Krieg im Sudan:Courage in Khartum

Krieg im Sudan: Am Konflikt hat sich nichts verändert: Eine Straße in Sudans Hauptstadt Khartum Mitte Mai.

Am Konflikt hat sich nichts verändert: Eine Straße in Sudans Hauptstadt Khartum Mitte Mai.

(Foto: AFP)

Die zerbombte Hauptstadt am Nil ist von jeder Hilfe abgeschnitten, die Bewohner sind auf sich selbst zurückgeworfen. Über plündernde Milizen, clever vernetzte Bürger und die Frage, wie lange die Sudanesen das noch durchhalten können.

Von Mirco Keilberth und Arne Perras, Tunis

Offiziell herrscht Waffenruhe in Khartum. Seit Montagnacht. Nur dass Mohamed Elobaid, ein junger Sudanese in der Stadt, davon nichts mitbekommt. Zum Beispiel am Mittwoch, 24. Mai: Da hört er schon früh morgens Salven der Schnellfeuergewehre. Straßengefechte. Nachmittags wird die Lage noch heftiger, als ein Kampfjet über der Gegend niedergeht.

Womöglich haben Kämpfer von Milizenchef Mohamed Hamdan Daglo, genannt Hemeti, die Mig-29 der Luftwaffe vom Himmel geholt. Das sagen die einen. Andere glauben, der Jet sei wegen technischer Mängel abgestürzt. Bestätigt ist weder das eine noch das andere. So ist das in Khartum im Krieg. Wahrheit ist Mangelware, wie so vieles in der geschundenen Stadt am Nil.

Die Luftwaffe untersteht dem Oberkommando von Armeechef Abdel Fattah al-Burhan. Der bekriegt sich mit seinem Rivalen Hemeti, dessen RSF-Milizen sich an vielen Punkten der Stadt verschanzt haben. Die Generäle zerstören seit sechs Wochen die Hauptstadt des Sudan, schüren Gewalt in Darfur. 25 Millionen Sudanesen sind auf Hilfe angewiesen, schätzen die Vereinten Nationen. Aber viele können nicht versorgt werden, solange humanitäre Korridore fehlen.

Beide Seiten wollen die Waffenruhe nutzen, um sich militärische Vorteile zu verschaffen

Sporadisch ist das Internet so stabil, dass Elobaid seine Beobachtungen per Chat versenden kann, dazu Audionachrichten, auf denen der Gefechtslärm des Tages zu hören ist. Dafür, dass die Generäle offiziell eine Waffenruhe vereinbart haben, knallt es in dieser Woche kräftig. "Wir erleben keine Feuerpause," sagt Elobaid, der in seinem Viertel Nachbarschaftshilfe organisiert. Auch andere Sudanesen berichten von Gefechten. Elobaid sagt sogar: "Es ist teils schlimmer als sonst, weil beide Seiten diese Tage offenbar nutzen wollen, um sich militärische Vorteile zu verschaffen."

Andernorts in Khartum ist es offenbar ruhiger geworden, am Konflikt hat sich nichts verändert: beide Generäle setzen jeweils darauf, dass sie den Kampf gewinnen können. Wahrscheinlicher ist ein strategisches Patt - für Zivilisten verheerend.

Knapp tausend Todesopfer sind registriert, die tatsächliche Zahl dürfte weit höher liegen. Ein UN-Mitarbeiter sagt voller Frust, aber nicht unter seinem Namen: "Den Generälen ist das Leben der Leute egal, solange sie ihre Macht sichern." Mehr als eine Million Menschen sind innerhalb des Landes vertrieben, 300 000 über die Grenzen geflohen.

In Port Sudan am Roten Meer hat am 18. Mai ein Schiff festgemacht, die Western Paris, den Bauch voller Sorghum. Mit den 33 000 Tonnen der Hirseart könne die UN etwa eine Million Menschen bis zu drei Monate lang versorgen, rechnet Leni Kinzli vom World Food Program (WFP) vor. Helfen aber konnten sie zunächst nur im Osten, Khartum blieb abgeschnitten. Erst an diesem Samstag konnte man dort beginnen, Nahrungsmittel zu verteilen. Zwar wurde die Feuerpause, die Montag um Mitternacht enden sollte, am Abend um fünf Tage verlängert. Doch sie ist brüchig. Und der Flughafen ist zerstört, man braucht also Konvois über Land.

