Stuttgart 21:Zeichen vergangener Zeit

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Unter diesem Logo hat sich der Protest gegen das umstrittene Bahnhofsprojekt in Stuttgart versammelt - erfunden hat es Ulrich Stübler. (Foto: REUTERS)

Die Gegner des Stuttgarter Bahnhofprojekts gehen zum 250. Mal auf die Straße. Ulrich Stübler war schon bei der ersten Demo dabei - er hat das Logo des Protests erfunden. Wie fühlt er sich nach all den Jahren des Widerstands? Als Verlierer?

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Ulrich Stübler kann beim besten Willen keine spannende Geschichte erzählen über den Moment, der sein Leben veränderte. Er weiß nicht einmal mehr, wann und wo genau er das Zeichen erfand, irgendwann 2007 mag das gewesen sein, für eine der ersten großen Demos. "Es war einfach da", sagt er. Wie das nun mal ist mit Geistesblitzen: Irgendwann ist die Zeit reif, und alles, was der Mensch sein Leben lang gelernt hat, fließt wie von selbst in einem Werk zusammen. In so einem Moment hat Ulrich Stübler am Computer ein Ortsausfahrtschild gestaltet. Stuttgart 21, durchgestrichen. Auf seinen ersten Entwürfen gab es dazu noch einen Pfeil und die Wörter: Stadt der Bürger. Aber der Zusatz verschwand bald wieder, er lenkte nur ab von der eigentlichen Botschaft: Stuttgart 21, schwarze Schrift auf gelbem Grund, roter Strich. Das Zeichen des Widerstands. "Und das", sagt Ulrich Stübler, "war dann ein ziemlicher Selbstläufer."

Als am 26. Oktober 2009 zur ersten Montagsdemonstration gegen das Bahnhofsprojekt aufgerufen wurde, marschierten nur vier Teilnehmer mit. Ulrich Stübler war dabei, sein Zeichen auch. Am kommenden Montag ist zur 250. Montagsdemonstration aufgerufen. Ulrich Stübler wird dabei sein, sein Zeichen auch. Wie er sich fühlen wird, vor dem Bahnhof, beim großen Jubiläum, nach all den Jahren des Widerstands? Als Verlierer?

Der Widerstand "hat fast gewonnen"

Stübler, 55 Jahre alt, Grafikdesigner am Stuttgarter Naturkundemuseum, wählt seine Worte mit großer Sorgfalt. Manchmal dauert es sehr lange, bis er die Wahrheit eingekreist hat. Man kann dann beobachten, wie verbissen er um den richtigen Begriff ringt, der Mann im schwarzen T-Shirt und der braunen Cordhose, das Resthaar kurz geschoren. Oder man kann sich ausführlich umsehen im kreativen Chaos seines Arbeitszimmers. Aber die Frage, ob er sich als Verlierer fühlt, wo der Tiefbahnhof nun doch gebaut wird - die beantwortet er, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. "Nein", sagt er. Der Widerstand habe "fast gewonnen", und das sei angesichts der mächtigen Gegner schon ein großer Erfolg.

Es würde an der Stelle zu nichts führen, über Sinn und Unsinn von Stuttgart 21 zu debattieren. Die Meinung der Gegner ist in Beton gegossen: Ein Jahrhundertskandal, dieses Projekt, gegen jede Vernunft durchgepaukt von einer Lobby, die im Hintergrund schaltet und waltet, letztlich das Werk von Angela Merkel, die auf dem Bau beharrte, als die Bahn-Chefs schon aufgeben wollten.

So sieht das auch Stübler. Allerdings ist ihm durchaus bewusst, dass dieser unversöhnliche Widerstand, der Andersdenkenden entweder Böswilligkeit oder Ahnungslosigkeit unterstellt, manchmal "absonderlich und schrullig" wirkt. Einmal hat er selbst den Demonstrationszug an sich vorbeiziehen lassen. Manches erschien ihm skurril, manches zwanghaft. Und doch ist diese "Bewegung", wie er den Widerstand nennt, seine Heimat geblieben. Die Konsequenz seines Lebens.

Den ersten kleinen Protest gegen Stuttgart 21 gab es am 26. Oktober 2009. Ein Jahr später - wie hier - ist der Unmut schon größer. (Foto: Alex Domanski/Reuters)

Ein politischer Mensch

Stübler ist immer schon ein politischer Mensch gewesen. Er wollte nach seinem Studium an der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch-Gmünd keinesfalls in einer Werbeagentur arbeiten, weil er den Einfluss von Werbung für verheerend hält, vor allem für Kinder. Deshalb begann er, im Museum zu arbeiten. Anfangs hat er Texte auf Schildchen aufgezogen, Schautafeln zusammengenagelt. "Das ist schon ein tiefer Fall, sozusagen", sagt er. Im Laufe der Jahre stiegen die Ansprüche an die grafische Aufbereitung von Ausstellungen, aber im Grund seines Herzens wollte er politisch arbeiten. Er engagierte sich gegen Atomkraft, gegen Gentechnik, für die Friedensbewegung.

Bei Stuttgart 21 kam nun beides zusammen, seine politische Haltung und seine berufliche Ausbildung. Die hochgradige Politisierung Stuttgarts, ja sogar der Machtwechsel in Baden-Württemberg wäre wohl ohne den Widerstand, der sich unter seinem Zeichen versammelte, nicht möglich gewesen. Sein Logo ging durch das ganze Land, wurde vielfach kopiert, fand Anwendung für alle möglichen Formen des Bürgerprotests. "Das war schon eine ziemliche Befriedigung, nachdem ich in meinem Grafikerdasein nur mit Dinosauriern und Fossilien gearbeitet hatte."

Stübler hat mit dem Logo keinen Cent verdient. Eine Anwältin habe sich mal um das Copyright kümmern wollen, sagt er, aber er habe keine Ahnung, was daraus geworden ist. Ihm geht es nicht um Geld, sondern, ein großes Wort: um die Demokratie. Er hält die 250 Montagsdemonstrationen zwar für höchst respektabel - aber noch eindrucksvoller fände er sie, wenn man 250 Mal ohne behördliche Genehmigung demonstriert hätte. Auch bei den zentralen Einheitsfeierlichkeiten am 3. Oktober 2013 in Stuttgart haben er und seine Freunde gegen das Bahnhofsprojekt demonstriert. Was Ulrich Stübler in Erinnerung blieb: Die schwarz-rot-gelben S21-Fähnchen mit seinem Logo sahen, wenn sie zusammengeknüllt am Boden lagen, genauso aus wie die Deutschland-Fähnchen. Das fand Stübler wirklich "spannend".

© SZ vom 04.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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