Stuttgart:Wahlrecht mit Strukturschwäche

In keinem Landesparlament sitzen so wenige Frauen wie im Südwesten. Das liegt auch am einzigartigen Wahlmodus.

Von Robert Probst

Hanne Landgraf (SPD) aus Karlsruhe hält einen einsamen Rekord in der Geschichte des Landes Baden-Württemberg. Ausgerechnet im Jahr 1968 wurde sie als einzige Abgeordnete in den Landtag gewählt und blieb dort "einsam" bis 1972 als Vertreterin ihres Geschlechts. Statistisch ergab das einen Frauenanteil von 0,8 Prozent; um sie herum tummelten sich 126 Männer von CDU, SPD, FDP/DVP und NPD. Immerhin: Seither ging es geradezu steil bergauf, momentan sind 35 Frauen unter den 143 Abgeordneten. Der Anteil von 24,5 Prozent ist allerdings der schlechteste Wert deutschlandweit.

Dass im Südwesten immer noch die wenigsten Frauen im Parlament sitzen, hat strukturelle Gründe. Das Landtagswahlrecht ist im Ländervergleich einzigartig: Jede Wählerin, jeder Wähler hat nur eine Stimme. Es werden auf diese Art 70 Direktmandate vergeben. Die restlichen 50 Sitze werden unter den "unterlegenen" Kandidaten verteilt, geordnet nach Regierungsbezirk und Partei. Überhang- und Ausgleichsmandate können die Zahl der Sitze erhöhen.

Mit anderen Worten: Es fehlt eine Landesliste und das benachteiligt Frauen. In anderen Bundesländern wenden mehrere Parteien bei der Landesliste eine Quotenregelung an. Im Südwesten dagegen werden die Landtagskandidatinnen und -kandidaten direkt von den Parteimitgliedern des Wahlkreises bestimmt. "Und diese Wahl wird in der Regel nur nachrangig von der Idee der Geschlechtergerechtigkeit bestimmt", so die Landeszentrale für politische Bildung.

Schon seit einigen Jahren wird daher über eine Reform des Landeswahlrechts debattiert, jetzt kam es darüber zum Knatsch zwischen den Regierungsparteien. Der durchschnittliche Frauenanteil in den deutschen Landesparlamenten beträgt aktuell 29,3 Prozent. Die meisten Frauen sitzen in Magdeburg im Landtag (40,6 Prozent).

Hanne Landgraf (1914-2005) übrigens vermochte sich im Landtag durchzusetzen, die Sozialpolitikerin wurde respektvoll "Gräfin" genannt. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Landtag 1976 nominierte die SPD für ihren Wahlkreis - einen Mann.

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