Stuttgart 21: Reaktionen der Gegner:"Herr Geißler, können Sie ruhig schlafen?"

Es bleibt beim Widerstand - auch gegen "S21 plus". Im Web formiert sich neuer Protest, Schauspieler Walter Sittler fordert zum Weitermachen auf. Der Stresstest der Bahn lässt derweil auf sich warten.

Michael König

Hannes Rockenbauch stand im gleißenden Scheinwerferlicht auf der Treppe im Stuttgarter Rathaus, zwei Stufen höher als sein Publikum. Er hatte zunächst Mühe, sich gegen die Trillerpfeifen und Sprechchöre durchzusetzen. Dann rief er: "Der Widerstand geht weiter. Es geht jetzt darum, am 11. Dezember alles zu mobilisieren, damit wir eine Riesendemo hinbekommen." Direkt vor dem jungen Stadtrat vom Bündnis Stuttgart-Ökologisch-Sozial (SÖS) hatte sich ein Stuttgart-21-Gegner mit Bart und Norwegerpulli aufgebaut. Er ballte die Faust und brüllte: "Die kannst du schon heute Abend haben, Hannes!"

Tatsächlich dauerte es nach dem Schlichterspruch kaum 90 Minuten, bis ein Protestzug durch die Stuttgarter Innenstadt marschierte und "Oben bleiben" und "Mappus weg" skandierte. Vom Hauptbahnhof zum Landtag und zum Neuen Schloss, wo es Rangeleien mit Sicherheitskräften gab. Dabei soll eine Scheibe zu Bruch gegangen sein, berichten Stuttgarter Medien.

Es war eine vergleichsweise kleine Gruppe, die demonstrierte - etwa 150 bis 200 Menschen. Aber es war womöglich ein Vorgeschmack darauf, was Stuttgart in den kommenden Tagen und Wochen erwartet. Eine Flut von sarkastischen bis wütenden Einträgen bei Twitter und Facebook deutet darauf hin, dass der Protest mit dem Ende der Schlichtung noch lange nicht vorbei ist.

"Guten Morgen, Herr Geißler. Hat Sie Ihr Gewissen schlafen lassen?", fragt eine erboste S21-Gegnerin bei Facebook. Auf der Gegnerseite www.facebook.com/keinstuttgart21 kommen sekündlich neue Einträge hinzu. Ein User namens "Störtebeker Klaus" zitiert dort Heinrich Böll: "Widerstand ist kein Recht; er ist eine Pflicht, jedem Menschen mitgegeben."

Eine andere Frau schreibt in Anlehnung an die Verbesserungsvorschläge des Schlichters: "Wir wollten kein S21, wir haben es verhindert. Wir wollen kein S21+, wir werden es verhindern." Ein Facebook-Nutzer mit Che-Guevara-Profilbild sorgt sich derweil um seine Ausrüstung: "Muss ich jetzt auf alle Anti-S21-Plakate noch ein Plus malen? Danke, Herr Geißler!"

Bei Twitter kursieren derweil zahlreiche Aufrufe zur Demonstration am 11. Dezember, zu der das Gegnerbündnis aufgerufen hat. Die Parkschützer wollen allerdings schon früher aktiv werden - am kommenden Freitag um fünf Uhr morgens. Um diese Uhrzeit würden am Nordausgang des Hauptbahnhofs Bäume gefällt, melden mehrere Twitter-Accounts aus dem Umfeld der Parkschützer-Initiative.

Deren Sprecher Matthias von Herrmann sagte zu sueddeutsche.de, er wisse aus sicherer Quelle, dass es so kommen soll: "Die Firma, die die Baumfällarbeiten durchführt, hat uns das bestätigt." Um welche Firma es sich handelt, sagte von Herrmann nicht. Die Bahn wollte den Termin auf Anfrage von sueddeutsche.de nicht bestätigen.

Bahn-Technik-Vorstand Kefer sagte auf einer Pressekonferenz an diesem Mittwoch, es würden "vorerst" keine Bäume gefällt. Wann an der Umwandlung des Kopfbahnhofs in eine unterirdische Station weitergebaut werde, sei noch offen. "Es gibt aus meiner Sicht keinen Grund, nicht mit den Baumaßnahmen weiterzumachen." Nach der Schlichtung hatte Kefer gesagt, die Bahn wolle nicht "gleich morgen früh die Bagger rollen lassen".

