Sudan: Fragen und Antworten:Votum am Weißen Nil

In der kommenden Wochen könnte mitten in Afrika ein neuer Staat entstehen: Die Bürger des Südsudan stimmen über ihre Unabhängigkeit ab. Doch könnte dieser Staat überleben? Wie würde Diktator al-Bashir reagieren? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Lena Jakat

Von diesem Sonntag an stimmen die Einwohner des Südsudan darüber ab, ob sie sich mit einem eigenen Staat vom Rest des Landes lösen wollen. Weil es viele Analpheten gibt, entscheiden die Wähler mit Hilfe eines Symbols über die Zukunft ihres Landes: Das Bild zweier Hände, die sich halten, steht auf dem Wahlzettel für die nationale Einheit, eine Hand mit gesprengter Kette für die Unabhängigkeit.

Infografik Sudan

Infografik Sudan

(Foto: Graphik: SZ; sueddeutsche.de)

Warum will der Südsudan unabhängig werden?

Der Konflikt zwischen dem Nord- und dem Südteil des größten afrikanischen Landes wird häufig auf Differenzen zwischen den muslimischen Arabern, die im Norden in der Mehrheit sind, und den oft christlichen Schwarzafrikanern im Süden reduziert. Die Menschen im Süden des Sudan fühlen sich aber auch politisch, wirtschaftlich und kulturell von der Zentralregierung in Khartum an den Rand gedrängt. Außerdem gibt es Konflikte über die Kontrolle wichtiger Rohstoffe. Das mit Abstand wichtigste Exportgut des Landes ist Erdöl. Der Sudan hat viele andere Bodenschätze wie Eisen, Kupfer und Gold, deren Abbau ist aber meist zu teuer.

Im Sudan leben 50 ethnische Gruppen und mehr als 500 Volksstämme in den Grenzen, die einst die Kolonialmächte festgelegt haben, Unabhängigkeitsbestrebungen sind nicht auf den Süden beschränkt. Der Konflikt in der westsudanesischen Region Darfur, der bis heute 200.000 Menschen das Leben kostete, eskalierte, weil sich die - schwarzafrikanischen - Einwohner dort von Khartum vernachlässigt und unterdrückt fühlten. Auch im kargen Osten des Landes kommt es aus ähnlichen Gründen immer wieder zu Unruhen.

Der Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden hat schon vor der Unabhängigkeit des Landes 1956 begonnen und fast 40 Jahre gedauert - damit ist er der längste Krieg in Afrika nach der Kolonialzeit. Zwar konnte der damalige Präsident Dschafar an-Numeiri den Konflikt 1972 eindämmen, doch neun Jahre später brach er jedoch mit einem Aufstand in der südsudanesischen Stadt Bor wieder aus. Die Militärregierung in Khartum folgte zunehmend einer islamistischen Staatsideologie und hatte landesweit die Scharia, das islamische Rechtssystem, eingeführt. Wieder kämpfte der Süden - in Gestalt der Sudanese People's Liberation Army (SPLA) - gegen die Truppen der Zentralregierung.

2005 unterzeichneten Regierung und Rebellen auf internationalen Druck ein Friedensabkommen, das dem Süden Autonomierechte zugestand. Der Vertrag sah zudem eine Übergangsfrist bis zum 15. Juli 2011 vor, in der nicht nur Präsidentschafts- und Parlamentswahlen durchgeführt, sondern auch über die Unabhängigkeit des Südens entschieden werden sollte. Nach den kaum demokratisch zu nennenden Wahlen im vergangenen Jahr markiert das Referendum den Höhepunkt des Friedensprozesses. Zehntausende, die vor den Bürgerkriegen in den Norden des Landes geflohen war, sind wegen der Abstimmung in den Süden zurückgekehrt.

Das Friedensabkommen hat eine vorübergehende nationale Verfassung und eine Satzung für den Süden festgelegt. Die zehn Bundesstaaten im Süden werden von der SPLA weitreichend selbst verwaltet, die Scharia abgeschafft.

Der südsudanesische Präsident - zuerst der Rebellenführer John Garang und später der frühere SPLA-Oberbefehlshaber Salva Kiir - amtiert gleichzeitig als Stellvertreter von Staatschef Omar al-Baschir. Anders als sein verstorbener Vorgänger Garang tritt Kiir für die Unabhängigkeit des Südens ein.

Wie könnte ein südsudanesischer Staat aussehen?

