Süddeutsche Zeitung

Studie zur Ukraine-Krise:Bürger in Nato-Staaten stellen Bündnisfall infrage

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Von Martin Anetzberger

Seit Beginn der Ukraine-Krise Ende 2013 hat sich das Ansehen westlicher Staaten und der Nato in Russland erheblich verschlechtert. Zu diesem Ergebnis kommt eine umfangreiche Befragung des Washingtoner Pew-Forschungszentrums (Pew Research Center).

Pew zufolge bewerten derzeit nur noch 35 Prozent der Russen Deutschland positiv. Im Jahr 2013 - im November dieses Jahres begannen die proeuropäischen Proteste auf dem Maidan in Kiew - lag dieser Wert noch bei etwa 60 Prozent. Deutschland ist damit immerhin beliebter als die EU (31). Wesentlich schlechter schneiden die USA (15) und die Nato (12) ab. Umgekehrt ist das Ansehen Russlands in ausgewählten Nato-Staaten von einem ohnehin niedrigen Niveau aus weiter gesunken. Derzeit liegt der Mittelwert derer, die von Russland ein positives Bild haben, bei 25 Prozent.

Dazu passt, dass die Befragten in wichtigen Staaten der Nato überwiegend Russland für den Konflikt im Osten der Ukraine verantwortlich machen. Besonders hoch sind die Werte hier in den USA (42 Prozent), Frankreich (44) und Großbritannien (40). In Deutschland wird Russland zwar auch als wichtigster Aggressor gesehen (29), doch fast genauso viel Verantwortung wird hierzulande den prorussischen Separatisten zugewiesen. Der Mittelwert liegt bei den Befragten in den Nato-Mitgliedsstaaten für Russland als Hauptschuldigem bei 39 Prozent, für die Separatisten bei 18 Prozent.

Bisher liefern die westlichen Staaten keine Waffen an die Ukraine, obwohl dies beispielsweise in den USA sehr umstritten ist. Immerhin 46 Prozent der befragten US-Amerikaner und 44 Prozent der Kanadier sind dafür, dass die Nato Waffen schickt. In Polen sind es sogar 50 Prozent, hier wird Russland als wesentlich größere außenpolitische Gefahr wahrgenommen als in Zentral- und Westeuropa. Nur 19 Prozent der deutschen Befragten wollen Waffenlieferungen an die Ukraine, 22 Prozent der Italiener und 25 Prozent der Spanier. In Großbritannien und Frankreich sind es dagegen erheblich mehr.

Die Sorgen der Polen mögen zum einen an der geografischen Nähe zum russischen Nachbarn liegen. Zum anderen ist Polen erst seit 1999 Mitglied der Nato, die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sogar erst seit 2004. Auch diese drei Staaten haben eine gemeinsame Grenze mit Russland und fürchten sich vor einer aggressiven Außenpolitik.

Was wäre, sollte tatsächlich ein östlicher Nato-Partner von Russland angegriffen werden? Laut Artikel 5 des Nordatlantikvertrages müssten die anderen Mitgliedsstaaten dann im Notfall auch militärisch helfen. Was die Pew-Studie in diesem Zusammenhang zutage fördert, dürfte im Nato-Hauptquartier nicht für Begeisterung sorgen und auch die östlichen Mitgliedsstaaten beunruhigen.

Pew fragte Menschen in wichtigen Nato-Staaten, ob sie für ein militärisches Eingreifen ihres eigenen Landes seien - für den Fall, dass Russland tatsächlich einen östlichen Bündnispartner angreift. In Deutschland (58), Frankreich (53) und Italien ist die Mehrheit der Befragten dagegen. Nur in den USA (56) und Kanada (53) ist eine Mehrheit dafür. Der Mittelwert unter allen Befragten ergibt ein 48 zu 42 für ein militärisches Eingreifen.

Vor allem deutsche Befragte sehen die Nato zunehmend skeptisch. Selbst nach Beginn der Ukraine-Krise sank hierzulande der Anteil derer, die ein positives Bild von der Nato haben, weiter. In Polen ist dagegen von 2013 bis 2015 ein deutlicher Anstieg zu sehen.

Das Pew-Institut befragte für die Studie in den Nato-Staaten Kanada, USA, Deutschland, Polen, Italien, Frankreich, Spanien, Italien und Großbritannien im Frühjahr 2015 jeweils etwa 1000 repräsentativ ausgewählte Menschen im Alter von mindestens 18 Jahren. Das Gleiche gilt für die Befragung in Russland. Weitere Ergebnisse der umfangreichen Studie können Sie hier nachlesen.

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