Süddeutsche Zeitung

Sudan:Die treibende Kraft

Rebellische Frauen schoben die Proteste gegen die Diktatur an. Nun verlangen sie ihren Platz in der Politik.

Von Anna Reuß

Die Zeit der Frauen ist gekommen, davon ist Islam Yousif überzeugt. Die Anwältin war eine von Hunderttausenden, die monatelang beharrlich gegen Sudans Diktator Omar al-Baschir demonstrierten. Nun, da der Herrscher gestürzt ist und die Verhandlungen über eine Übergangsregierung besiegelt sind, wollen die Frauen den Platz in der Politik, der ihnen ihrer Meinung nach zusteht.

In dieser Woche einigten sich Opposition und Militärjunta auf eine gemeinsame Übergangsregierung. Obwohl die Details der Öffentlichkeit noch unbekannt sind und die Verfassungserklärung nicht unterzeichnet ist, scheint eine Alleinherrschaft des Militärs fürs Erste abgewendet zu sein. Der Regierungsrat soll aus fünf Zivilisten, fünf Mitgliedern der Armee sowie einer einvernehmlich von beiden Seiten bestimmten elften Person bestehen. Das ist ein Erfolg, der der Beharrlichkeit der Demonstranten zugerechnet wird.

"Die Frauen sind sich der Bedeutung ihrer Rolle beim Aufbau dieses neuen Sudans bewusst", sagt Islam Yousif. Die junge Rechtsanwältin sieht eine "echte Chance", die nicht verpasst werden dürfe. Allerdings sei das in einer männlich-dominierten Gesellschaft wie der sudanesischen eine Herausforderung.

Es waren Frauen aus allen Bildungsschichten, die sich gegenseitig ermutigten, zu protestieren und sich den Sicherheitskräften entgegenzustellen. Sie waren die treibende Kraft während der Proteste.

Nach drei Jahrzehnten hatten die Sudanesen genug von ihrem Diktator. Monatelang demonstrierten sie friedlich. Zu Beginn waren es steigende Brotpreise, die die Menschen auf die Straße trieben. Daraus wurden landesweite Aufstände, das Volk forderte den Rücktritt des Diktators. "Das Baschir-Regime hat dieses Land fast völlig zerstört", sagt die sudanesische Islamwissenschaftlerin Souad Ali, die an der Arizona State University in den USA lehrt. Wichtige Reformen waren ausgeblieben, stattdessen wurden Wirtschafts- und Infrastrukturprojekte zum Wohle einer kleinen Elite privatisiert. Im April wurde al-Baschir gestürzt, das Militär griff nach der Macht.

Als Anfang Juni die Gewalt eskalierte, vergewaltigten paramilitärische Einheiten mindestens 70 Frauen. Aktivisten berichteten zudem, dass Soldaten Frauenunterwäsche an Stangen hochgehalten haben, um die Demonstrantinnen einzuschüchtern. "Besonders junge Frauen wurden Opfer von Verhaftungen und Vergewaltigungen durch Sicherheitskräfte und bewaffnete Milizen", sagt Yousif. "Wir müssen nun sicherstellen, dass Frauen in diesem Land nie wieder solche Verletzungen ertragen müssen."

Auf ihrem Höhepunkt hatte die Revolution ihre Ikone: Die 22 Jahre alte Architekturstudentin Alaa Salah wurde zum Symbol für den Aufstand, als ein Bild von ihr um die Welt ging. Sie trägt darauf ein langes weißes Gewand und goldene Ohrringe. Inmitten Tausender Demonstranten stand sie auf einem Autodach und hob die Hand. In sozialen Netzwerken wurde sie "Kandaka" genannt, nach den nubischen Königinnen des antiken Sudan.

Unter al-Baschir waren Frauen systematisch unterdrückt worden

Für sie und Hunderttausende andere Frauen ging es um mehr als den Sturz des greisen Kleptokraten: Unter al-Baschir waren Frauen unterdrückt worden, sie konnten verhaftet werden, nur, wenn sie ihr Haar nicht bedeckten oder Hosen trugen. Sogenannte Moralgesetze gaben dem Regime die Kontrolle über Millionen Frauen und Mädchen. Ausgeschlossen vom öffentlichen Leben hatten sie auch keine Möglichkeit, die Politik mitzugestalten.

Die Anwältin Islam Yousif ist ein Kind der 1990er-Jahre, sie kannte keinen anderen an der Spitze des Staates als Omar al-Baschir. Während seiner Herrschaft seien vor allem Frauen Leidtragende von Konflikten im Südsudan und Darfur gewesen. "Unsere Rechte waren nie verankert. Wir haben nicht das bekommen, wofür unsere Mütter und Großmütter schon gekämpft hatten", sagt die 27-Jährige. Zumindest die nächsten Generationen sollten sich darum nicht mehr sorgen müssen. "Wir tun alles, damit Frauen dieselben Rechte wie Männer bekommen."

Nun könnte der Moment für Veränderung sein. "Seit 1964 waren Frauen integraler Bestandteil politischer Vereinigungen, Parteien und Organisationen, sowie der Opposition gegen diktatorische Regime", sagt die Wissenschaftlerin Souad Ali. Damals war ein General an der Spitze des Staates gestürzt und die Islamisierung des Landes eingeleitet worden.

Die Frauen sind optimistisch, was ihre neue Rolle angeht, auch wenn der Blick in die Vergangenheit nichts Gutes verheißt: Nach jedem Aufstand wurden zwar Wahlen abgehalten und eine demokratische Regierung gewählt. "Leider waren diese kurzlebig, weil die Armee sich stets verschworen und einen Militärputsch in die Wege geleitet hat." Diesmal sei das sudanesische Volk jedoch entschlossen, das nicht zuzulassen.

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SZ vom 20.07.2019
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