Stuttgart 21: Start der Schlichtung:Von Gipfel zu Gipfel

Es wird ernst: die Schlichtungsgespräche zu Stuttgart 21 beginnen. Noch trennen die Befürworter und Gegner des Projekts Welten voneinander. Wie sich die Diskussion entwickeln wird, ist völlig offen. Selbst die Teilnehmer wissen nicht, worauf alles hinausläuft.

Martin Kotynek

Der Aiguille du Dru ist ein Berg mit zwei Gipfeln. Er hat eine unglaublich steile Westwand, und viele sind bei ihrer Besteigung gescheitert. Heiner Geißler ist ein begeisterter Bergsteiger, und er ist auch Schirmherr des Tegernseer Bergfilm-Festivals, das an diesem Freitag eine Dokumentation über den Berg in Frankreich zeigen wird.

Schlichtungsgespraeche zu 'Stuttgart 21'

Am Verhandlungstisch: Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) mit (von links) Wolfgang Schuster (OB), Thomas Bopp (CDU), Heiner Geißler, Volker Kefer (Bahn), Hannes Rockenbauch.

(Foto: dapd)

Heiner Geißler wird sie vermutlich nicht sehen. Tagsüber wird er selbst auf einer Leinwand im Stuttgarter Rathaus zu sehen sein, und im Fernsehen, und auch im Internet. Dort wird übertragen, wie Geißler selbst eine Art Erstbesteigung wagt und den Streit um Stuttgart 21 schlichtet - einen Streit, der bisweilen so erbittert geführt wird, dass mancher die Grundfeste der repräsentativen Demokratie erschüttert sieht.

Erstmals wird über ein Großprojekt verhandelt, nachdem Parlamente es beschlossen haben, nachdem es zu großen Teilen genehmigt wurde, nachdem Gerichte darüber Recht gesprochen haben - und nachdem mit seinem Bau begonnen wurde. Das ist nötig geworden, weil das Vertrauen vieler Baden-Württemberger in die Projektbetreiber verloren gegangen ist. In ihrer Begeisterung für den neuen Bahnknoten im Südwesten haben Land, Stadt und Bahn vergessen, die Bürger an den Entscheidungen der Behörden ausreichend teilhaben zu lassen. Dieses Vertrauen wiederherzustellen - und dem Projekt somit eine Legitimation zu verschaffen, die es aus Sicht vieler Menschen durch die rechtlichen Verfahren nicht erhalten hat-, wird zumindest so schwierig sein wie eine steile Bergwand zu besteigen.

Heiner Geißler hat dazu ein Verfahren entwickelt, das beide Seiten akzeptiert haben: Sieben Befürworter und sieben Gegner treffen sechs Wochen lang jeweils am Freitag aufeinander, bis Ende November sprechen sie über alle strittigen Punkte. Am Schluss sollen beide Seiten in möglichst vielen Punkten zu einer gemeinsamen Bewertung kommen. Damit sich alle Interessierten selbst ein Bild über die Argumente von Befürwortern und Gegnern machen können, wird alles live übertragen.

Wer sich dabei einen flotten Schlagabtausch auf dem Niveau einer politischen Talkshow erwartet, wird jedoch enttäuscht sein. Es soll rein um die Fakten gehen. Geißler duldet keine Sprüche und politischen Rededuelle, er will ausschließlich zur Sache verhandeln. Die Befürworter müssen auf geschliffene Hochglanzbroschüren-Rhetorik über vage Chancen für die Region verzichten und sämtliche Fakten und Kostenrechnungen auf den Tisch legen.

Und die Gegner werden es nicht bei pauschalen Ablehnungsparolen belassen können und zeigen müssen, ob ihr Alternativkonzept "K21" tatsächlich besser und billiger ist als Stuttgart 21. Dabei wird es etwa um Gipsschichten unter der Stadt, um die Dicke von Tunnelwänden, die Neigung von Bahnsteigen und um die Kosten gehen. Es wird also bisweilen mühsam und technisch. Und es wird sehr oft Grundsätzliches angesprochen werden, wie schon bei der ersten Sitzung an diesem Freitag, bei der die Leistungsfähigkeit des Bahnknotens Stuttgart 21 - und damit auch die Sinnhaftigkeit der Verkehrspolitik - zur Diskussion steht.

Festgelegt ist nur, dass Volker Kefer, der technische Vorstand der Bahn, 45 Minuten lang die strategische Bedeutung von Stuttgart 21 erläutern wird. Danach werden die Gegner ebenfalls 45 Minuten lang erwidern. Was dann geschieht, ist offen. Es gibt ein grobes Konzept, an dem sich die weitere Diskussion orientieren soll - Geißler will über die Verkehrsbedeutung, die Konzeption des Knotens und über den Nutzen für den Bahnverkehr sprechen.

Befürworter und Gegner sitzen sich gegenüber

Wie das im Detail funktionieren soll, weiß aber nicht einmal der Schlichter selbst so genau. Bei den weiteren Terminen stehen Gespräche über die Neubaustrecke nach Ulm, die Wirtschaftlichkeit, über die Sicherheit, den Bauablauf, den Städtebau und über den Umweltschutz auf dem Programm.

Für die Befürworter sitzen neben dem Bahn-Vorstand Kefer der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU), die Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU), Thomas Bopp als Vertreter der Region Stuttgart und der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) am Tisch.

Die Gegner werden unter anderem vom Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) und dem ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten und Architekten Peter Conradi vertreten. Mit Werner Wölfle ist auch ein grüner Landtagsabgeordneter dabei, der als besonnener Stratege des Aktionsbündnisses gilt. Hinzu kommen Vertreter von Umwelt- und Verkehrsverbänden und lokalen Initiativen. Beide Seiten haben auch Experten geladen.

In einer Frage stimmen Befürworter und Gegner bereits vor Beginn der Gespräche überein: Einigen wird man sich nicht; auf ein gemeinsames Ziel streben die Kontrahenten nicht zu. Die Betreiber hoffen, einige Ängste bei den Kritikern beheben zu können - etwa, was die Sorge einstürzender Häuser während des Bahnhofsbaus betrifft. Und die Gegner sind zufrieden, wenn sie einzelne Angaben der Betreiber widerlegen können. Wie der Aiguille du Dru hat daher auch die Schlichtung zwei Gipfel. Erreichen Befürworter und Kritiker jeweils ihren eigenen, war ihre sechswöchige Tour schon erfolgreich.

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