Sudan vor dem Referendum:Ausgerechnet Sudan!

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Die Regierung in Khartum scheint die Abspaltung des Südens tatsächlich akzeptieren zu wollen. Europa sollte nicht zögern: Engagement in beiden sudanesischen Staaten wäre Ausdruck einer selbstbewussten Friedenspolitik.

Volker Perthes

Mit dem Referendum am kommenden Sonntag wird der Südsudan die Unabhängigkeit wählen. Kaum jemand erwartet ein anderes Ergebnis. Auch die Regierung in Khartum nimmt an, dass die Südsudanesen sich für die Sezession, für einen eigenen Staat entscheiden werden. Staatspräsident Omar al-Baschir und seine Regierung wiederholen jeden Tag, dass sie das Ergebnis des Referendums respektieren werden. Ja, man werde der erste Staat sein, der einen Botschafter nach Juba, die Hauptstadt des zukünftigen südsudanesischen Staates, senden werde. Man sei auch bereit, dem Süden wirtschaftlich und in Sicherheitsfragen zu helfen.

Südsudanesische Frauen demonstrieren vor dem Referendum. (Foto: dpa)

Alles kann also gut gehen. Aber es gibt auch andere Szenarien, die an einigen der Bruchstellen ansetzen: So sind noch nicht alle offenen Grenzfragen geklärt, und es ist auch kaum zu erwarten, dass dies in der sechsmonatigen Übergangsphase nach dem Referendum geschehen wird. Der Süden beherbergt einen Teil der Darfur-Rebellen, der Norden einige Oppositionsführer aus dem Süden. Beide Seiten können sich gegenseitig destabilisieren, wenn politische Konflikte oder Auseinandersetzungen aufbrechen.

Denn es gibt ein dichtes Netz gesellschaftlicher Beziehungen zwischen Nord und Süd, die eben nicht nur zum gegenseitigen Vorteil genutzt werden können. Das gilt zum Beispiel für die saisonale Wanderung Hunderttausender Nomaden, die ihre Herden in der Regenzeit in den Süden treiben. Viele Beobachter fragen sich zudem durchaus mit Sorge, was eigentlich aus den geschätzten ein bis zwei Millionen Südsudanesen wird, die heute im Norden leben - und die nach der Sezession des Südens plötzlich zu Ausländern werden. Man braucht diese Menschen im Nordsudan, sie haben dort Arbeit, Auskommen und Ausbildungsmöglichkeiten.

Im Süden hingegen fehlt es nahezu an allem: an Infrastruktur, Wohnungen und Jobs. Ein Umzug ist für die meisten keine echte Alternative. Allerdings gibt es extremistische Stimmen im Norden, die offen davon sprechen, dass diese Menschen, wenn sie sich schon vom Sudan lossagen, das Land auch verlassen sollten. Die Regierung erklärt zwar, dass niemand etwas zu befürchten habe. Einige Oppositionspolitiker warnen allerdings, dass ein Regime, das innenpolitisch unter Druck kommen wird, extremistische Agitation, ja Gewalt gegen die Südsudanesen tolerieren könnte.

Unter Druck kommen dürfte die Regierung Baschir in jedem Fall. Denn wirtschaftlich wird es nach dem Verlust der Ölfelder im Süden schwieriger, und Teile der politischen Elite werfen dem Präsidenten vor, mit dem Friedensvertrag von 2005 und dessen Umsetzung die Einheit des Landes verspielt zu haben. Hätte er nicht, wie andere Regierungen vor ihm, ein Referendum über "Selbstbestimmung" verhindern können?

Tatsächlich wäre es eine bemerkenswerte historische Wendung, wenn der international isolierte sudanesische Präident al-Baschir, gegen den ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt, nun allen Widerständen zum Trotz die friedliche Loslösung des Südens ermöglichte. Die internationale Gemeinschaft sollte dies honorieren, schon aus dem Eigeninteresse an regionaler Stabilität.

