Heiner Geißler im Gespräch:Es gibt keinen Baustopp

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Er habe den Konflikt "humanisiert", sagt Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler. Im SZ-Interview erklärt der 80-Jährige, warum es keinen Baustopp geben kann - und warum die Bahn dennoch nicht sofort weiterbauen werde.

Martin Kotynek und Heribert Prantl

Es ist der Morgen nach dem Schlichterspruch, kurz vor acht. Heiner Geißler sitzt in seinem Stuttgarter Hotelzimmer. Er hat eine Bergsteiger-Jacke umgehängt, eine Mitarbeiterin schmiert ihm eine Honigsemmel, es gibt Kaffee, für ihn schwarz mit Zucker und Süßstoff. Der 80-Jährige behauptet, nach den siebenstündigen Verhandlungen vom Vortag müde zu sein. Davon ist aber gar nichts zu merken.

"Ich habe den Konflikt humanisiert": Heiner Geißler verkündete am Dienstagabend seinen Schlichterspruch. (Foto: dpa)

SZ: "Es gibt kein Richtiges im Falschen", hat Adorno in seiner Schrift Minima Moralia gesagt. Nach Ihrem Schlichterspruch sagen die Gegner von Stuttgart 21, Sie hätten dem Falschen das Gütesiegel des Richtigen gegeben.

Heiner Geißler: Stuttgart 21 ist fehlerhaft. Ich habe gesagt, was man verbessern muss und mich für das realistischere Konzept entschieden. Denn der Tiefbahnhof mit all seinen Mängeln ist eben durchgeplant, er ist finanziert, und er ist realisierbar - das kann man von dem Alternativkonzept der Gegner nicht sagen.

SZ: Den eigentlichen Konflikt haben Sie damit aber nicht gelöst.

Geißler: Das kann ich auch nicht. Manche denken, ich sei der Messias oder Harun al-Raschid oder ein Zauberer, der die ganze Eisenbahn im Allgemeinen, die Landesregierung und Oberbürgermeister dirigieren kann. Blau und Gelb, das kann man mischen, dann kommt Grün raus. Bei kontradiktorischen Gegensätzen kann man nicht schlichten.

SZ: Wenn man Weiß und Schwarz mischt, kommt Grau raus.

Geißler: Ja, das kann man sagen, aber aus einer grauen Wäsche machen wir jetzt hoffentlich eine blütenweiße.

SZ: Hat sich auch gleich Ministerpräsident Stefan Mappus von Ihnen politisch weißwaschen lassen?

Geißler: Davon kann überhaupt keine Rede sein. Ich war in meinem politischen Leben immer unabhängig, das wissen die Zeitgenossen. Wenn es so ist, dass jemand nun einen politischen Vorteil hat, dann ist das für die einen ein Kollateralschaden und für die anderen ein Kollateralvorteil, der sich aus der Sache ergibt - für den ich aber gar nichts kann.

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SZ: Wer ist denn nun im Vorteil?

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Wer besetzte aus Protest den Nordflügel des Hauptbahnhofs? Was hat da der Juchtenkäfer zu suchen? Und wie sieht eine Lichtkuppel aus? Das Wichtigste zum umstrittenen Großprojekt Stuttgart 21.

Geißler: Das hängt davon ab, wie jetzt der Wahlkampf geführt wird. Die Chancen, die Wahlen zu gewinnen, werden auch davon abhängig sein, ob sich die politischen Parteien anständig benehmen und sich an dem Stil orientieren, der ihnen durch die Schlichtung vorgegeben worden ist.

SZ: Was hat Ihre Schlichtung bewirkt, wenn der Konflikt weiter ungelöst ist?

Geißler: Ich habe den Konflikt humanisiert. Man kann Konflikte nicht einfach beseitigen, vor allem nicht, wenn sie so kontradiktorisch angelegt sind. Aber wir können die Austragung des Konfliktes harmonisieren und humanisieren.

SZ: Fürchten Sie, dass die Humanisierung des Konflikts in den nächsten Wochen wieder verloren geht?

Geißler: Ich hoffe, dass beide Seiten etwas gelernt haben. Nur darf nicht der Fehler gemacht werden, dass alleine schon das Demonstrieren als eine Verletzung der Humanisierung angesehen wird. Das Demonstrieren ist eine Form der humanen Austragung eines solchen Konflikts. Was aber nicht sein darf, sind Gewaltanwendung, Beleidigungen und Aufrufe, jemanden umzubringen.

SZ: Erwarten Sie, dass die Zeit des aufeinander Eindreschens nun vorbei ist?

