Stuttgart 21:Mediation ist kein Zauberwerk

Die Hoffnungen ruhen auf Heiner Geißler: Im Streit um das Bahnprojekt Stuttgart 21 soll der CDU-Politiker vermitteln. Eine einfache Lösung wird es wohl kaum geben. Welche Aussichten auf Erfolg kann der Schlichter in Stuttgart haben?

Johann-Dietrich Wörner

Die demokratische Gesellschaft und die Regeln des Rechtsstaats bestimmen die Rechte und Pflichten in unserem Staat. Insbesondere bei Projekten der Infrastruktur kommt es in jüngster Zeit immer wieder zu Auseinandersetzungen - trotz langer Vorlaufzeiten, trotz komplizierter Genehmigungsprozesse. Dabei wird von Betreibern und Befürwortern auf die Genehmigungsregeln und den Anspruch des Bauherrn auf eine genehmigungskonforme Umsetzung gesetzt.

Protest gegen 'Stuttgart 21'

Die Proteste gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 reißen nicht ab.

(Foto: dapd)

Andererseits verlangen mittelbar oder unmittelbar von dem Bau Betroffene, dass ihre Bedenken, ihre Ablehnung auch bei (und trotz) erfolgter Genehmigung berücksichtigt werden. Aus dieser Situation können sich folgenschwere Auseinandersetzungen entwickeln, wie das Beispiel "Stuttgart 21" eindrücklich belegt.

Die Reaktionen der Bürger kommen jedoch nicht überraschend. Hin und wieder wird die Vermutung geäußert, heute sei die gesellschaftliche Situation grundsätzlich anders als in den sechziger und siebziger Jahren, oder Anfang der Achtziger, als es beim Ausbau des Frankfurter Flughafens um die Startbahn West zu schwersten Krawallen kam.

Damals sei in den Protesten eine prinzipielle Opposition gegen den Staat zum Ausdruck gekommen, heißt es dann. Heute aber treffe Technik prinzipiell auf größere Akzeptanz. Diese Vermutung stimmt so nicht.

Richtig ist, dass die Technikfeindlichkeit von einst einer eher nüchternen Einstellung zur Technik gewichen ist: Was nutzt, wird genutzt. Gleichwohl hat sich auch das Verständnis weiterentwickelt, wer alles - und wann - Berechtigung zur Kritik hat. Dadurch kommt es häufig zu kritischen Situationen beim Errichten von Infrastruktur-Bauten, ganz gleich, ob es nun um Kohlekraftwerke oder Windräder, um Straßen, Kläranlagen oder um Flughäfen geht. Die Bereitschaft, sich für die eigenen Interessen massiv einzusetzen, hat auch in Kreisen zugenommen, die früher die Dinge mehr oder weniger hingenommen hätten.

Angesichts all der Konflikte beim Bau von Infrastruktur wird oft das Instrument der Mediation als Patentrezept zur Lösung der Konflikte gesehen. Zweifellos enthält die Idee der Mediation viel Brauchbares. Die Grundüberlegung dabei: die Forderungen und Ideen aller Beteiligter im Detail zu analysieren, um dann nach Lösungsansätzen zu suchen. Dabei sollten möglichst viele Aspekte gleichzeitig berücksichtigt werden.

Ein Paradebeispiel ist die Aufgabe, eine Orange auf zwei Menschen aufzuteilen. Beide haben ihr Interesse an der Orange ausgedrückt. Ein klassischer Versuch der Lösung ist die Teilung der Orange in zwei gleichgroße Teile. Ein anderer könnte darin bestehen, die Orange komplett einem der beiden zu geben und dem anderen einen wie auch immer gearteten Ausgleich anzubieten. Jetzt ist es die Aufgabe der Mediation, die Wünsche genauer zu analysieren.

Wenn sich herausstellt, dass die sich gar nicht wechselseitig ausschließen, ist eine gute Lösung denkbar - falls es also zum Beispiel der eine nur auf die Schale abgesehen hat, wegen der darin enthaltenen Terpene; der andere aber auf das Orangenfleisch, zum Verzehr. Es gibt also eine befriedigende Lösung für alle Beteiligten.