Der neue Staat in der Mitte Afrikas wäre mit 590.000 Quadratkilometern fast doppelt so groß wie Deutschland. Nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs fehlen Verkehrswege ebenso wie Schulen und flächendeckende medizinische Versorgung. Der Sudan gehört zu den am höchsten verschuldeten Ländern der Welt; Kriege, politische Konflikte und Dürreperioden stehen einer Weiterentwicklung der Volkswirtschaft bislang entgegen. 40 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze.

Wirtschaftlich bliebe ein unabhängiger Südsudan auch weiterhin von seinem nördlichen Nachbarn abhängig, da sich die wenigen Industrieanlagen um die Hauptstadt Khartum konzentrieren und alle wichtigen Handelswege über die Hauptstadt verlaufen.

Völlig offen ist, ob sich der Südsudan demokratischen Reformen öffnen würde. Als sicher gilt aber, dass Salva Kiir auch zum Regierungschef eines eigenen Landes ernannt werden würde. Der Bürgerkriegs-Veteran und engagierte Christ ist im Süden äußerst beliebt.

Wie ginge es nach einer Abspaltung weiter?

Es drohen neue gewaltsame Konflikte. Zu welchem Landesteil die Grenzregion Abyei gehören würde, ist zum Beispiel noch unklar - hier gibt es große Erdölreserven. Sowohl der Norden als auch der Süden beanspruchen die Region für sich.

Außerdem wird befürchtet, dass Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen des Südens ausbrechen, die bislang noch einen gemeinsamen Feind - den Norden - haben. Mitglieder des Dinka-Stammes - dem die meisten Südsudanesen und auch Präsident Kiir angehören - dominieren Politik und Sicherheitskräfte. Die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe stellen die Nuer, in deren Gebiet die reichsten Ölvorräte lagern. Während des Bürgerkriegs kämpften sie teilweise an der Seite Khartums gegen die SPLA; sie sind bis heute nicht in die südsudanesische Regierung eingebunden.

Der International Crisis Group zufolge kostete der innenpolitische Konflikt im Südsudan allein im vergangenen Jahr 2500 Menschen das Leben.

Wie würde der Nordsudan reagieren?

Sudans Präsident Omar al-Baschir, der die Abspaltung des Südens ablehnt, hat in den vergangenen Monaten immer wieder betont, dass er den den Ausgang des Referendums akzeptieren werde - doch im Südsudan hat man Erfahrung mit nicht gehaltenen Versprechen und ist daher misstrauisch. Diktator al-Baschir hat bereits angekündigt, im Fall einer Abspaltung des Südens die Scharia zur Grundlage aller Gesetze zu machen.

Viele Südsudanesen, die während des Bürgerkriegs in den Norden geflohen waren, sind auch aus Furcht zurückgekehrt, ein erfolgreiches Unabhängigkeitsreferendum könnte Gewalt gegen Schwarzafrikaner im Norden verstärken.

Wie ist die Haltung der internationalen Staatengemeinschaft?

Die Vereinten Nationen haben das Referendum begrüßt. Sowohl al-Baschir als auch Kiir sollte mehr Anerkennung für den "politischen Willen, den Mut und die Entschlossenheit" entgegengebracht werden, die für den "korrekten, aber schwierigen Weg des Referendums" nötig seien, sagte der Repräsentant des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon im Sudan, Haile Menkerios. Anlässlich des sudanesischen Nationalfeiertags - das Land feiert am 1. Januar die Unabhängigkeit von britischer Kolonialherrschaft - forderte Menkerios die Sudanesen auf, diesen Weg weiterzugehen. Der Gesandte der Vereinten Nationen mahnte jedoch auch eine schnelle Lösung für die ungeklärte Frage der Grenzregion Abyei an.

Die USA zeigten sich im Vorfeld der Abstimmung "optimistisch": "Wir glauben, dass sowohl im Norden als auch im Süden die richtigen Signale bezüglich des Referendums und des Respekts der Ergebnisse gesendet wurden", sagte der Sprecher des US-Außenministeriums.

Wenn in der kommenden Woche vier Millionen Menschen über die Zukunft ihres Landes abstimmen, werden sie das unter der Beobachtung zahlreicher Delegationen tun. Die EU hat 110 Beobachter in den Sudan entsandt. Prominent besetzt ist die Abordnung des Carter Centers: Neben dem Gründer, dem früheren US-Präsidenten Jimmy Carter, reist der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan für die Nichtregierungsorganisation in den Sudan, um das Referendum zu verfolgen.

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