Süddeutsche Zeitung

Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer:Kalt erwischt vom Streit ums Sturmgewehr

Das Verteidigungsministerium zieht die Vergabe des Großauftrags von 120 000 Sturmgewehren an die Firma C. G Haenel zurück. Und plötzlich ist die bereits ausgemusterte Oberndorfer Traditionsfirma Heckler & Koch wieder im Rennen.

Von Joachim Käppner und Mike Szymanski

Bisweilen sprach man in der Bundeswehr von "der endlosen Geschichte", und tatsächlich will sie nicht zum Abschluss kommen. Das Verteidigungsministerium hat die Vergabe des neuen Sturmgewehrs an den Thüringer Waffenhersteller C. G. Haenel in Suhl am Freitagabend wieder zurückgezogen. Es bestehe die Möglichkeit einer Patentrechtsverletzung durch Haenel. Es geht dabei um einen Großauftrag von 120 000 Schnellfeuergewehren, Kosten: etwa 250 Millionen Euro.

Eigentlich galt die Sache als abgeschlossen, seit das Verteidigungsministerium Mitte September zur allgemeinen Überraschung Haenel den Zuschlag erteilt hatte und nicht dem Branchenriesen Heckler & Koch aus Oberndorf am Neckar.

Offenkundig liegt der Rücknahme dieser Entscheidung ein Nachprüfungsantrag, eine Art Beschwerde, von Heckler & Koch beim Bundeskartellamt zugrunde; die Firma äußerte sich am Freitagabend "dankbar" über die Rücknahme der Vergabe. Intern hatte das Ministerium diesem Antrag keine große Chancen eingeräumt, man war optimistisch, dass das Verfahren abgeschlossen war und das Haenel-Gewehr ab 2023 als neue Standardwaffe an die Truppe ausgeliefert werden könne.

Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) wurde wohl kalt erwischt. Sie hatte gehofft, die leidige, aus der Amtszeit ihrer Vorgängerin Ursula von der Leyen (CDU) stammende Affäre endlich vom Tisch zu haben.

Der Hintergrund: Die Firma Heckler & Koch galt über Jahrzehnte als "Hausausstatter" der Bundeswehr mit Schnellfeuergewehren, zuletzt dem G36. Dieses war in die Kritik geraten, nachdem beim Einsatz in Afghanistan, speziell bei dem berüchtigten "Karfreitagsgefecht" 2010, Klagen über das Gewehr aufkamen.

Damals kamen drei deutsche Fallschirmjäger in einem Hinterhalt der Taliban ums Leben, und während des heftigen Schusswechsels bei großer Hitze soll das G36 nicht mehr richtig getroffen haben. Von der Leyen hatte daraufhin eine neue Ausschreibung durchgesetzt.

Viele Soldaten murrten über Aktionismus und halten das G 36 bis heute für eine gute Waffe, die bei ähnlichen Bedingungen im Nordirak ihren Wert bewiesen habe. Dort hatte die Bundeswehr die Kurdenkrieger der Peshmerga, die sich 2014 dem Ansturm der islamistischen Terrormiliz des IS entgegenstellten, mit G 36 ausgerüstet.

Verfahren muss nicht unbedingt von vorn beginnen

Wie das Ministerium nun mitteilte, werde "die Vergabestelle des Bundes in eine Neubewertung der Angebote unter Berücksichtigung aller Aspekte eintreten". Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung muss dies nicht bedeuten, dass das Vergabefahren ganz von vorne beginnt. Am nun aufgehobenen Verfahren hatten sich mehrere Unternehmen beteiligt, in Frage kamen am Ende nur C. G. Haenel und das kriselnde, weil verschuldete Heckler & Koch.

Am Zuschlag für die Suhler Firma hatte es Kritik gegeben, weil sie teils einem Staatskonzern gehört, allerdings keinem deutschen, sondern einem in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Zudem sollen Fachleute aus Oberndorf zu Haenel gewechselt sein. Andererseits arbeiten beide Firmen wohl auch zusammen, wenn es um bestimmte Bauteile geht.

Sollte Haenel nun ausscheiden, könnte Heckler & Koch also doch noch zum Zuge kommen. Zumindest wäre sie dann der einzige Kandidat mit einem marktreifen Gewehr, auch wenn es teurer wäre. Die Kosten galten als Hauptgrund für die Entscheidung gegen Heckler & Koch. Der Zeitplan zur Einführung eines neuen Sturmgewehrs 2023 stünde freilich in Frage.

Während die Untersuchungen auf Hochtouren laufen, bekommt Kramp-Karrenbauer schon Gegenwind. Die SPD-Verteidigungspolitikerin Siemtje Möller twitterte, es gebe "nun erneut eine Mega-Panne" bei der Beschaffung, die "nicht ohne Konsequenzen bleiben" dürfe. Tobias Lindner, sicherheitspolitischer Sprecher der Grünen, sprach von einem "dummen Anfängerfehler" und einer "gigantischen Blamage" für Kramp-Karrenbauer.

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Quelle:
SZ vom 10.10.2020
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