Sudan:Auf dem Weg, die Zukunft zu verspielen

Sudan: Das Militär solle die Regierung auflösen und übernehmen, fordern Demonstranten vor dem Präsidentenpalast in Khartum.

Das Militär solle die Regierung auflösen und übernehmen, fordern Demonstranten vor dem Präsidentenpalast in Khartum.

(Foto: Marwan Ali/AP)

Seit dem Sturz des Autokraten Omar al-Baschir wird das Land von einer instabilen Übergangsregierung geführt. Die Gefahr wächst, dass das Militär die Macht übernimmt.

Von Bernd Dörries, Berlin

Es kommt nicht allzu oft vor, dass sich Demonstranten versammeln, mit Transparenten und Sprechchören durch die Straßen marschieren und das Militär auffordern, doch die Herrschaft in ihrem Land zu ergreifen. In Khartum, der Hauptstadt des Sudan, haben die Protestierenden sogar ein kleines Camp vor dem Präsidentenpalast aufgebaut, um zu zeigen, wie ernst sie es meinen mit ihrer Forderung nach einem Putsch des Militärs. In Sprechchören rufen sie seit einigen Tagen: "Ein Volk. Eine Armee."

Im Präsidentenpalast, nicht weit vom Nil, residierte fast drei Jahrzehnte lang Omar al-Baschir, der einst selbst durch einen Putsch an die Macht gekommen war und das Land wie sein persönliches Eigentum regierte. Ende 2018 begannen Hunderttausende gegen seine Schreckensherrschaft zu demonstrieren, darunter viele junge Frauen. Der Prostest war so groß und entschlossen, dass selbst die Militärs keine Lust mehr hatten, an al-Baschir festzuhalten, er wurde im April 2019 gestürzt und ins Gefängnis gesteckt.

Seitdem wird der Sudan von einer komplizierten und instabilen Übergangsregierung geführt. Es gibt einen zivilen Ministerpräsidenten, der eine Regierung von Technokraten leitet, aber vom Souveränitätsrat überwacht wird. An dessen Spitze steht der Armee-General Abdel Fattah al-Burhan. Die zivile Seite aus Vertretern der Revolution möchte die Macht des Militärs beschränken und den demokratischen Übergang beschleunigen, die Armee eher das Gegenteil. Sie müsste im kommenden Jahr eigentlich die Führung an zivile Vertreter übergeben.

Die Übergangsregierung kann einige Erfolge vorweisen

Trotz der fragilen Konstruktion und der widerstreitenden Interessen hat die Übergangsregierung einige Erfolge vorzuweisen: Mit den internationalen Gläubigern wurde eine Entschuldung vereinbart, die USA nahmen den Sudan von ihrer Terrorliste, was Investitionen und Exporte erleichterte. Mit verschiedenen Rebellengruppen wurde Frieden geschlossen, politische Gefangene wurden entlassen, es gibt heute mehr Meinungsfreiheit als unter al-Baschir. Vor allem aber nahm der Sudan nicht, wie von vielen befürchtet, den Weg Libyens, das von einer Diktatur ins Chaos schlitterte.

Für einen Teil der Bevölkerung sind diese Errungenschaften aber nicht viel wert. Die Inflation ist hoch, die Preise für Brot und Getreide steigen, um den Haushalt in den Griff zu bekommen, hat die Regierung Subventionen für Benzin gestrichen. "Das Land ist zerstört", sagte Aljailani Hamid, einer der Demonstranten, dem Nachrichtensender Al Jazeera. "Die Leute sind hungrig, Studenten können nicht lernen. Das Militär soll die Regierung auflösen und übernehmen."

Manche Beobachter befürchten, dass die Militärs im Sudan ähnlich wie in Ägypten die allgemeine Unzufriedenheit über die politische Situation nutzen werden, um wieder die Macht zu übernehmen. Andererseits würde das sehr wahrscheinlich zu erneuten Sanktionen führen und zum Ende der internationalen Finanzhilfen.

Auch das zivile und militärische Lager sind in sich gespalten

Vor allem aber zeigt die zivile Bürgergesellschaft im Land, dass sie eine Machtübernahme des Militärs nicht hinnehmen wird. Hunderttausende demonstrierten am Donnerstag in Khartum für mehr Demokratie. Der zivile Ministerpräsident Abdalla Hamdok sprach vergangene Woche von der schwierigsten Zeit seit der Revolution, das Land sei dabei, seine Zukunft zu verspielen. Vor einem Monat hatten bereits einige Offiziere versucht, einen Staatsstreich anzuzetteln, der aber im Keim erstickt wurde. Seitdem würden sich alle Seiten gegenseitig beschuldigen, das Land zu ruinieren, so Ministerpräsident Hamdok.

Es ist dabei gar nicht so leicht zu beurteilen, wer überhaupt auf welcher Seite steht, da auch das zivile und militärische Lager in sich gespalten sind. Auf der Seite der Demokraten gibt es die Allianz für Freiheit und Wandel (FFC), die vor allem durch die Gegnerschaft zum Ex-Diktator al-Baschir geeint war und jetzt in viele Gruppen zerfällt. Der Sudan hat bis zu 100 politische Parteien, deren große Stärke nicht unbedingt der Kompromiss ist.

Die Seite des Militärs zerfällt wiederum in die offizielle Arme des Generals al-Burhan und die Miliz der Schnellen Eingreiftruppe (RSF) von Mohamed Hamdan "Hemeti" Dagolo, dem stellvertretenden Chef des Souveränitätsrates. Seine RSF sollte eigentlich in die reguläre Armee integriert werden, woran Hemeti wenig Gefallen findet. Mit dem Militär eint ihn aber das Interesse, das Firmengeflecht von Armee und RSF unangetastet zu lassen, zusammen sollen die beiden etwa 400 Unternehmen besitzen, die einen Umsatz von etwa vier Milliarden Dollar machen. Geld, von dem das Volk wenig sieht. Dennoch versuchen die Militärs vor allem in den sozialen Medien, sich als die wahren Anwälte der einfachen Leute darzustellen. Facebook hat mittlerweile mehr als 700 Seiten gelöscht, die bisher Propaganda für die RSF gemacht hatten.

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