaans bis heute ein Symbol der Unterdrückung
Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa, der das Gesetz am Freitag unterzeichnete, bezeichnete es als Schritt „zu einem effektiveren und gerechteren Schulsystem“. Vertreter der Afrikaans sprechenden Minderheit in Südafrika dagegen werten es als Angriff auf ihre Kultur und Identität. Theuns Eloff, der Vorsitzende des Trust for Afrikaans Education, sagte der Zeitung Daily Maverick, die Bela Bill „verwässert das Recht auf muttersprachliche Erziehung und wird es irgendwann ganz auslöschen“.
Afrikaans ist eine der zwölf Landessprachen Südafrikas, neben Englisch und afrikanischen Sprachen wie isiXhosa und isiZulu. Für elf Prozent der Bevölkerung ist es die Muttersprache. Doch für viele schwarze Südafrikaner ist es bis heute ein Symbol der Unterdrückung. Afrikaans war die Sprache des rassistischen weißen Minderheitsregimes in Südafrika, das ein Afrikaans-Wort auf der ganzen Welt bekannt machte: Apartheid.
Als Afrikaans 1976 in Soweto zur verbindlichen Unterrichtssprache erklärt wurde, obwohl damals wie heute kaum ein Schwarzer die Sprache beherrschte, rebellierten die Schüler. Ihr blutig niedergeschlagener Aufstand gilt heute als Anfang vom Ende der Apartheid.
Dass Afrikaans zur Sprache der Unterdrücker in Südafrika wurde, ist eine bittere Ironie der Geschichte. Denn zunächst war es die Sprache der Unterdrückten. Entwickelt wurde sie von Sklaven aus Indonesien, Malaysia und anderen Teilen der Welt, die die holländischen Siedler vom 17. Jahrhundert an ans Kap verschleppt hatten. Sie machten sich die Sprache ihrer Herren zu eigen, vereinfachten sie und reicherten sie mit eigenen Ausdrücken an.
Der Widerstand gegen das Gesetz wächst
Heute wird Afrikaans von 60 Prozent der Weißen in Südafrika gesprochen. Doch noch verbreiteter ist die Sprache unter den Nachfahren dieser Sklaven, die noch immer in der Terminologie der Apartheid als „Coloureds“ bezeichnet werden, als „Farbige“.
Vier Prozent der Schulen in Südafrika unterrichten heute auf Afrikaans. Gegen sie, argwöhnen die Gegner der Bela Bill, ist das neue Gesetz gerichtet. Ihre Befürchtung: Wenn die Schulen nicht mehr selbst bestimmen dürfen, wen sie aufnehmen, würden die Provinzregierungen in großer Zahl auch Schüler an die Schulen schicken, die kein Afrikaans sprechen. Um dann dort, im Sinne dieser Schüler, Englisch als Unterrichtssprache durchzusetzen.
Diese Befürchtung dürfte nicht unberechtigt sein. Denn was Gruppen wie der Trust for Afrikaans Education als Schutz der eigenen Kultur und Sprache ansehen, sehen Kritiker als Abschottung einer privilegierten Minderheit. Ohne die auf Afrikaans unterrichtenden Schulen direkt anzusprechen, begründete Präsident Ramaphosa das neue Gesetz unter anderem damit, dass Schülern aufgrund der Sprache der Zugang zu Schulen verweigert worden sei.
Doch Widerstand gegen die Bela Bill gibt es auch in Ramaphosas eigener Regierung. Die Democratic Alliance (DA), nach dem African National Congress (ANC) zweitgrößter Partner in der Zehnparteienkoalition, versuchte bis zuletzt, das Gesetz zu verhindern. Es verstoße gegen die Verfassung, teilte die Partei mit. Die DA wird vor allem von Weißen und Coloureds gewählt. Am Gesetz beteiligt war sie nicht. Das Parlament hatte es vor der Wahl im Mai verabschiedet, als der ANC dort noch über eine absolute Mehrheit verfügte.
Ramaphosa ist dem DA zumindest einen halben Schritt entgegengekommen. Er unterzeichnete das Gesetz zwar, kündigte aber an, die Paragrafen 4 und 5 für eine Übergangsfrist von drei Monaten auszusetzen. Finde sich bis dahin kein Kompromiss, dann werde die Bela Bill in der jetzigen Form in Kraft treten. Die DA kündigte an, gegen das Gesetz notfalls vor Gericht zu ziehen.