"Ohne Vertrauen funktioniert Mediation nicht"

In der Praxis der Mediation sind die Probleme normalerweise wesentlich komplexer. Eine einfache Lösung, die alle zufriedenstellt, ist selten umsetzbar. Dann kommt es darauf an, ein Paket zu schnüren, mit dem alle Beteiligten leben können. Voraussetzung für eine erfolgreiche Mediation ist, dass beide Seiten sich auf einen Mediator oder eine Mediatorengruppe verständigen und sich unvoreingenommen auf den Mediationsprozess einlassen.

Weitere Voraussetzung ist die umfassende Dokumentation aller Schritte, um jedwede Entscheidung auf Basis aller verfügbaren Informationen zu fällen. Zudem sollten der Mediator oder die Mediatorengruppe Kompetenz in der Sache vorweisen. Sie müssen sich während des gesamten Prozesses so weit wie irgend möglich neutral verhalten. Auch dann, wenn eine eigene Meinung in die eine oder andere Richtung vorhanden ist. Nur so kann Vertrauen in den Prozess wachsen. Ohne Vertrauen funktioniert Mediation nicht.

Die Erfolgsaussichten einer Mediation verhalten sich umgekehrt proportional zum Fortgang des Projekts. Je früher eine Mediation begonnen wird, umso größer sind die Chancen dafür. Es gilt der Grundsatz: "Lieber früher als später." Aber auch: "Lieber später als nie."

Im Fall Frankfurt war es so: Dort entwickelte die Flughafengesellschaft Fraport Ende der neunziger Jahre das Vorhaben, nördlich des bisherigen Geländes eine vierte Bahn zu bauen. Jedermann hatte natürlich noch die heftigen Auseinandersetzungen beim Bau der Startbahn West im Gedächtnis. Um eine Wiederholung zu vermeiden und den gesellschaftlichen Diskurs zu fördern, wurde 1999 eine Mediationsgruppe eingerichtet. Sie bestand aus drei Mediatoren, Geschäftsführung und wissenschaftlicher Begleitung. Als Ergebnis der Diskussionen präsentierte sie ein Mediationspaket - bestehend aus Ausbau, Anti-Lärmpakt, Optimierung, Nachtflugverbot sowie Gründung eines "Regionalen Dialogforums".

Auf dieser Grundlage wurde die Mediation in der Institution "Dialogforum" unter meiner Leitung über acht Jahre fortgeführt. Sie bestand aus einer Gruppe von 33 Mitgliedern, die ausgewogen mit Ausbaubefürwortern und -gegnern besetzt war. Hier saßen die Städte und Gemeinden der Flughafenregion, Bürgerinitiativen und Naturschutzverbände an einem Tisch mit Wirtschaftsvertretern, der Fraport, der Lufthansa oder der Deutschen Flugsicherung.

Hier wurde zum Beispiel ein Lärmindex formuliert, um zu bestimmen, in welchen Orten und Vierteln rund um die neue Bahn welche Art von Schallschutz erforderlich ist. Arbeitsmethoden und -ergebnisse wurden im Internet dokumentiert, die Öffentlichkeitsarbeit wurde offensiv angegangen.

Mediation ist kein Zauberwerk, sie setzt auf transparente Vorgänge und eine weitgehende Berücksichtigung von Einzelinteressen sowie auf Interessenausgleich. Erfolgsdruck ist daher genauso schädlich wie prinzipieller Pessimismus der Beteiligten gegen ein derartiges Verfahren. Mediation ersetzt weder Gesetzgebungsdebatten im Parlament noch Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren. Sie kann auch nicht anstelle der Gerichte Recht sprechen. Mit anderen Worten: Mediation ist ein Weg intellektueller Auseinandersetzung - getragen von dem gemeinsamen Wunsch nach Problemlösung.

Der Autor Johann-Dietrich Wörner ist Chef des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln. Der 56-Jährige leitet die Mediation zum Ausbau des Frankfurter Flughafens. Er war Präsident der TU Darmstadt.

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