Geißler: Ja, zwischen den Schlichtungsteilnehmern und ihren Gruppen. Aber niemand kann die Verantwortung übernehmen für kleine Gruppierungen wie die "Aktiven Parkschützer", die an der Schlichtung nicht teilgenommen haben. Das sind vielleicht 15 Leute mit vielleicht noch einmal 50 Anhängern. Sie sind keine Massenbewegung, sie sind nicht die eigentlichen Träger des Alternativkonzepts. Die Träger sind vielmehr die Zehntausenden Bürger von Stuttgart, ganz normale Leute, die die Methoden der Parkschützer ablehnen. Und das Gründungsziel der Parkschützer ist ja erreicht. Sie wollten den Park schützen. Genau das ist eine der Verbesserungen, die in der Schlichtung erzielt worden sind. Keine gesunden Bäume werden gefällt.

SZ: Warum haben Sie viele Bürger in der Hoffnung enttäuscht, dass Sie, wenn schon nicht eine Volksabstimmung, wenigstens eine Volksbefragung fordern?

Geißler: Weil ich mich nicht daran beteilige, die Leute an der Nase herumzuführen. Eine Volksbefragung wäre rechtlich völlig unverbindlich, und die Bahn wäre nicht gehalten gewesen, sich daran zu orientieren. Natürlich hätte die Landesregierung sagen können: Wir ziehen unsere Landesmittel zurück und sorgen dafür, dass nicht weitergebaut wird, wenn die Bevölkerung das will. Dann müsste aber das Land diese Ausstiegskosten bezahlen, denn die Bahn würde sich einen solchen Vertragsbruch nicht gefallen lassen. Außerdem ist es einfach Geld- und Zeitverschwendung, wenn ohnehin in vier Monaten eine Landtagswahl stattfindet. Wenn die Leute mit der einen oder anderen Partei wegen dieses Bahnhofs nicht einverstanden sind, dann können sie das bei der Landtagswahl ja mitteilen.

SZ: Enttäuschung gibt es auch, dass der sogenannte Stresstest nun beginnen soll, aber gleichzeitig gehen die Bauarbeiten weiter. Ist das nicht ein problematisches Nebeneinander, weil man nicht weiß, wie der Test ausgeht?

Geißler: Nein. Der Stresstest soll ja nicht beantworten, ob der Bahnhof überhaupt gebaut werden kann, sondern er soll klären, welche Verbesserungen gegenüber dem jetzigen Konzept notwendig sind. Für die Befürworter war die Voraussetzung, sich an den Tisch zu setzen, dass die Friedenspflicht nur so lange dauert wie die Schlichtung - und danach geht es mit dem Bau so weiter, wie das vorher auch geplant war.

SZ: Fährt die Bahn also jetzt gleich wieder mit dem Bagger vor?

Geißler: Rein rechtlich könnten die Bahn-Leute das; mit dem Ende der Schlichtung ist ja auch der Baustopp zu Ende. Aber die Bahn-Leute fahren jetzt nicht gleich wieder mit dem Bagger vor, das tun sie nicht, weil sie ja auch nicht blöd sind. Die Bahn will und soll die Menschen nicht provozieren.

SZ: Kann bei dem Stresstest herauskommen, den Bahnhof nicht zu bauen?

Geißler: Nein. Dieser Test soll nur feststellen, ob und welche Verbesserungen notwendig sind, um auf die von der Bahn versprochene Zahl von Zügen zu kommen.

SZ: Wer trägt dann die Mehrkosten?

Geißler: Die Bauherrin, also die Bahn.

SZ: Wer kontrolliert eigentlich die Einhaltung Ihrer Forderungen?

Geißler: Die Projektgegner sind die schärfsten Kontrolleure, die man sich vorstellen kann. Ich schlage zusätzlich vor, dass ein Gremium installiert wird, das die Konflikte löst, die während des weiteren Baus entstehen können.

SZ: Unter Ihrem Vorsitz?

Geißler: Nein. Ich beende meine Tätigkeit als Schlichter, und zwar sofort. Ich will ein Buch fertigschreiben, das ich für die Schlichtung unterbrechen musste.

SZ: Mit der Schlichtung, so sagt man, haben Sie doch so viel verdient, dass Sie doch eigentlich gar kein Buch mehr schreiben müssten.

Geißler: Ich kriege für die Schlichtung nicht einen Cent. Und auch meine Mitarbeiter nicht. Wir kriegen die Fahrt- und Hotelkosten ersetzt. Das alles hier entzieht sich wirtschaftlichen Überlegungen. Ich müsste eine Summe verlangen, die den Etat von Baden-Württemberg sprengen würde.

SZ: Heiner Geißler ist unbezahlbar?

Geißler: Das kann man so sagen.

© SZ vom 02.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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