Weder im Norden noch im Süden wird ein liberales, demokratisches Regime entstehen, aber der vom Bürgerkrieg geschüttelte Sudan kann zur Ruhe kommen. "Wir wollen vor allem eines: keinen weiteren Krieg", sagt einer der Minister und engen Berater Baschirs im Gespräch. Die Verluste aus den Öleinnahmen werde man verschmerzen, die meisten Öldollars seien ohnehin für den Krieg verwendet worden, erst gegen den Süden, dann in Darfur. Jetzt gehe es darum, konstruktive Beziehungen zum neuen Nachbarn im Süden aufzubauen, in die Entwicklung des eigenen Landes zu investieren und auch europäische Partner zu überzeugen, dass die Zusammenarbeit mit dem Sudan sich lohne. Bisher hätten allenfalls chinesische und brasilianische Firmen diese Chancen erkannt.

Tatsächlich werden die beiden sudanesischen Staaten - Nord und Süd - internationale Unterstützung brauchen. Der Süden benötigt vor allem Hilfe beim Aufbau staatlicher Institutionen, von Polizei, Justiz und Verwaltung. Zwischen Nord und Süd wird es eine neue Blauhelmmission der Vereinten Nationen geben müssen, um Zwischenfälle an der Grenze zu verhindern. Das wäre ein Einsatz, den auch das Sicherheitsratsmitglied Deutschland mit eigenen Soldaten unterstützen könnte. Nord und Süd brauchen Hilfe bei der Etablierung eines funktionierenden Grenzmanagements.

Und der Norden muss gedrängt und ermutigt werden, den Friedensprozess in Darfur weiterzuführen. Hier geht es, anders als im Süden, nicht um Unabhängigkeit. Der Krieg in Darfur ist das Ergebnis jahrzehntelanger politischer und wirtschaftlicher Marginalisierung, sowie von Konflikten zwischen Viehzüchtern und Ackerbauern. Diese wurden durch vermehrte Trockenheit verschärft und sodann von der Regierung ausgenutzt, um Stammesmilizen gegen die Rebellen zu mobilisieren. Die heute wichtigste Rebellengruppe hat vor allem Interesse daran, in Khartum an der Macht beteiligt zu sein.

Der Schlüssel zum Frieden liegt aber nicht nur in einer politischen Verständigung mit den Rebellen, um die sich vor allem die Afrikanische Union und Katar bemühen, sowie in gesellschaftlicher Aussöhnung, zu der die wichtigsten Gruppen durchaus bereit zu sein scheinen. Ein Waffenstillstand in Darfur wird nur halten, wenn es dort Alternativen zum Krieg gibt: eine Wiederbelebung der Landwirtschaft und Investitionen in die Infrastruktur, die eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung ermöglichen. Ohne internationale Hilfe wird der Sudan dies nicht bewerkstelligen können.

Die Unabhängigkeit des Südens bietet den europäischen Staaten so auch eine Chance, ihr Verhältnis zu Khartum auf eine neue Grundlage zu stellen. Die USA haben ohnehin angedeutet, ihre Sanktionen gegen den Sudan aufzuheben, wenn die Regierung in Khartum den Süden in Frieden ziehen lässt. Diese Sanktionen haben bislang auch europäische Firmen von einer Betätigung in diesem - selbst nach der Sezession des Südens - immer noch drittgrößten Land Afrikas abgehalten. Europa sollte jetzt nicht auf ein Einverständnis aus Washington warten: Ein aktives politisches und wirtschaftliches Engagement in beiden sudanesischen Staaten wäre Ausdruck einer selbstbewussten europäischen Friedenspolitik in Afrika.

Volker Perthes ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in berlin. Er ist vor wenigen Tagen von einem Besuch in der sudanesischen Hauptstadt Khartum zurückgekehrt.

© SZ vom 31.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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