Stuttgart 21:Schlichtung ohne Aussicht

Vor laufenden Kameras versucht Heiner Geißler im Streit um den Bahnhofs-Neubau zu vermitteln. Und tatsächlich: Befürworter und Gegner von Stuttgart 21 reden. Aber sie reden nicht miteinander, sondern nebeneinander her: ein Schaukampf.

Martin Kotynek, Stuttgart

Es war eine Premiere ohne Generalprobe, ein Experiment vor laufender Kamera. Heiner Geißler schlichtet live, er versucht, im Streit um Stuttgart 21 zu vermitteln. Und eines ist ihm dabei gelungen: Befürworter und Gegner reden. Zwar reden sie nicht miteinander, sondern nebeneinander her. Und sie sagen dabei auch nicht viel. Aber Vertreter beider Seiten sitzen im Rathaus an einem Tisch, sie halten zivilisierte Reden, sie zeigen Powerpoint-Folien, sie rufen Experten auf. Bedenkt man, wie gewaltsam der Konflikt noch Ende September eskaliert ist, dann ist das fast eine Sensation.

Stuttgart 21  - Beginn der Schlichtung

Noch lächeln sie: Ministerpräsident Stefan Mappus (zweiter von rechts) begrüßt den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, einen Tunnel-Gegner.

(Foto: dpa)

Zur Klärung des Konfliktes konnte die erste Gesprächsrunde jedoch inhaltlich wenig beitragen. Es sollte "um die Sache" gehen, wie Geißler am Freitagmorgen die Runde aufgerufen hatte. Er verbat sich "Predigten, Glaubensbekenntnisse und historische Seminare". Die Teilnehmer an der Diskussion - Politiker, Wissenschaftler, Bahnexperten, Umweltschützer - hielten sich nur zum Teil daran.

Den Beginn machte Volker Kefer, der Technik-Chef der Bahn. Er nennt seine Gegner "Partner". An die Wand projiziert er Folien, auf denen der bestehende Kopfbahnhof im Zusammenhang mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Dampfloks zu sehen ist. Er rühmt den geplanten Durchgangsbahnhof, und in seiner Präsentation sausen rote Punkte auf Gleisplänen quer durch Baden-Württemberg. Vom "Lückenschluss"im Südwesten redet er und von zehn Millionen Fahrgästen, die zur Schiene wechseln. Neue Fakten liefert Kefer nicht.

Boris Palmer, der Tübinger Oberbürgermeister, tut das auch nicht. Der grüne Kommunalpolitiker hält ein flammendes Plädoyer für den bestehenden Bahnhof, er wirft den Projektbetreibern vor, dass "ihre Planung einen Rückschritt darstellt", er bestreitet, dass "die wirtschaftliche Zukunft des Landes von Stuttgart 21 abhängt". Zugleich wirbt er um Wähler aus dem CDU-Lager, er nennt es "eine konservative Tugend, etwas zu erhalten, das sich bewährt hat". Für Palmer ist klar: Stuttgart 21 ist die falsche Priorität, die Bahn sollte andere Strecken ausbauen.

Nach diesen beiden Reden steigt Geißler in die Diskussion ein. Er fordert einen "Fakten-Check", doch was er bekommt, ist zum Teil eine verkehrswissenschaftliche Fachsimpelei, zum Teil ein Schlagabtausch mit bekannten Argumenten. Es geht um das "Tunnelgebirge" des Kopfbahnhofes, um Haltezeiten von Zügen, um "die Sensitivität von Randbedingungen", um Engstellen im Schienennetz, und wer sich nicht mit den Details der Bahntechnik auskennt, hört viele Behauptungen, aber wenige Beweise.

Die Gegner zeigen sich dabei angriffslustig, die Befürworter geraten zeitweise in die Defensive. Sie würden "nicht nur Äpfel mit Birnen, sondern auch Äpfel mit Orangen vergleichen", wirft die Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) den Gegnern zwischendurch vor, dann sagt sie: "Wir kommen ständig von dem ab, was wir uns heute vorgenommen haben". Sie kommt aber nicht dazu, ihre Kritik zu begründen. Kaum kreist die Diskussion um ein Thema - zunächst geht es um den Güterverkehr auf der Neubaustrecke, dann um die Frage, ob der Kopfbahnhof besser als ein Durchgangsbahnhof ist -, meldet sich wieder ein Experte zu Wort und führt das Gespräch zu einem Detail, bei dem sich die Runde minutenlang aufhält; es wird über die Aussagekraft von Studien, Gutachten und Prognosen debattiert, dann lässt man den Punkt unerledigt liegen und kommt zum nächsten.

Immer wieder versucht Heiner Geißler, gemeinsame Positionen zusammenzufassen. Als er merkt, dass ihm das nicht gelingt, beginnt er, sich aktiver in das Gespräch einzumischen. Er fordert beide Seiten dazu auf, auf Fachbegriffe zu verzichten, stellt Fragen an die Bahn - "Warum funktioniert der Taktfahrplan wie in der Schweiz nicht auch in Deutschland?" - und wird allmählich strenger. "Beantworten Sie diese Frage nur, wenn sie uns weiterbringt", ruft er einen Experten auf. "Sie haben jetzt nicht das Wort", sagt er zu einem anderen. Dann versucht er, mit einem Fragenkatalog, den Boris Palmer vorgelegt hat, zu Ergebnissen zu kommen. Nach einer Viertelstunde gibt die Runde auch dieses Vorhaben auf.

Allmählich wird den Vertretern im Saal deutlich: Sie nehmen an einer Schlichtung ohne Aussicht auf Einigung teil. Dazu sind Befürworter und Gegner in grundsätzlichen Fragen, wie etwa der Notwendigkeit eines neuen Bahnhofs, zu weit voneinander entfernt. Statt an einem Schlichterspruch interessiert zu sein, scheinen die Kritiker die Bühne für eine Abrechnung mit den Projektbetreibern nutzen zu wollen. Und die Befürworter lassen sie gewähren - sie bemühen sich, Dialogbereitschaft zu zeigen. Ein Konsens ist nicht in Sicht. Doch immerhin ist die Gefahr, dass man sich wieder im Schlossgarten vor Wasserwerfern, Bauzäunen und Polizeiabsperrungen trifft, vorerst gebannt.

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