Sturm auf das Kapitol:"Wahrscheinlich" kriminell

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Der frühere US-Präsident Donald Trump will immer noch glauben machen, er hätte die Wahl 2020 gewonnen. (Foto: Hyosub Shin/AP)

So schätzt ein US-Bundesrichter die Rolle Donald Trumps beim Sturm auf das Kapitol ein. Die Aufklärung der Putschpläne fördert massenhaft Erkenntnisse zutage - doch bis zu einer Anklage ist es noch weit.

Von Fabian Fellmann, Washington

Die Schlagzeile ist Gold wert für die Demokraten. Ein Bundesrichter in Kalifornien hat geurteilt, Donald Trump habe sich "wahrscheinlich" strafbar gemacht, als er vor dem 6. Januar 2021 die Bestätigung der Wahl von Joe Biden hintertreiben wollte. Die am Montag veröffentlichte Einschätzung ging sogleich um die Welt. Dabei ist die Aussagekraft des Urteils bescheiden; die vielzitierte Passage stammt aus einem Zivilprozess und ist meilenweit entfernt von einer Anklage Trumps oder gar einem rechtskräftigen Schuldspruch.

Doch das Beispiel zeigt, wie der Parlamentsausschuss, der den 6. Januar untersucht, das Recht geschickt nutzt, um öffentlich Druck auf Trump aufzubauen. Der Ausschuss dürfte seine Arbeit kaum abschließen können vor den Zwischenwahlen im November. Sollten die Republikaner dann die Mehrheit im Repräsentantenhaus erobern, werden sie die Untersuchung sofort stoppen. Der Ausschuss will darum vorher so viele Erkenntnisse wie möglich ans Licht zerren - um das Justizministerium unter Druck zu setzen, eine Anklage zu prüfen. Und damit auch möglichst vielen Republikanern klar wird, dass Trump nicht wählbar ist.

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Den jüngsten Erfolg erwirkte das Gremium mit einem Zivilprozess gegen Trumps Anwalt John Eastman. Der Richter machte aber nicht etwa eine strafrechtliche Abwägung. Er musste nur entscheiden, ob Eastman trotz des Anwaltsgeheimnisses vertrauliche Unterlagen über Trump herausrücken musste. Die entscheidende Frage war, ob die Dokumente zur Vorbereitung einer Straftat gedient hatten. Das sei "wahrscheinlich", schloss der Bundesrichter in Kalifornien.

Der Richter wies Eastman an, dem Ausschuss die allermeisten Akten auszuhändigen, darunter E-Mails mit Notizen zur Vorbereitung des Putschs. Trump habe gewusst, dass sein Vorgehen gesetzwidrig sei, befand der Richter. "Die Illegalität des Plans war offensichtlich", hielt er im Urteil fest. "Präsident Trump und Dr. Eastman haben den Plan mit Vorwürfen von Wahlfälschungen gerechtfertigt, aber Präsident Trump wusste wahrscheinlich, dass die Rechtfertigung haltlos war, und darum auch, dass der ganze Plan gesetzeswidrig war."

Die Frau des Obersten Richters Clarence Thomas unterstützte den Aufruhr

In den Sog der Untersuchungen ist jüngst auch der oberste Richter Clarence Thomas geraten. Er ist einer der Lieblingsgegner der Demokraten: Er ist der zweite Afroamerikaner in dem Amt - und erzkonservativ. Als überzeugter Föderalist und Verfechter der Rechte der Bundesstaaten spricht er der Regierung in Washington eine ganze Reihe von Kompetenzen ab, etwa die im Kampf gegen Drogen.

Wie Thomas ist auch seine Frau stramm konservativ. Virginia Thomas machte vor wenigen Tagen publik, sie habe selbst am Protest vor dem Kapitol am 6. Januar teilgenommen. Allerdings habe sie der Demonstration nur ganz am Anfang beigewohnt und sei schon wieder weg gewesen, als die Situation eskalierte: Der Mob war vom Weißen Haus zum Kapitol gezogen, in dem an jenem Tag Bidens Wahl bestätigt werden sollte.

Demonstranten überrannten darauf die Polizeibarrieren und stürmten das Parlamentsgebäude. Das war offenbar ganz im Sinne von Virginia Thomas. Sie hatte Trumps Stabschef Mark Meadows zuvor regelrecht mit Textnachrichten bombardiert, in denen sie Trump aufforderte, das Resultat der Präsidentschaftswahl vom 3. November 2020 zu kippen. 29 Kurznachrichten von Virginia Thomas an Mark Meadows hat der Parlamentsausschuss aufgestöbert. Drei Tage nach der Wahl, am 6. November 2020, schrieb sie dem Stabschef zum Beispiel: "Räumt die Niederlage nicht ein. Es braucht Zeit, die Armee hinter ihm zu versammeln."

Nicht nur ist es schockierend, dass eine institutionell derart gut vernetzte Republikanerin einen Putsch unterstützt. Sie hat auch ihren Mann in seiner Funktion als Richter in eine delikate Position gebracht. Aus ihren Nachrichten geht zwar nicht hervor, dass sie mit ihm über das Thema gesprochen hätte. Nur einmal spielt sie auf eine Unterhaltung mit ihrem "besten Freund" an; das ist der Kosename, mit dem sich Thomas und ihr Mann anreden.

Ist Thomas befangen?

Sollte der Richter über die engen Kontakte seiner Frau zum Weißen Haus Bescheid gewusst haben, wovon auszugehen ist, stellen sich Fragen zu seiner Befangenheit - und es ist durchaus denkbar, dass sich das Oberste Gericht einmal mit der Untersuchung zum 6. Januar 2021 auseinandersetzen muss.

Virginia Thomas hat nicht nur gute Schlagzeilen für den Untersuchungsausschuss zum 6. Januar geliefert. Sie belegt auch, wie tief Trumps Putschversuch ging und wie weit nun dessen Nachbeben reichen - ein Zeichen dafür, wie zersetzend Putschversuche, so ungeschickt sie auch vorbereitet sein mögen, wirken.

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