Süddeutsche Zeitung

Sudan:Das Gesicht der Revolution

  • Die 22 Jahre alte Architekturstudentin Alaa Salah ist zum Symbol für den Aufstand des Volkes im Sudan geworden.
  • Bei den Protesten gegen das repressive Regime haben Frauen insgesamt eine zentrale Rolle gespielt.
  • Im Sudan herrschen sehr restriktive Gesetze für Frauen, so sind beispielsweise Prügelstrafen möglich oder Festnahmen wegen unangemessener Kleidung.

Von Anna Reuß

Schon bevor die Proteste zum Sturz des autoritären Herrschers Omar al-Baschir führten, hatte die Revolution ihre Heldin: Zum Symbol für den Aufstand des Volkes gegen seinen Autokraten wurde eine 22 Jahre alte Architekturstudentin aus Khartum. Auf dem Bild, das um die Welt ging, trägt Alaa Salah ein langes weißes Gewand und goldene Ohrringe. Sie steht inmitten Tausender Demonstranten auf einem Autodach und hebt die Hand. Um sie herum skandieren die Massen auf Arabisch: "Revolution!" Das Foto von Salah, wie sie zu den Demonstranten spricht, wurde knapp 70 000 Mal in sozialen Netzwerken geteilt. Ein Nutzer verglich sie mit der Marianne, der französischen Freiheitsfigur, die der Maler Eugène Delacroix auf einem Gemälde mit der Nationalflagge in der Hand darstellte.

Die Frau, die buchstäblich an der Spitze des Aufstands im Sudan steht, wird in den sozialen Medien "Kandaka" genannt, nach den nubischen Königinnen des Reichs Kusch, das vor mehr als 3000 Jahren einen Großteil des heutigen Sudan beherrschte. Salah, deren Mutter Modedesignerin ist, sagte dem Guardian, dass das traditionelle Kleidungsstück in weiß auch politisch aufgeladen sei. So sei sie bereits bei früheren Demonstrationen gegen den Präsidenten nur knapp einer Verhaftung entkommen, weil sie es trug.

Vier Monate lang hatten Tausende Sudanesen immer wieder gegen das repressive Regime protestiert. Die meisten von ihnen waren Frauen. Al-Baschir hatte das Land drei Jahrzehnte autoritär regiert. Am vergangenen Wochenende erreichte der Aufstand seinen Höhepunkt, als die Demonstranten bis zum Hauptquartier der Armee in Khartum vorgedrungen waren. Bei Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften waren seit dem 6. April mehr als 20 Menschen getötet worden. In seiner langen Zeit als Präsident schaffte es al-Baschir nicht, der Nation zum Frieden zu verhelfen. Der Internationale Strafgerichtshof klagte ihn 2010 wegen Völkermordes an, weil die ihm treuen Milizen einen Aufstand in der Region Darfur brutal niedergeschlagen hatten.

Am Donnerstag war schließlich zu hören, dass das Militär die Macht übernommen hatte. Doch egal, wer auf al-Baschir folgen wird: Zum dritten Mal, nach 1964 und 1985, hat das sudanesische Volk im Alleingang einen Diktator gestürzt. Ein Videomitschnitt von den Sprechchören der Demonstranten machte Salah bekannt und lenkte die Aufmerksamkeit auf die Proteste im Sudan. Dort ist sie zu sehen, wie sie ein Gedicht vorträgt und die Menge mit dem Ruf nach Revolution einstimmt: "Am Anfang fand ich eine Gruppe von etwa sechs Frauen, und ich fing an zu singen, und sie sangen mit mir", sagte sie. Daraus seien immer mehr geworden. Seit Beginn des Aufstands habe sie jeden Tag demonstriert.

So wurde Salah auch zur Symbolfigur für den Widerstand der Frauen. In den vergangenen Monaten waren Tausende von ihnen auf die Straße gegangen, Anwältinnen haben sich organisiert und zu Unrecht beschuldigte Demonstranten vor Gericht verteidigt, Ärztinnen behandelten Verletzte, die zwischen die Fronten geraten waren.

Zwar waren Frauen bereits an früheren Aufständen im Sudan maßgeblich beteiligt. Seit 1989 war es jedoch al-Baschir, dessen Regime versuchte, Frauen aus dem öffentlichen Leben auszuschließen. Die Unterdrückung war systematisch: Im Jahr 2016 waren Berichten zufolge rund 15 000 Frauen zu Prügelstrafen verurteilt worden. Die Polizei durfte Frauen festnehmen, wenn sie Hosen trugen oder ihre Haare nicht bedeckten, wenn die Polizisten ihr Verhalten also für religiös unangemessen hielten. Eine Zeile in Salahs Gedicht lautete: "Sie haben uns im Namen der Religion verbrannt, uns im Namen der Religion getötet, uns im Namen der Religion eingesperrt." Salah gehört keiner politischen Partei an. Sie sagt, sie sei einfach auf die Straße gegangen, um für einen besseren Sudan zu kämpfen.

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SZ vom 13.04.2019/eca
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