Sudan:Rettung aus Berlin-Mitte

Sudan: Außenministerin Annalena Baerbock (vorne, Mitte) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (vorne, rechts) leiteten den Krisenstab der Bundesregierung im Auswärtigen Amt.

Außenministerin Annalena Baerbock (vorne, Mitte) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (vorne, rechts) leiteten den Krisenstab der Bundesregierung im Auswärtigen Amt.

(Foto: Felix Zahn/photothek.net/Imago)

Nach der Gewaltexplosion wollen alle Sudan verlassen. Wie man im Krisen-Keller des Auswärtigen Amtes versucht, Deutsche aus dem Land zu holen.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Im Büro von Manja Kliese liegt noch eine blaue Camping-Luftmatratze in der Ecke, darauf ein Kissen und eine bunte Wolldecke, eine blaue Sporttasche. Die Diplomatin, 45, arbeitet im "Keller", was durchaus wörtlich zu verstehen ist, im Auswärtigen Amt aber Synonym ist für das Krisenreaktionszentrum, das sie leitet - es liegt im Untergeschoss des Gebäudes am Werderschen Markt in Berlin-Mitte. Am Samstag der vorvergangenen Woche klingelt ihr Handy, als sie gerade beim Joggen ist. Sie weiß schon, was los ist. Bevor sie ins Wochenende ging, hatte sie die Kollegen in der rund um die Uhr besetzten Abteilung gebeten, Sudan im Auge zu behalten. Die Gespräche dort über einen politischen Übergang waren gescheitert, die Rhetorik der rivalisierenden Generäle harsch.

Das ist der Job des Krisenreaktionszentrums: Entwicklungen beobachten, Verschärfungen erkennen, einen Krisenstab einberufen und organisieren. Auch koordiniert das Auswärtige Amt hier die Zusammenarbeit mit den anderen Ressorts der Bundesregierung und internationalen Partnern.

Erster Rat: zu Hause oder an einem anderen sicheren Ort bleiben

Was nun in Sudan folgt, ist eine Explosion der Gewalt mit schweren Gefechten in der Hauptstadt Khartum und an anderen Orten, wie sie kaum jemand hatte kommen sehen. Das einzige, was das Auswärtige Amt den Angehörigen der Botschaft und den deutschen Staatsangehörigen in Sudan in der extrem unübersichtlichen und gefährlichen Lage fürs Erste raten kann: zu Hause oder an einem anderen sicheren Ort bleiben. Draußen detonieren Mörsergranaten, Kampfjets kurven im Tiefflug über der Stadt, Plünderer ziehen durch die Straßen.

Kliese und ihre Kollegen versuchen, sich einen Überblick zu verschaffen, telefonieren mit Kollegen aus EU-Ländern und anderen befreundeten Staaten wie den USA. Schon am Samstag kommt zum ersten Mal der Krisenstab zusammen, in dem auch das Bundesverteidigungsministerium vertreten ist.

Ein bisschen wie eine Übung sei der echte Einsatz dann gelaufen, sagt Kliese. "Wenn wir unsere Abläufe trainieren, werden die Szenarien angereichert mit immer neuen Schwierigkeiten." Neben den Gefechten in dem fernen Land, bei denen es selten eine klare Front gibt, fällt bald der Strom aus, die Kommunikation wird zunehmend schwieriger. Nach eine paar Tagen gehen bei vielen Menschen die Vorräte dem Ende entgegen, wird Trinkwasser sehr knapp.

Geographisch kommt dazu, dass der Nil Khartum in zwei Teile zerschneidet, die drei zentralen Brücken über den Fluss aber gesperrt und umkämpft waren. Wo immer ein Sammelpunkt eingerichtet wird, eine Evakuierung ihren Ausgang nehmen kann - ein Teil der Betroffenen muss stets den Fluss überqueren. Im Berliner Krisenreaktionszentrum hängen Karten an der Wand, auf denen die Schauplätze von Gefechten markiert sind. Dazwischen dicht an dicht Schreibtische, vollgestellt mit Bildschirmen, damit die Mitarbeiter auf Zuruf arbeiten können.

Sudan: Schwer bewaffnete Einheiten der paramilitärischen Rapid Support Forces sind in Khartum und Umgebung unterwegs. Der Machtkampf hält an.

Schwer bewaffnete Einheiten der paramilitärischen Rapid Support Forces sind in Khartum und Umgebung unterwegs. Der Machtkampf hält an.

(Foto: -/AFP)

Per E-Mail, etwas altmodisch anmutend "Landsleutebrief" genannt, per SMS mit automatisierten Anrufen und einer Reihe von Telefonistinnen und Telefonisten versucht der Krisenstab, Kontakt zu den Deutschen aufzunehmen und zu halten. Bei Ausbruch der Gefechte haben sich gerade einmal 50 in der Krisenvorsorgeliste registriert, schnell steigt die Zahl auf 150, am vergangenen Wochenende übersteigt sie 300, und noch immer melden sich einzelne Menschen. Freiwillige aus dem Auswärtigen Amt stoßen zum Personal des Krisenreaktionszentrums dazu, um die Arbeit bewältigen zu können. Manja Kliese schläft allenfalls zwischendurch auf dem Boden in ihrem Büro.

