Stuttgart 21:"Alles ... außer mitentscheiden"

Der Protest geht weiter: Viele Stuttgart-21-Gegner glauben nicht, dass Heiner Geißler als Schlichter etwas bewegen kann - und werfen Ministerpräsident Mappus "Rambo-Methoden" vor. Für die Bürger geht es längst nicht mehr nur um einen Bahnhof.

Michael König, Stuttgart

Stefan Mappus ist volksnah an diesem Mittwoch, aber das liegt nicht an ihm. Der baden-württembergische Ministerpräsident hat soeben im Landtag seine Lösung des Konflikts um Stuttgart 21 präsentiert: Ein Schlichter soll her, Heiner Geißler soll es machen. Der CDU-Veteran, den die Grünen vorgeschlagen hatten. Ein Baustopp oder eine Volksabstimmung kommen für Mappus aber nicht in Frage.

Atomkraftgegner demonstrieren in Stuttgart

Mehrere tausend Kernkraftgegner demonstrieren in Stuttgart mit Fahnen und Transparenten gegen die Atompläne der schwarz-gelben Bundesregierung sowie gegen Stuttgart 21. Besonders scharf in der Kritik steht Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus.

(Foto: dpa)

Nur einen Kastanienwurf entfernt versammeln sich zur gleichen Zeit die Menschen, denen Mappus "die Hand zum Dialog reichen möchte", wie er sagt. Menschen wie Marlene Hanselmann-Majev, 53 Jahre alt, Verlagsbuchhändlerin. Eine "sehr, sehr brave Bürgerin", darauf legt sie wert. Eine, die früher einmal zum CDU-Stammpublikum gehört haben könnte. Jetzt trägt sie einen grünen Button am Revers ihrer Jacke. "Oben bleiben", steht darauf.

Frau Hanselmann-Majev steht auf dem Schlossplatz, sie ist nicht allein. Während der Ministerpräsident nach seiner Regierungserklärung im Plenum des Landtags bleibt, einem holzvertäfelten Raum ohne Fenster und mit beißendem Neonlicht, treffen sich etwa 100 Meter weiter schon wieder die Demonstranten unter freiem Himmel. Die Sonne scheint, es ist perfektes Demo-Wetter. Etwa 7000 Menschen werden es am Ende sein, sagen die Veranstalter.

Sie bilden eine Menschenkette rund um den Landtag, der von einer Heerschar von Polizisten bewacht wird. Die Beamten halten sich im Hintergrund. Aber mehr als zwei Dutzend Mannschaftswagen, die auf dem Parkplatz neben dem Landtag stehen, sprechen eine deutliche Sprache. Die Erinnerungen an vergangenen Donnerstag, als die Demonstration im Schlossgarten eskalierte, sind noch frisch. Auch bei Marlene Hanselmann-Majev.

Eigentlich ist sie diesmal gar nicht wegen Stuttgart 21 auf die Straße gegangen. Eigentlich ist es eine Anti-Atomkraft-Demonstration. Aber auch bei diesem Thema "hat Ministerpräsident Mappus seine Rambo-Ellbogen ausgefahren", wie Frau Hanselmann-Majev sagt.

"Die CDU denkt, ihr gehört das Land"

Um sie herum wehen beinahe so viele Anti-S21-Banner wie Anti-Atomkraft-Flaggen. Die grünen Buttons sind allgegenwärtig. Es ist eine Anti-Atom-Anti-Stuttgart-21-Demo. "Wir können alles ... außer mitentscheiden", steht auf einem Plakat in Anspielung auf einen früheren Werbeslogan des Ländles. In den Augen der Demonstranten gilt das für beide Themen.

