Süddeutsche Zeitung

Stuttgart-Stammheim:Als Erinnerungsort ungeeignet

Fast 50 Jahre nach Beginn des Prozesses gegen die Rote-Armee-Fraktion soll das Gerichtsgebäude in Stuttgart abgerissen werden. Zumindest aus architektonischer Sicht durchaus zu verschmerzen.

Von Max Ferstl, Stuttgart

Der Gerichtssaal könnte durchaus als Schulturnhalle durchgehen, ein gesichtsloser Klotz aus Beton und Stahl, wären da nicht die Überwachungskameras - und das Gefängnis, das sich drohend auf der linken Seite erhebt. Von außen sieht es so aus, als wären beide Gebäude miteinander verwachsen. Derselbe Zaun, derselbe Stacheldraht, dasselbe Grau. Von der Anklagebank sind es nur wenige Meter bis zu den Zellenblocks im Gefängnis Stuttgart-Stammheim.

Es gibt Orte, die sind untrennbar mit ihrer Geschichte verbunden, allein der Name ist ein Symbol. Stammheim steht für die Rote Armee Fraktion und für den Kampf des Staates gegen Terrorismus. Hier, am nördlichen Stadtrand Stuttgarts, saßen vor knapp fünfzig Jahren die RAF-Anführer ein: Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe. Hier wurde ihnen der Prozess gemacht, wegen vierfachen Mordes und versuchten Mordes in 54 Fällen.

Der Stammheim-Prozess ist ein wichtiger Teil der Geschichte der Bundesrepublik - doch sein Schauplatz wird bald verschwinden. Der alte Gerichtssaal soll abgerissen werden, das hat das baden-württembergische Finanzministerium vergangene Woche mitgeteilt.

Zumindest aus architektonischer Sicht dürfte es schon schmerzhaftere Verluste gegeben haben. Wer vor der Halle steht, kann sich vorstellen, wie düster es drinnen aussieht. Der Bau hat keine Fenster, der Beton hat sich an manchen Stellen schwarz verfärbt. 1975, als das Gebäude eigens für den RAF-Prozess gebaut worden war, war nur die Sicherheit entscheidend.

Als der Prozess 1975 beginnt, herrscht "Festungsatmosphäre"

Niemand wollte das Risiko eingehen, die prominenten Gefangenen könnten bei einem längeren Transport zum Gericht befreit werden. Deshalb setzte man den Verhandlungssaal direkt an das Gefängnis. Als der Prozess am 21. Mai 1975 beginnt, herrscht "Festungsatmosphäre", wie der Rechtshistoriker Uwe Wesel schreibt, "400 bewaffnete Polizisten in und auf dem Gebäude und drum herum". Und dazu: "Überwachungskameras, Außenscheinwerfer, Spanische Reiter vor dem Gebäude."

Der Prozess verläuft ziemlich chaotisch. Die Terroristen, denen vorgeworfen wird, bei der "Mai-Offensive" 1972 Sprengstoffanschläge auf ein US-Offizierskasino in Frankfurt und das US-Hauptquartier in Heidelberg verübt zu haben, nutzen die Bühne, um ihre Verachtung gegen den deutschen Staat zu demonstrieren. Sie feixen, überziehen Richter und Pflichtverteidiger mit Beleidigungen, von denen "imperialistisches Staatsschwein" (Ulrike Meinhof) noch zu den harmloseren zählt.

Doch auch die Justiz liefert kein Musterbeispiel für saubere Prozessführung. Vertrauliche Gespräche zwischen Verteidigern und Angeklagten werden heimlich abgehört. Der Vorsitzende Richter muss zwischendurch ausgetauscht werden. Von einem "Monstrum in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik" schreibt der Historiker Wesel. Am Ende werden Baader, Ensslin und Raspe zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt, wenig später begehen sie Suizid, wie zuvor schon Ulrike Meinhof.

In dem Gerichtssaal, ursprünglich als Provisorium gedacht, fanden allerdings noch lange kritische Prozesse statt. Bis 1997 gab es insgesamt 49 RAF-Verfahren, 1329 Verhandlungstage. Auch Fälle der organisierten Kriminalität wurden hier verhandelt.

Doch seit 2019 das neue Gerichtsgebäude eingeweiht wurde, nahm die Debatte Fahrt auf, was mit dem alten geschehen solle. Zweifellos hatte es einen historischen Wert, doch es ist auch ein kompliziertes Denkmal. Der Bau ist als Erinnerungsort äußerst ungeeignet, weil Gefängnisse naturgemäß schlecht zugänglich sind. Stattdessen soll dort nun ein Krankenhaus entstehen.

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