Sudan:Lange hat die US-Regierung geschwiegen - nun spricht sie von Völkermord

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Eine junge Sudanesin trauert um ihren Mann, der ihr zufolge von Rapid Support Forces (RSF) getötet wurde. (Foto: ZOHRA BENSEMRA/REUTERS)

In den letzten Tagen seiner Amtszeit wirft Außenminister Blinken der RSF-Miliz im Sudan Genozid vor und verhängt Sanktionen.  Doch Kritiker bemängeln, der Schritt komme zu spät.

Von Arne Perras

Als Vermittler im Sudan ist Washington bislang kaum vorangekommen, trotz einiger Anläufe. Punktuelle Fortschritte für die humanitäre Hilfe konnte der US-Sondergesandte Tom Perriello zwar herausholen, zumindest kurzzeitig. Aber das war’s auch schon. Die Krieger im Sudan, sie wollen offenbar weiter kämpfen, und nicht verhandeln. Auch wenn sie das manchmal anders darstellen. Und besonders reingehängt haben sich auch die Amerikaner nicht in die Versuche, die Gewalt zu stoppen. Die Aufmerksamkeit Washingtons richtete sich auf andere Konflikte: Gaza, Ukraine, die Spannungen mit China.

Dennoch möchte sich der scheidende US-Außenminister Antony Blinken nicht von der afrikanischen Bühne verabschieden, ohne wenigstens noch einen Aufschlag zum Sudan platziert zu haben: Amerikas Chefdiplomat hat sich vergangene Woche mit einer Stellungnahme offiziell darauf festgelegt, dass eine der großen Kriegsparteien im Sudan, die Rapid Support Forces (RSF) unter dem Kommando von Mohamed Hamdan Daglo alias Hemeti, Völkermord verübt haben.

Blinken wirft der RSF und den mit ihr verbündeten Milizen vor, systematisch Männer und Jungen „bestimmter Ethnien“ ermordet zu haben, sogar Kinder, wie der Außenminister sagt; Mädchen und Frauen seien gezielt vergewaltigt worden. „Dieselben Milizen zielten auf fliehende Zivilisten, ermordeten unschuldige Menschen.“ Außerdem hätten sie jene, die zurückgeblieben waren, von lebensrettenden Vorräten abgeschnitten. Hemeti selbst werfen die USA „schwerste Verstöße gegen die Menschenrechte in Darfur vor, nämlich die Massenvergewaltigung von Zivilisten durch RSF-Soldaten unter seiner Kontrolle“.

Zu welchen Ethnien die Opfer gehörten, sagte Blinken allerdings nicht. So bleibt sein Dokument in diesem Punkt auffallend vage, was bereits Kritik hervorgerufen hat.

Seit 2023 kämpfen zwei verfeindete Generäle um die Macht

Erste Hinweise auf genozidale Gewalt durch Hemetis Truppen in Darfur gab es schon bald nach Beginn des Krieges 2023. Untersuchungen von Menschenrechtsorganisationen und Medienrecherchen dokumentieren, wie die RSF Angehörige des Volkes der Masalit in Westdarfur offenbar systematisch verfolgt, getötet und vertrieben hat. Die Regierung Biden blieb damals zurückhaltend. Washington warf beiden verfeindeten Armeen im Dezember 2023 immerhin Kriegsverbrechen vor.

Seit April 2023 kämpfen zwei verfeindete Generäle um die Macht im Sudan. Der eine, Abdel Fattah al-Burhan, befehligt die sudanesischen Streitkräfte SAF; der andere, Hemeti, führt die Miliz RSF. Beide Generäle waren früher einmal Verbündete, dann eskalierte die Rivalität, mit ihren hochgerüsteten Armeen stürzten die beiden Befehlshaber das Land in einen großen Krieg. 638 000 Menschen erleiden laut Blinken „den schlimmsten Hunger in der sudanesischen Geschichte“, 30 Millionen benötigen dort humanitäre Hilfe.  Zehntausende sind im Konflikt schon gestorben.

Viele rätseln nun allerdings, warum die USA erst so spät mit ihrer Einschätzung zu den Gräueltaten in Darfur herausrücken. Cameron Hudson, einstiger US-Diplomat und Afrikaspezialist, sieht darin einen Versuch der Biden-Regierung, sich noch schnell „auf die richtige Seite der Geschichte zu stellen“, aber „das funktioniert nicht“. Es sei dafür zu spät und „zu viele Menschen sind schon gestorben“, kritisiert Hudson, Senior Fellow am Thinktank Center for Strategic and International Studies in Washington.