"Die CDU denkt, ihr gehört das Land", empört sich Frau Hanselmann-Majev. "Da heißt es, Menschen wie ich seien Berufsdemonstranten, die von Linken aufgehetzt worden seien. Wenn ich so etwas höre, werde ich grantig." Dass der 80 Jahre alte Heiner Geißler als Vermittler eingeschaltet wurde, kann sie höchstens ein bisschen versöhnen: "Der Geißler ist mit dem Alter ja immer vernünftiger geworden", sagt sie. "Aber wenn es nur darum geht, Details zu klären, dann halte ich seine Berufung für fragwürdig."

Im benachbarten Landtag hatte Ministerpräsident Mappus gleich nach der Berufung Geißlers gesagt, er wolle mit dem Vermittler und den Gegnern über die Gestaltung des Bahnhofs reden, über die Architektur des neuen Viertels, über Geologie und barrierefreie Zugänge. Die Opposition hält das für einen Witz.

"Geißlers Berufung kann nur ein erster Schritt zur Besserung sein", sagt SPD-Landeschef Nils Schmid zu sueddeutsche.de. "Ministerpräsident Mappus verkennt völlig, dass es längst nicht mehr nur um ein Bahnhofsprojekt geht, sondern um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Baden-Württemberg."

Schmid hat es auch nicht leicht bei den Bürgern. Weil die SPD grundsätzlich für Stuttgart 21 ist, aber angesichts der dramatischen Demo am Donnerstag, bei der mindestens 100 Menschen verletzt wurden, eine Volksabstimmung fordert, ist sie in den Augen vieler Aktivisten eine Umfallerpartei.

Kritik an der SPD

"Das sind keine Volksvertreter mehr im Landtag. Das sind Politiker, die das Volk treten", sagt Peter Pipiorke, der nicht weit entfernt von Frau Hanselmann-Majev steht. In seiner Hand ein Holzstiel mit zwei Fahnen: Oben Anti-AKW, unten Anti-Stuttgart 21. "Ist in beiden Fällen dasselbe Rambo-Muster, das Mappus an den Tag gelegt hat", sagt der 58-Jährige.

Pipiorke ist Mitglied beim Verein "Naturfreunde Radgruppe Stuttgart", am Samstag will er mit 1000 Gleichgesinnten durch die Innenstadt radeln. Geißler hin, Geißler her. "Ich finde den ja eigentlich gut", sagt Pipiorke über den Schlichter. "Aber ich habe meine Zweifel, ob Bahn-Chef Grube und Mappus überhaupt bereit sind, zu diskutieren."

Dass wegen der Berufung des früheren CDU-Generalsekretärs weniger Leute auf die Straße gehen, glaubt Pipiorke nicht: "Die Wut über die niederträchtige Aktion am Donnerstag ist so groß, daran werden die Leute noch lange zu knabbern haben."

Diesmal bleibt die Stimmung friedlich. Es gibt kein Gerangel, nur Getöse. Die Leute pusten in ihre Trillerpfeifen, es ist ein ohrenbetäubender Lärm. "Ab-schal-ten", rufen die einen, "O-ben blei-ben" die anderen. Die Kette um den Landtag schließt sich. Auch Albrecht Wilckens macht mit. Der 48-Jährige trägt Radlerkluft und isst Äpfel aus einer Tupperdose. Er hat seine Familie mitgebracht. Wilckens ist sauer, das merkt man ihm an.

"Die hätten auch den Papst oder Gott als Vermittler einsetzen können. Das hätte nichts geändert. Mappus hat kein substantielles Angebot gemacht", sagt der Angestellte aus Ludwigsburg. "Es dauert noch drei Wochen, bis wir ihn weichgekocht haben." Was dann passiert? Wilckens zuckt mit den Schultern.

Bahn darf vorerst keine Bäume fällen

Auf große Zustimmung dürfte eine Entscheidung des Eisenbahnbundesamts stoßen: Demnach darf die Deutsche Bahn auf dem Gelände von Stuttgart 21 vorerst keine Bäume mehr fällen, weil dort seltene Tiere leben. Zunächst müsse die DB Projektbau einen Plan zum Schutz von Juchtenkäfern und Fledermäusen vorlegen - bei einer Zuwiderhandlung ist ein Zwangsgeld von 250 000 Euro angedroht.

