Stuttgart 21: Die Verhandlungen:Im Stresstest

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Es waren anstrengende Stunden für Schlichter Heiner Geißler. Hinter verschlossenen Türen bemühte er sich, zwischen Gegnern und Bahn zu vermitteln - zuerst mit teils ernüchternden Resultaten. Doch dann findet sich die Lösung.

Martin Kotynek, Stuttgart

Das erste Urteil, das Heiner Geißler am letzten Tag der Schlichtung im Streit um Stuttgart 21 fällt, ist in der Runde aus Befürwortern und Gegnern konsensfähig: Der Kaffee in den ICE-Zügen sei "von zu verbessernder Qualität", die Hotline "ein einziges Ärgernis", und wenn man bei den Fahrkarten-Automaten auf den falschen Knopf drücke, dann lande man in Pforzheim statt in Köln. Da gebe es Verbesserungspotential, mahnt er.

Die undatierte Computergrafik zeigt den neuen Stuttgarter Bahnhof, wie er nach den Wünschen der Deutsche Bahn aussehen soll.   (Foto: ddp)

Rüdiger Grube, der Bahn-Chef, nickt und nickt. Er ist zum ersten Mal dabei, bei dem letzten Schlichtungstermin im Stuttgarter Rathaus. "Schön, dass Sie sich für das Ergebnis der Schlichtung interessieren", heißt ihn Geißler willkommen.

Auch in seinem zweiten Urteil an diesem Dienstag mahnt Heiner Geißler Verbesserungen bei der Bahn an. Es geht um Stuttgart 21, und auch da nicken die Bahn-Leute, als der Schlichter seinen Spruch verkündet. Dass sie das tun, ist Heiner Geißler zu verdanken.

Sein Spielraum war eng. Als er den Gegnern mittags hinter verschlossenen Türen eröffnet, zu welchen Zugeständnissen die Projektbetreiber maximal bereit sind, wirkt er ernüchtert, berichten Teilnehmer. Die Zusage, keine gesunden Bäume zu fällen, und eine Stiftung für die frei werdenden Grundstücke zu schaffen, hatte Geißler den Befürwortern abgetrotzt. Doch bei der Infrastruktur des Projektes wollte die Bahn lediglich die Zusage machen, so zu bauen, dass Schienen und Gleise als Option in Zukunft erweitert werden könnten.

"Das ist doch bloß Kosmetik", sagen die Gegner da - und legen Geißler ihre Forderung nach einem Leistungsnachweis von Stuttgart 21 vor. In langen Gesprächen gelingt es dem Schlichter daraufhin, die Regierung und die Bahn zu überzeugen, sich darauf einzulassen, diesen Nachweis in Form eines "Stresstests" zu erbringen. Grube und sein Vorstandskollege Volker Kefer beraten darüber längere Zeit im Geheimen.

Doch noch während Geißler das Ergebnis der Verhandlungen verkündet, dringen von unten aus dem Rathaus die Protestchöre der Gegner herauf in den Sitzungssaal. Im Treppenhaus rufen sie "Oben bleiben!", sie fordern also, den Bahnhof nicht unter die Erde zu legen. Und vor dem Rathaus dröhnt es: "Mappus weg!" Die Rufe verstummen an diesem Abend lange nicht.

Die Gegner sind unzufrieden. Statt den alten Bahnhof zu behalten, werden sie jetzt wohl ein "Stuttgart 21 Plus" bekommen, fürchten sie; das hieße noch mehr Investitionen in ein Projekt, das sie für falsch halten. Auf mindestens 500 Millionen Euro schätzen die Gegner die von Geißler angeregten Verbesserungen, welche die Bahn umsetzen muss, wenn sie in dem Stresstest ihr Versprechen höherer Leistungsfähigkeit nicht halten kann. Für Samstag hat ein Teil des Gegner-Bündnisses bereits eine neue Großdemonstration angekündigt.

Protest gegen Stuttgart 21
:"Rambo zeigt sein Gesicht"

Nach den gewaltsamen Ausschreitungen bei Demonstrationen gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 gehen die Gegner weiter auf die Straße. Die nächsten Bäume fallen trotzdem.

Dabei können die Gegner eigentlich zufrieden sein mit dem Urteil. Dass die Bahn eingestehen muss, in der zentralen Frage unsicher zu sein, ob der geplante Bahnhof tatsächlich mehr kann als der alte, ist ein Erfolg. Doch ihre Erwartungen waren höher. Sie hofften, Geißler während der sechswöchigen Schlichtung davon zu überzeugen, dass ihr Alternativkonzept eines sanierten und erweiterten Kopfbahnhofes besser sei als der geplante Tiefbahnhof.

Doch Geißler wusste, dass die Landesregierung einer solchen Empfehlung niemals folgen würde. Zumindest hatten die Gegner aber gehofft, dass Geißler der Bahn vorschreiben würde, solange die Bagger am Hauptbahnhof ruhen zu lassen, bis das Ergebnis des Stresstests vorliegt.

Festlegen wollten sich die Projektbetreiber auf diese Zusage aber nicht, und so ist in Geißlers Schlichterspruch davon auch nichts zu lesen. Bahn-Vorstand Kefer machte aber zumindest mündlich das Zugeständnis, dass er "nicht schon morgen die Bagger rollen lassen" wird. Wenn der Stresstest allerdings zeige, "dass wir weiterbauen können, dann werden wir weitermachen", stellte er klar.

In zwei Dingen waren sich die beiden Seiten jedoch an diesem Abend einig: Die Schlichtung war ein Erfolg - und hat sich auch menschlich für die Beteiligten gelohnt. Er werde seinen Grundwerten nun zwei weitere hinzufügen, sagte Kefer - in den insgesamt mehr als 60 Stunden Verhandlungen habe er von Geißler Demut und Beharrlichkeit gelernt.

Beide Seiten dankten dem 80-Jährigen für seine ehrenamtliche Arbeit.

© SZ vom 01.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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