Die Bundeswehr fliegt Elitesoldaten in die Region

Der Handlungsdruck für den Krisenstab steigt mit jedem Tag, doch die Optionen schwinden. Die erste Hoffnung auf eine schnelle Evakuierung über den internationalen Flughafen zerschlägt sich. Drei A400M-Transportflugzeuge der Bundeswehr müssen die Mission nach einem Tankstopp in Griechenland abbrechen; die angekündigte Feuerpause hält nicht.

Spätestens da wird klar, dass auch eine "robuste" Variante einer Rettungsmission im Raum steht. Inzwischen leiten Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsminister Boris Pistorius die Sitzungen des Krisenstabs, und die Bundeswehr verlegt Elitesoldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) samt gepanzerten Fahrzeugen nach Jordanien. Sie könnten die Deutschen rausholen, für die die Bundesregierung eine gesetzliche Fürsorgepflicht trifft.

Dass es dann doch noch anders kommt, ist dem internationalen Druck vor allem seitens der USA und den Feiertagen zum Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan zu danken. Eine Absprache mit der sudanesischen Armee macht die Nutzung eines Militärflugplatzes nördlich von Khartum möglich. Die Franzosen landen dort in der Nacht zum Sonntag, die Deutschen fliegen am Nachmittag das erste Mal hin.

Statt Tipps zur Wasseraufbereitung kann der Krisenstab jetzt Wegbeschreibungen übermitteln. Um die umkämpften Nil-Brücken zu umgehen, müssen die Menschen Umwege in Kauf nehmen. 60 bis 100 Kilometer lang sind die Routen zu dem Flugfeld der Armee, je nachdem, wo die Leute in Khartum wohnen. Italien und Frankreich stellen Konvois zusammen, die von ihren Botschaften starten. Sie nehmen auch Deutsche mit. Eine der Kolonnen kommt unter Beschuss.

30 Kilometer Fußmarsch bei 40 Grad im Schatten

Weil nicht klar ist, wie lange Zeit sein wird, bis die Kämpfe wieder aufflammen, rät die Bundesregierung den Deutschen, sich individuell zum Flughafen durchzuschlagen. Die ersten Kilometer sind die gefährlichsten, die Angst, die Wohnung zu verlassen ist groß. Manche lassen sich von ihrem Hauswart fahren, die Autos müssen ohnehin zurückbleiben. Einer kommt mit dem Fahrrad, zwei andere gehen 30 Kilometern zu Fuß, bei Temperaturen um die 40 Grad. Dehydriert, aber unbeschadet erreichen die deutschen Staatsangehörigen die Flieger.

720 Menschen bringt die Bundeswehr bis Dienstagabend mit sechs Flügen aus Khartum auf den jordanischen Luftwaffenstützpunkt al-Azraq, unter ihnen knapp 200 deutsche Staatsangehörige, deren Familienmitglieder aus Sudan und Bürger von 40 anderen Staaten. 22 Jordanier sind unter ihnen, mehr als 100 Kanadier und mehr als 40 Menschen aus den Niederlanden.

Der Bundestag stimmte dem Einsatz mit einer ungewöhnlich deutlichen Mehrheit zu. Erstmals votierte am Mittwoch auch die Linke mehrheitlich für einen bewaffneten Auslandseinsatz. Insgesamt stimmten im Bundestag 663 Abgeordnete für das Mandat, sieben Abgeordnete enthielten sich, es gab keine Nein-Stimmen. Weil Leib und Leben gefährdet waren, fand die Abstimmung, entsprechend dem Parlamentsbeteiligungsgesetz, erst nach Beginn der Operation statt.

Schon vor der Bundestagsentscheidung am Nachmittag, hatte die Bundeswehr die Flüge wieder eingestellt, im Krisen-Keller des Auswärtigen Amtes geht man langsam wieder dem Routinebetrieb entgegen.

Sudan: Viele Menschen aus Sudan flüchten mit dem Boot nach Saudi-Arabien, hier kommt in Dschidda ein Schiff mit 1687 Zivilisten an, darunter Staatsangehörige aus mehr als 50 Ländern.

Viele Menschen aus Sudan flüchten mit dem Boot nach Saudi-Arabien, hier kommt in Dschidda ein Schiff mit 1687 Zivilisten an, darunter Staatsangehörige aus mehr als 50 Ländern.

(Foto: Amer Hilabi/AFP)

Noch sind Deutsche mit einem UN-Konvoi auf dem Landweg unterwegs, etwa 800 Kilometer von Khartum nach Port Sudan, von wo sie außer Landes gebracht werden sollen. Zwei Deutsche, die zum Tauchen im Roten Meer nach Sudan kamen, schaffen es auf eigene Faust zu einem Schiff, das sie mitnimmt nach Saudi-Arabien. Das Königreich setzt 1700 Menschen mit einer Fähre nach Dschidda über, ein Weg, den auch die geschätzt etwa 20 Deutschen des UN-Konvois nehmen könnten.

Aus anderen Landesteilen können Deutsche versuchen, sich über die Grenze nach Ägypten oder Äthiopien in Sicherheit zu bringen; ihnen steht das Auswärtige Amt mit konsularischem Beistand zur Seite, während die Bundeswehr dem Mandat nach bis Ende Mai bis zu 1600 Soldaten einsetzen dürfte - eine Option, die, so hofft man im Krisenstab, die Bundesregierung nicht mehr wird ziehen müssen.

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