Einen ähnlichen Erfolg erhoffen sich Umweltschützer, die einen sofortigen Baustopp beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg beantragt haben. Laut der Deutschen Umwelthilfe sind auf der Baustelle zahlreiche Baumaschinen ohne Partikelfilter im Einsatz - illegalerweise. Der Feinstaub gefährde die Gesundheit der Anwohner, heißt es. Die Demonstranten würde es nicht wundern, wenn es so wäre. Viele haben genug Lebenserfahrung, mit seinen 48 Jahren ist Wilckens einer der Jüngeren auf der Demo. Der Altersschnitt ist erstaunlich hoch.

"Die Stuttgarter Jugend ist noch nicht so politisch, aber das ändert sich gerade", sagt Rebekka Blum, die sich am südlichen Ende des Schlossplatzes postiert hat. Blum ist 20 Jahre alt und Studentin - mit dieser Biographie ist sie an diesem Mittwoch klar in der Minderheit. "Die Leute sind nicht blöd", sagt sie. Vielleicht holen sie kurz Luft und gucken, was Geißler macht. Aber der Protest wird nicht einschlafen, solange Mappus uns nicht ernst nimmt."

Junge Leute in der Minderheit

Rebekka Blum kennt den Vermittler, von dem die Grünen-Chefin Claudia Roth im Interview mit der Stuttgarter Zeitung sagte, er müsse als Erstes dafür sorgen, dass alle Zahlen offengelegt werden, nur als nimmermüden Polit-Rentner aus dem Fernsehen. Andere Demonstranten haben ihn live erlebt, haben mitbekommen, wie er sich vom provokanten CDU-Generalsekretär zum Attac-Mitglied wandelte. Viele rechnen ihm das hoch an. Kaum einer äußert sich negativ über Geißler. Aber Vertrauen klingt trotzdem anders.

"Ich weiß nicht, wie er das wieder hinbekommen will", sagt Eberhard Nerz, der mit Gattin und Freunden auf der Königsstraße steht. "Hier kulminiert der Frust über viele Dinge. Über die Finanzkrise, über die Milliarden-Boni für Banker, über die Laufzeitverlängerung."

Nerz ist 66, er ist gegen Atomkraft. Aber er ist für Stuttgart 21. Er trägt einen weißen "Pro 21"-Button am Revers. Es sind nicht viele davon zu sehen, "aber es gibt sie", sagt Nerz und lächelt. Er könne die Gegner verstehen: "Man muss ein bisschen technikgläubig sein", sagt der Rentner. Weiter kommt er nicht - denn ein anderer Demonstrant spricht ihn an: "Wo kann ich diese Buttons bekommen?"

Der andere Mann heißt Hans Säurle, er ist Arzt und ebenfalls ein Befürworter - allerdings einer, der auch schon auf Anti-S21-Demos war. "Es macht Spaß, es ist top organisiert. Es ist ein Happening", sagt Säurle und zuckt mit den Schultern. "Da haben die Gegner den Befürwortern noch einiges voraus."

Noch? Am Morgen vor der Demo hat das Haupt- und Personalamt der Landeshauptstadt Stuttgart eine Stellenanzeige im Internet geschaltet. Gesucht wird:"Fachfrau/-mann Öffentlichkeitsarbeit" mit dem Themenschwerpunkt "Städtebauprojekt Stuttgart 21".

Bewerber sollten folgende Qualifikationen mitbringen: "Umfassende Kenntnisse moderner Kommunikationsstrategien sowie deren praktische Umsetzung." Und außerdem: "Die Fähigkeit, auch schwierige Sachverhalte zielgruppenorientiert und leicht verständlich aufzubereiten."

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