Süddeutsche Zeitung

Sudan:Ein Land in Aufruhr

In dem Land zwischen Ägypten und Äthiopien werden gerade jede Menge Konflikte blutig ausgetragen: ums Wasser, um Anerkennung und zwischen unterschiedlichen Volksgruppen. Das regierende Militär wird verdächtigt, die Unruhen bewusst zu schüren.

Von Mirco Keilberth, Tunis

Anhänger der ehemaligen Regierungskoalition Sudans haben am Sonntag in der Hauptstadt Khartum ein Ende der zunehmenden Kämpfe zwischen ethnischen Gruppen gefordert. Auch in anderen sudanesischen Städten gingen Hunderte meist junge Menschen unter dem Motto "Eine Heimat Sudan" auf die Straßen.

Der Marsch von Vertretern verschiedener ethnischer Gruppen ist auch eine Reaktion auf den brutalen Polizeieinsatz gegen Aktivisten der Ethnie der Hausa in der vergangenen Woche. Sicherheitskräfte hatten mit Tränengasgranaten in eine Gruppe von Menschenrechtsaktivisten geschossen und dabei viele Menschen verletzt. Die Hausa fordern von der Regierung als eigene ethnische Gruppe und gleichberechtigte sudanesische Staatsbürger anerkannt zu werden.

Doch das ist nur einer von vielen Konflikten, die den Sudan derzeit in Aufruhr versetzen. Mitte Juli waren in der Provinz Blauer Nil bereits mehr als 100 Menschen bei Unruhen zwischen Milizen der Hausa und des Volkes der Birta umgekommen. Die Kämpfe an der sudanesisch-äthiopischen Grenze hatten mit einem Streit um Land und Wasser in der zunehmend unter Dürren leidenden Region begonnen. Mehr als 17 000 Menschen mussten vor den schwer bewaffneten Streitkräften beider Seiten fliehen; die Spannungen dort breiteten sich schnell auf andere Landesteile aus.

In der Stadt Al Rahad in der Provinz Nord-Kordofan stürmte ein mit Messern bewaffneter Mob eine Polizeistation und griff Ladenbesitzer an, die man für Hausa aus der Region Blauer Nil hielt. In Port Sudan und Gedaref gingen wiederum junge Hausa-Milizen gegen andere ethnische Gruppen vor, berichten lokale Radiostationen. Die Auseinandersetzungen hielten mehrere Tage an.

Selbst der Nil leidet unter der Dürre

Der Aufruhr sei ein Resultat mehrerer Krisen, sagt die Journalistin Zeinab Salih aus Khartum. "Nach dem Ende des Krieges gegen den Südsudan, dessen Abspaltung die Regierung in Khartum verhindern wollte, sind Tausende Kalaschnikows und Luftabwehrgeschütze in die Hände lokaler Milizen gefallen. Durch die seit Jahren andauernde Dürre stehen auch in wasserreichen Gebieten des Weißen und Blauen Nils immer weniger Ackerflächen zur Verfügung." Die seit dem Krieg gegen den Südsudan vertriebenen umherziehenden Hirtenfamilien sind mitsamt ihren Rindern auf der Suche nach Futterweiden, ähnlich wie in anderen Ländern der Region.

Auch wenn die Zahl der Demonstranten im Vergleich zum Frühjahr aufgrund der massiven Polizeigewalt drastisch zurückgegangen sei, sieht Zeinab Salih in den ethnischen Spannungen eine ernste Gefahr für den Zusammenhalt der 45 Millionen Einwohner des Landes südlich von Ägypten. Nach Aussagen der Opposition schüre die nach einem Putsch amtierende Militärregierung die ethnischen Konflikte, um die eigene Macht zu festigen.

Andere Konflikte hingegen haben bereits eine lange Geschichte. So kämpfen die Hausa seit der britischen Kolonialzeit um ihre Anerkennung als eigenständige ethnische Gruppe. Im vergangenen Juni haben Politiker der überwiegend sunnitischen Ethnie immerhin eine jahrelange Forderung nach dem Status eines Emirates durchsetzen können. Der Gouverneur der Provinz Blauer Nil erkennt damit auch die Gerichtsbarkeit der religiösen Würdenträger der Hausa an - ein Schritt, der wieder andere Konflikte schürt. Gegen dieses Zugeständnis protestieren nun die traditionell am Nil tonangebenden Birta. Auf sozialen Medien riefen Birta-Aktivisten vor dem Ausbruch der Kämpfe dazu auf, den Hausa die sudanesische Staatsbürgerschaft zu entziehen.

Der Streitigkeiten sind auch eine ernsthafte Gefahr für Gespräche über die politische Zukunft des Landes. Anfang Juni noch hatte der De-facto-Staatschef des Sudan, General Abdel Fattah al-Burhan, verkündet, der Zivilgesellschaft und politischen Akteuren die Verhandlungen zu einem nationalen Dialog zu überlassen. An dem von den Vereinten Nationen unterstützten Prozess werde sich die Armee nicht beteiligen, versprach al-Burhan. Ein militärisches Gremium solle sich allein auf Sicherheits-und Verteidigungsaufgaben konzentrieren. Damit schien ein unblutiger Weg hin zur Demokratie wieder in greifbarer Nähe zu sein. Doch Opposition und Zivilgesellschaft wurden schon einmal von der Militärjunta getäuscht.

Der Konflikt könnte auf Äthiopien übergreifen

Im Sommer 2019 war nach blutigen Straßenprotesten Alleinherrscher Umar al-Baschir aus dem Land gejagt worden. Er hatte den Sudan 30 Jahre lang beherrscht. Anschließend einigten sich Militär und Opposition auf eine Übergangsregierung, die Parlamentswahlen vorbereiten sollte. Doch statt sich im vergangenen Jahr wie angekündigt zurückzuziehen, putschte sich al-Burhan im Oktober an die Macht. Bei den folgenden Massenprotesten wurde mehrere Hundert Menschen erschossen. Erst im Juli trauten sich die meist jungen Oppositionellen in Khartum wieder auf die Straße, sie forderten die Freilassung von politischen Gefangenen und eine zivile Regierung.

Das Militär hat derweil sogenannte schnelle Eingreiftruppen in die Unruhegebiete im Südosten des Landes geschickt. In den Städten Roseires und Al Damazin erließ der Gouverneur der Provinz Blauer Nil eine nächtliche Ausgangssperre, er verbot Versammlungen und Aufmärsche. Die Machthaber im benachbarten Äthiopien schauen besorgt auf diese Eskalation im Grenzgebiet, da Angehörige der Birta und Hausa auf beiden Seiten der Demarkationslinie leben.

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