Süddeutsche Zeitung

Stuttgart 21:Aufsichtsrat will Bahn-Vorstand entmachten

Alles unter Kontrolle: Der Bahn-Aufsichtsrat soll dem Bahn-Vorstand die Hoheit über das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 entziehen. Auch für das Problem der Mehrkosten hat das Kontrollgremium offenbar eine Lösung: Es will die Bahn verpflichten, das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart zu verklagen.

Der Aufsichtsrat der Bahn will dem Staatskonzern offenbar die Hoheit über das Milliardenprojekt Stuttgart 21 entziehen. Auf seiner Sitzung am Dienstag solle das Kontrollgremium die Einrichtung eines sogenannten Projektausschusses beschließen, schreibt der Spiegel. Darin sollen sich mehrere Mitglieder des Aufsichtsrats regelmäßig und detailliert über den Baufortschritt informieren und die Kostenentwicklung kontrollieren. "Niemand wird sich um diese Aufgabe reißen, aber ohne einen solchen Ausschuss bekommen wir keine Kontrolle über das Projekt", wird ein Aufsichtsrat zitiert.

Außerdem wolle der Aufsichtsrat der Fortführung des Projekts nur zustimmen, wenn sich die Bahn verpflichte, das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart auf eine Beteiligung an den Mehrkosten zu verklagen, heißt es weiter. Bislang lehnen Land und Stadt einen höheren finanziellen Beitrag ab. Nach aktuellen Planungen könnte das Projekt bis zu 2,3 Milliarden Euro teurer werden als vorgesehen.

Bahnchef Rüdiger Grube drohte bereits zuvor offen mit einer gerichtlichen Klärung des Streits - die Gegenseite ließ die harschen Worte abperlen: "Die Klagedrohung beeindruckt mit nicht sehr", erklärte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Die vereinbarte Beteiligung des Landes an Stuttgart 21 über 930 Millionen Euro sei "eine freiwillige Leistung", aus der sich "keine Nachschusspflicht" ergebe, so Kretschmann. "Man baut keinen Bahnhof mit Klagen vor Gericht", warnte auch sein Parteifreund, der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn. Die Landeshauptstadt hat etwa 290 Millionen Euro zugesagt.

Zeitplan aufgegeben

Kretschmann und Kuhn sind als Bahnhofskritiker bekannt. Sie müssen Stuttgart 21 mittragen, weil sie an Verträge ihrer CDU-Vorgänger gebunden sind. Gerade aber ihre bahnhofkritische Haltung hatte mit dazu beigetragen, dass sie überhaupt erst in ihre Ämter gewählt wurden. Im Jahr der Bundestagswahl werden sich die Grünen daher hüten, gegenüber der Bahn einzuknicken, vor allem, weil der öffentliche Widerstand gegen Stuttgart 21 wieder wächst.

Den urspünglichen Zeitplan hat die Bahn ohnehin schon aufgegeben. In einer internen Risikokalkulation habe der Konzern die Eröffnung des geplanten Tiefbahnhofs um etwa ein Jahr auf Dezember 2022 verschoben, schrieb die Wirtschaftswoche.

Dem internen Bahn-Dokument zufolge, aus dem das Magazin zitierte, liegen die Kosten für einen Abbruch des Projekts und einen Weiterbau nur minimal auseinander. So brächte die Beendigung des Projekts der Bahn ein kalkulatorisches Defizit von 980 Millionen Euro, der Weiterbau schlüge mit einem Minus von 906 Millionen Euro zu Buche. Angesichts der geringen Differenz bleibe dem Aufsichtsrat nur, politisch über das Projekt zu entscheiden, hieß es unter Berufung auf Gremiumskreise. Der Aufsichtsrat werde das Projekt "durchwinken - koste es, was es wolle", sagte ein Mitglied dem Magazin.

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