Studie zu Rechtsextremismus im Internet:Neonazis setzen auf soziale Netzwerke

Jugendschützer schlagen Alarm: Statt klassischer Webportale nutzen Neonazis verstärkt Videoplattformen und Facebook für ihre Hass-Botschaften. Sie warnen davor, den Extremisten das Feld zu überlassen und appellieren an die Website-Betreiber.

Es ist ein wichtiger Termin im braunen Eventkalender: Für den 6. August mobilisieren rechtsextreme Aktivisten im Internet für den Trauermarsch in Bad Nenndorf. In dem kleinen Kurort westlich von Hannover, der in der britischen Besatzungszone lag, hatte die britische Armee nach dem Krieg Nationalsozialisten verhört, wobei es auch zu Misshandlungen der Insassen gekommen ist.

Datenlücke bei Facebook entdeckt

Das soziale Online-Netzwerk Facebook: Verstärkt setzen Rechtsextreme auf soziale Netzwerke und Videoplattformen, um ihre Propaganda zu verbreiten.

(Foto: dpa)

Seit Jahren mobilisieren die Neonazis im Internet für einen "Trauermarsch", um ihre Version der Geschichte auf die Straße tragen zu können - und das machen sie immer professioneller. Für den August 2011 rufen sie ihre Anhänger auf, in Videoclips zu begründen, warum sie an dem Trauermarsch teilnehmen werden: "Wir fahren nach Bad Nenndorf, weil Widerstand wichtiger ist als Party und Kommerz", sagen eine junge Frau im Trägershirt und ein junger Mann im karierten Hemd gemeinsam in die Kamera. Die Frau lächelt dabei freundlich.

Videoclips sind im vergangenen Jahr zu zentralen Trägern rechtsextremer Botschaften geworden - zu diesem Ergebnis kommt die Initiative jugendschutz.net in ihrem aktuellen Jahresbericht "Rechtsextremismus im Internet", den die Zentralstelle der Länder für Jugendschutz im Internet in Berlin vorstellte. Unterstützt wird sie dabei von der Bundeszentrale für politische Bildung.

Die wichtigste Erkenntnis aus dem Jahr 2010: Die Zahl der eigenständigen rechtsextreme Websites im Netz ist zwar gesunken (2010: 1708; 2009: 1872 Websites); dafür hätten sich die rechtsextremen Beiträge in Communitys verdreifacht. "Tendenziell verlagern sich die Aktivitäten von Neonazigruppen auf die Mitmachplattformen des Web 2.0", bilanziert jugendschutz.net.

Statt der klassischen Webportale nutzten Neonazis also immer stärker soziale Netzwerke im Internet, um Jugendliche zu ködern. Diese Entwicklung habe sich "dramatisch zugespitzt", sagte der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, bei der Vorstellung des Jahresberichts. "Wir dürfen den Rechtsextremisten und der Hasspropaganda nicht das Feld überlassen", warnte er.

Rechte Videos versprechen Action und Multimedia

Die Jugendschützer schätzen, dass Communitys, Videoplattformen und der Blogosphäre für die Verbreitung von rechtsextremistischem Gedankengut eine immer größere Bedeutung zukommt. Neonazis hätten erkannt, dass soziale Netzwerke eine breite Mobilisierung garantierten. Denn mit diesen Plattformen werde ein Millionenpublikum erreicht, während Websites gezielt angesteuert werden müssten.

Etwa 6000 rechtsextreme Beiträge für soziale Netzwerke hat die Initiative jugendschutz.net für das vergangene Jahr dokumentiert, und damit drei Mal so viele wie 2009. Vor allem die lose organisierten Autonomen Nationalisten köderten die jungen Menschen mit modernen und professionellen Angeboten, auf denen sie Action, Kommunikation und Multimedia bieten.

Auch die NPD habe sich dem Trend zu sozialen Netzwerken längst angeschlossen: Sie werbe nicht mehr nur auf knapp 250 Websites um ein jugendliches Publikum, sondern längst auch mit Beiträgen in Communitys, auf Facebook und auf Videoplattformen.

Wachsende Professionalisierung

Darüber hinaus stellt jugendschutz.net eine zunehmende Professionalisierung fest: Rechtsextreme würden Veranstaltungen und Kampagnen mehrdimensional bewerben. "Die Verknüpfung von Web-2.0-Bausteinen mit klassischen rechtsextremen Angeboten sorgt für eine optimale Szenevernetzung", heißt es in dem Bericht. Rechtsextremisten lockten mit Elementen einer "modernen Erlebniswelt".

Die Jugendschützer belassen es nicht bei der reinen Dokumentation: Damit unzulässige Inhalte aus dem Netz entfernt werden, kontaktiert jugendschutz.net neben deutschen auch ausländische Provider und Plattformbetreiber. Allerdings lag die Erfolgsquote im vergangenen Jahr mit 59 Prozent weit unter der Quote des Vorjahres (2009: 81 Prozent). Dies liegt laut Jahresbericht daran, dass sich die Verstöße vermehrt auf fremdsprachige Neonaziportale sowie ausländische Hostprovider verlagerten. In solchen Fällen gelinge eine Löschung nur selten.

Auch Web-2.0-Betreiber könnten Maßnahmen ergreifen: So hätte der Anbieter MyVideo sämtliche rechtsextreme Propagandavideos gelöscht. Auch Youtube hätte Maßnahmen ergriffen und rechtsextreme Inhalte für Zugriffe von deutschen Servern gesperrt. Allerdings sei die Kommentarfunktion auf Youtube häufig dazu missbraucht worden, Hassparolen zu platzieren. Diese Kommentare hätte Youtube unangetastet gelassen, rügen die Jugendschützer. Blogspot, der Bloggingdienst von Google, kommt in dem Bericht am schlechtesten weg: Dieser hätte "strafbare Hassbekundungen" nur in Ausnahmefällen gelöscht.

Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung setzte sich dafür ein, verstärkt die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten und die Betreiber der sozialen Netzwerke an ihre eigenen Geschäftsbedingungen zu erinnern. Dort zeigten die Betreiber selbst die Grenzen dafür auf, was sie auf ihren Seiten duldeten und was nicht. Auch die Netzgemeinde müsse aktiv werden.

"Die arabische Revolution hat gezeigt, welches demokratische Potential in den Plattformen steckt", sagte Krüger. "Wir brauchen User, die unsere grundlegenden Werte verteidigen und Neonazis konsequent in die Schranken weisen."

Stefan Glaser, Leiter des Bereichs Rechtsextremismus von jugendschutz.net, fügte hinzu: "Es kann nicht angehen, dass Rechtsextreme diese Dienste für ihre Hasspropaganda missbrauchen." Betreiber wie YouTube und Facebook müssten mehr tun, um das zu verhindern.

Nach Glasers Angaben verbergen die Neonazis zunehmend ihre rechtsextremistische Propaganda hinter anderen Inhalten. Als Beispiel nannte er einen Video-Clip, der Fackelträger mit weißen Masken beim nächtlichen Marsch durch leere Straßen zeigt. Dahinter steckten Neonazis, die vor dem angeblich drohenden "Volkstod" der Deutschen warnen wollten.

Oft würden auch vordergründig Themen wie Kindesmissbrauch, der Atomausstieg oder die Euro-Krise benutzt, um die rechtsextreme Propaganda zu vermitteln. Ein rechtsextremistisches Musikvideo zum Thema Missbrauch habe es bislang auf 900.000 Klicks gebracht.

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