Nach Ansicht der US-Regierung sind beide Kriegsparteien verantwortlich für das Leiden

Laut Blinken favorisieren die USA nach wie vor keine Seite in diesem Konflikt, die Sanktionierung Hemetis bedeute nicht, dass die USA jetzt die SAF unterstütze. Beide Kriegsparteien seien verantwortlich für die Gewalt und das Leiden. Und beiden Seiten mangele es auch an Legitimität, um künftig einen friedlichen Sudan zu regieren, hieß es aus Washington.

Allerdings ist klar: Die USA rücken mit der öffentlichen Feststellung eines Genozids die Verbrechen der RSF stärker ins Licht, was den Druck auf Hemeti erhöht. Und nicht nur auf ihn. Denn dieser Schritt wird flankiert durch eine Reihe von US-Sanktionen. Sie treffen zunächst Hemeti selbst für seine „systematischen Brutalitäten“ während des Krieges, aber dazu auch sieben Unternehmen, von denen der Kriegsherr und sein Clan ökonomisch und militärisch profitieren sollen. Sie haben alle ihren Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten, jenem Golfstaat, der als wichtigster Unterstützer Hemetis im Krieg gilt.

Durch die Strafmaßnahmen der USA dürfte es mühsamer für Hemetis Lager werden, internationale Geschäfte abzuwickeln. Ohne Hilfe aus Abu Dhabi fehlen Hemeti Geld und Waffen, um seine Kriegsmaschine gegen die Armee von al-Burhan und dessen Verbündete weiterzubetreiben. Seit Monaten verdichten sich Hinweise und Belege, dass die Vereinigten Arabischen Emirate den Schmuggel von militärischem Gerät an Hemeti möglich gemacht haben. Die RSF stützt ihren Kampf beispielsweise auf moderne Drohnen, die ihnen mancherorts entscheidende Vorteile gegen feindliche Truppen verschafft haben.

Schon 2004 prangerte der US-Kongress einen Völkermord in Darfur an

Tatsächlich wird es aber wohl wesentlich von der Regierung Trump abhängen, wie sich eine härtere Gangart gegenüber Hemeti und dessen Verbündete durchsetzen lässt. Biden und Blinken hätten dafür viele Monate Zeit gehabt, warteten aber doch bis zur letzten Minute ihrer Amtszeit, um Hemeti stärker zu isolieren.

Es ist nicht das erste Mal, dass die USA einen Völkermord in Darfur anprangern, das tat schon der US-Kongress im Jahr 2004. Damals rüstete Diktator Omar al-Baschir die sogenannten Janjaweed auf, gefürchtet als „Teufel zu Pferde“. Diese Milizen, die Bashir aus verbündeten arabisch-stämmigen nomadischen Clans rekrutieren ließ, sollten für den Diktator eine Rebellion der nicht arabischen Völker Darfurs niederschlagen, sie verübten von 2003 an schlimme Massaker an wehrlosen Zivilisten und Flüchtlingen. In diesem Konflikt starben nach Schätzungen bis zu 300 000 Menschen.

Gesühnt wurden die Verbrechen von damals nie. Bashir ist angeklagt vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, entzieht sich aber nach wie vor der Verhaftung, weil ihn Generäle im Sudan abschirmen.

Schon damals, im Krieg vor zwei Jahrzehnten, war Hemeti in Darfur aktiv, er führte als junger Mann eine Einheit jener Janjaweed-Kämpfer, die eine blutige Spur durch Savannen und Halbwüsten zogen. Diese Einheiten verfolgten eine Strategie der verbrannten Erde, um ihren Gegnern, den nicht arabischen Aufständischen  – meist Angehörige der Ethnien Zaghawa, Masalit und Fur –, die Basis zu entziehen.

Schon seit Monaten belagert und beschießt die RSF im aktuellen Krieg die Stadt El Fasher und umliegende Vertriebenencamps, um die Armee aus ihrem letzten Stützpunkt in Darfur zu vertreiben. Bisher gelang das Hemeti nicht, auch weil einzelne darfurische Rebellengruppen die SAF stützten – gegen die RSF. Die Gefechtslage ist kompliziert, das Leiden eingeschlossener Zivilisten massiv, militärische Gruppen zersplittern, je länger Kämpfe dauern. Und so wird es zunehmend schwierig, eine Waffenruhe zu vereinbaren, weil immer mehr große und kleine Generäle eine mögliche Vereinbarung mittragen müssten.

Inzwischen hat die Türkei signalisiert, sie wolle einen Vermittlungsversuch im Sudan starten, nachdem alle bisherigen Initiativen für einen Waffenstillstand verpufft waren.

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