Der Stresstest, mit dem die Bahn die Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofs beweisen soll, lässt indes noch auf sich warten. Er werde erst Mitte 2011 abgeschlossen sein, sagte Kefer in Stuttgart. Erst müsse ein Fahrplan konstruiert werden.

Bislang habe man die Kapazität von Bahnprojekten nur auf Grundlage der in etwa zu erwartenden Taktfrequenzen berechnet. Es sei nicht üblich, "zehn Jahre, bevor der Fahrplan in Betrieb geht, eine echte Fahrplankonstruktion zu machen". Normalerweise würde man erst darauf warten, was das Land für Fahrpläne haben wolle.

Mit dem Fällen der Bäume am Nordausgang des Stuttgarter Bahnhofs würde die Bahn nicht gegen Geißlers Empfehlung handeln: Der Schlichter hatte zwar gefordert, nur kranke Bäume dürften abgesägt werden, gesunde müssten umgepflanzt werden. Allerdings bezieht sich diese Aussage nur auf die Bäume im Schlossgarten. Jene am Nordausgang sind davon nicht betroffen.

Sittler sieht "unglaubliche Schwächen"

Parkschützer von Herrmann will trotzdem protestieren - und fürchtet Ärger mit der Polizei: "Da wird es sicher einen heftigen Einsatz geben." Er hoffe darauf, dass sich viele Aktivisten schützend vor die Bäume stellen. Es sei zwar schwer, am frühen Freitagmorgen Demonstranten zu mobilisieren, "aber wenn ein paar hundert kommen, dann hat das schon einen Effekt".

Tumult bei Demonstration gegen 'Stuttgart 21'

Tumulte am Neuen Schloss in Stuttgart: Nach dem Schlichterspruch am Dienstagabend gingen etwa 200 Demonstranten gegen Stuttgart 21 auf die Straße. Es kam zu Rangeleien.

(Foto: dapd)

Die Opposition verlangt weiter einen Baustopp, den die Bahn jedoch ablehnt. Es sei sinnvoll, das Ergebnis des Stresstests abzuwarten, bei dem die Bahn die Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofs in einer Simulation beweisen soll, sagte Grünen-Parteichef Cem Özdemir. Der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, stieß ins gleiche Horn: "Man kann doch nicht weiterbauen, wenn man noch gar nicht weiß, was gebaut werden soll", sagte er.

Der Schauspieler und S21-Gegner Walter Sittler rechnet mit einer Eskalation, falls am Freitag tatsächlich Bäume fallen. "Das macht mich fassungslos. Und das ist auch völlig unnötig", sagte Sittler zu sueddeutsche.de. Er verweist auf eine Aussage von Verkehrs- und Umweltministerin Tanja Gönner, die nach den gewaltsamen Zusammenstößen von Demonstranten und Polizisten im Schlossgarten Ende September angekündigt hatte, "vorerst" würden keine Bäume gefällt.

"Wenn das jetzt nicht eingehalten wird, worauf soll man sich dann noch verlassen?", fragt der in Stuttgart lebende Sittler, der durch seine Teilnahme an zahlreichen Demonstrationen als Gesicht des Protests gilt. Den Schlichterspruch empfindet Sittler als enttäuschend: "Wenn man die Verbesserungen ernst nimmt, wird es so teuer, dass es nicht mehr zu bezahlen ist."

Es seien "unglaubliche Schwächen" von S21 offenkundig geworden, "trotzdem sagt Frau Gönner, es gebe keine Schwächen", kritisiert Sittler. "Den Stuttgartern bleibt keine andere Wahl, als weiter zu demonstrieren, bis ihre Ängste und Wünsche ernst genommen werden."

Den Segen des Schlichters hätten sie: Heiner Geißler betonte nach der Verkündung des Schlichterspruchs, das Demonstrationsrecht sei ihm "heilig".

Die FDP hält die Ankündigung neuer Proteste für eine Herabwürdigung Geißlers. Der liberale Parlamentarische Staatssekretär im Verkehrsministerium, Jan Mücke, sagte in Berlin: "Sich jetzt hinzustellen und sofort wieder weitere Proteste anzukündigen, wie es Grüne und Linke machen, ist auch ein Schlag in das Gesicht des Schlichters."

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