Süddeutsche Zeitung

Studie zum arabischen Raum:Lage der Frauen in Ägypten am schlimmsten

Sexuelle Gewalt, Frauenhandel, Ausschluss aus dem politischen Prozess: In keinem Land der arabischen Welt ist die Situation für Frauen so katastrophal wie in Ägypten. Dazu trägt auch eine grausame Praxis bei, die keine islamische, sondern eine afrikanische ist.

Von Sonja Zekri, Kairo

Es hätte ganz anders laufen sollen, so groß waren die Hoffnungen, aber das aktuelle Zwischenergebnis ist niederschmetternd: Der arabische Frühling war für die Frauen eine Katastrophe. Ägypten, einst Fackelträger der Freiheit, erkämpft auch von Frauen auf dem Tahrir-Platz, ist das schlimmste Land für Frauen in der arabischen Welt. Dies ergab eine Umfrage der Thomson Reuters Foundation unter 336 Fachleuten in 22 Staaten.

Das Bürgerkriegsland Syrien, wo Vergewaltigung eine gängige Waffe ist, lag vier Plätze davor. Jemen, wo ein Viertel der Mädchen unter 15 Jahren verheiratet (und oft mit Genitalverletzungen ins Krankenhaus gebracht werden), folgte auf dem Platz danach. Libyen und Tunesien schafften es auf einen der besseren Ränge, aber auch den einstigen Modellstaaten arabischer Frauenrechte hat das Ende der Diktatur misogyne Frömmler, Instabilität und Gewalt gebracht. In Libyen terrorisieren Milizen das Land, in Tunesien, dem bestplatzierten Land des arabischen Frühlings, gibt es noch immer Polygamie.

Wenn auch nirgends so sehr wie in Ägypten. Sexuelle Gewalt; Massenvergewaltigungen bei Protesten und unabhängig von Alter, Status, Kleidung; der fast vollständige Ausschluss von Frauen aus dem politischen Prozess; Frauenhandel und eine diskriminierende Gesetzgebung gehören zum Alltag.

Zudem ist in keinem anderen Land die Genitalverstümmelung von Frauen so weit verbreitet: Nach Unicef-Angaben sind 91 Prozent der Ägypterinnen beschnitten, Musliminnen wie Christinnen. Die grausame Praxis ist - man kann es Islamhassern nicht oft genug sagen - vor allem eine afrikanische, keine islamische. Die Massai tun es, die Taliban nicht.

Und auch nicht die Saudis, die ihren Frauen zwar weder das Autofahren erlauben noch den selbständigen Besuch des Zahnarztes, aber dennoch zwei Plätze besser als Ägypten liegen. Der greise König Abdullah hat 30 Frauen für ein 150-köpfiges und eigentlich politisch irrelevantes Beratergremium ernannt. Seit einigen Jahren gibt es ein Gesetz gegen häusliche Gewalt und neuerdings Jobs für Frauen in Unterwäschegeschäften. Aber macht das Saudi-Arabien zu einem besseren Platz für Frauen als Ägypten? Sind konservative Monarchien wie Katar oder Kuwait tatsächlich Paradiese für ihre Bewohnerinnen oder gibt es am Ende doch keinen Zusammenhang zwischen Demokratie und Frauenrechten?

Nun, weder in Ägypten noch in Libyen, Jemen, geschweige denn Syrien gibt es ja Demokratie, sondern nur ein je nach Lage schwieriges bis katastrophales Ringen darum. Unter Hosni Mubarak in Kairo wie unter Zine el-Abidine Ben Ali in Tunis waren Frauenfragen vor allem Projekte von Regierungen, die dem Westen ihre soziale Fortschrittlichkeit zeigen wollten, während sie alle Ansprüche auf politische Partizipation abwiegelten.

Für viele Ägypter gelten Frauenrechte als Hobby der Mubarak-Gattin. Dass die Islamisten während ihres einjährigen Intermezzos die Heirat von Neunjährigen diskutierten, passte ins Klima. Und: Je größer die Erwartung, desto bitterer die Ernüchterung. Die Frauen hatten auf Freiheit gehofft. Nun spüren sie schmerzhafter als alle anderen, was fehlt.

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SZ vom 13.11.2013/dmo
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