Die Bewohner in Khartum helfen sich durch ein ausgeklügeltes Nachbarschaftsnetzwerk

So müssen sich die Bewohner in Khartum bei Vielem weiter selbst helfen. Unter schwierigsten Verhältnissen nutzen sie dafür ein ausgeklügeltes Nachbarschaftsnetzwerk, dessen Strukturen die demokratische Bewegung vor Jahren aufgebaut hat. Zivile Kräfte organisierten sich damals, um die Diktatur zu überwinden. Aber der Versuch einer demokratischen Transition scheiterte dann am Kalkül jener beiden Generäle, die jetzt mit Gewalt nach der Macht greifen.

Die zivilen Widerstandskomitees, wie sie sich nennen, versuchen, Bewohnern im Alltag beizustehen, wo sie können. Kreativität und Improvisation ist gefragt, dazu viel Selbstdisziplin. So organisieren sie zum Beispiel kleine Märkte, indem sie Käufer und Verkäufer über Online-Plattformen zusammenbringen. Sie geben Orientierung, welche Wege wegen Kämpfen zu meiden sind. Sie schaffen Wasser mit Trucks herbei. "Wir sind wie ein Ameisenhaufen organisiert", sagt Muzdalifah al-Din, ein Ingenieur. Jede und jeder hat fürs große Ganze eine feste Aufgabe.

Mit anderen Freiwilligen patrouilliert al-Din unbewaffnet nachts auf den Straßen, um Diebe abzuschrecken. Tauchen Milizen oder Soldaten auf, ziehen sie sich zurück. Ein anderer Bewohner sagt, dass man die Kämpfer der Miliz RSF nur noch in wenigen Gegenden meiden könne, oft drohe dann "alles Schlechte", was der Krieg mit sich bringt. Sie töten, plündern. Gold, Geld, Autos. Sie besetzten Häuser, terrorisieren die Leute, die zwischen den Fronten gefangen sind.

Eine 25-jährige Sudanesin berichtet im Chat, dass Angriffe auf Frauen zuletzt stark angestiegen seien. Für die Opfer sexueller Gewalt gibt es spezielle Freiwilligen-Gruppen, die sich um betroffene Frauen kümmern. Die UN bestätigen den Trend, wobei die Täter mutmaßlich aus beiden militärischen Lagern stammen. Oder auch Zivilisten sind, die im Chaos Verbrechen begehen.

Ärzte koordinieren Rettungseinsätze in Whatsapp-Gruppen

In einer verlassenen Wohnung haben Aktivisten ein Lager mit Verbandsmaterial, Milchpulver für Babys und Blutspenden eingerichtet, erzählt al-Din. Die Komitees, die sich über die Stadtviertel verteilen, hatten auch geholfen, ausländische Diplomaten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen aus der Stadt zu retten. Nun bräuchten sie selbst dringend Unterstützung, doch die kommt nicht, solange die Kämpfe weitertoben.

Besonders Mediziner arbeiten unter schwierigsten Bedingungen. "Sind zu viele Kämpfer in der Gegend, kann so ein Komitee seine Gesundheitsstationen schwer betreiben, weil sie die Ärzte schikanieren, Generatoren klauen, etc.", schreibt ein Bewohner. "Ärzte ohne Grenzen" berichtet, dass Lagerhäuser geplündert, Fahrzeuge, Treibstoff und Medikamente von bewaffneten Gruppen gestohlen wurden. Nur ganz wenige Krankenhäuser können noch Patienten behandeln.

Die sudanesische Ärztin Duria Rayis erhält täglich Dutzende Hilferufe. Mit Kollegen koordiniert sie via Whatsapp-Gruppen Rettungseinsätze. "Wir müssen Chirurgen, Blutspenden und Informationen zur Sicherheitslage am Einsatzort zusammenbringen, ein logistischer Albtraum", sagt die Gynäkologin am Telefon.

Rayis sorgt sich vor allem um hochschwangere Frauen und Neugeborene. Der Ärzteverband schätzt, dass etwa 200 000 schwangere Frauen in der Hauptstadt keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Oft geraten gerade Kliniken unter Beschuss, weil sich dort Milizen verschanzen. Und in den kommenden Wochen werden 24 000 Babys zur Welt kommen, allein in Khartum, wie die UN schätzen. Von Mutterschutz keine Spur.

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