Süddeutsche Zeitung

Studie:Viele Österreicher wünschen sich einen starken Führer

  • In Österreich zeigt sich ein alarmierender Trend: Einer Studie zufolge wenden sich immer mehr Menschen von der Demokratie ab.
  • 43 Prozent, also fast jeder Zweite, halten einen starken Mann an der Spitze für wünschenswert.
  • 31 Prozent sehen auch Gutes in der NS-Zeit.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Mancher verwirrte Österreicher mochte sich an den Film "Tatsächlich Liebe" erinnert fühlen, in dem der liebeskranke Hugh Grant als britischer Premier an Londoner Haustüren klingelt und Weihnachtslieder singt: In Wien war dieser Tage Kanzler Christian Kern für die SPÖ als Pizzabote unterwegs und lieferte bei überraschten Kunden in Jogginghose und Häschen-Schlappen Kartons mit Margherita oder Diavolo aus.

Er wolle, sagt Kern, zu den Menschen gehen, besser verstehen, was sie bewegt, intensiver zuhören, sie ernst nehmen. Der gut gemachte SPÖ-Film funktioniert im Netz. Aber ob solche PR-Botschaften überhaupt noch etwas bewirken, ist fraglich. Denn eine am Donnerstag in Wien vorgestellte Studie über "NS-Geschichtsbewusstsein und autoritäre Einstellungen in Österreich" zeigt just das Gegenteil: Immer mehr Bürger fühlen sich unverstanden und missachtet, sie wenden sich von der Demokratie, den politischen Parteien und ihren Protagonisten ab, sie sind verunsichert, apathisch, enttäuscht.

Die Befragung, die 2007 erstmals durchgeführt wurde, zeigt: 23 Prozent aller Österreicher wünschen sich einen "starken Führer", der sich nicht um Wahlen und Parlamente kümmern muss. Vor zehn Jahren sagten das nur 14 Prozent. Und auch die Zahl derer, die sich nicht gleich einen Systemwechsel, aber doch einen Haudrauf an der Macht wünschen, ist seit 2007 gestiegen: 43 Prozent, also fast jeder Zweite, halten heute einen starken Mann an der Spitze für wünschenswert. Die Forderung nach Law-and-Order-Politik wird immer lauter, die Zufriedenheit mit der Demokratie geht zurück.

Das mag in der Ära des globalen Neopopulismus dort kein Wunder sein, wo "starke Führer" von Trump über Putin bis Erdoğan Konjunktur haben. Aber selbst im sicheren, scheinbar gemütlichen Sozialstaat Österreich waren die Forscher von der Koketterie mit der illiberalen Demokratie nicht überrascht: Schon die Bundespräsidentenwahl mit FPÖ-Kandidat Norbert Hofer habe gezeigt, dass sich immer mehr Wähler einen Staatschef wünschten, der den Parteien zeigt, wo es langgeht. Und der Trend zum starken Mann sei womöglich auch der langjährigen Reformunfähigkeit und Außendarstellung der großen Koalition geschuldet.

Junge Leute gar keine Meinung zur NS-Zeit

Wirklich alarmiert zeigten sich die Forscher um den Zeithistoriker Oliver Rathkolb und das Sora-Institut bei der Sicht auf den Nationalsozialismus: Nur die Hälfte aller Österreicher findet, dass "der Nationalsozialismus nur oder großteils Schlechtes gebracht hat", erschreckende 31 Prozent sehen auch Gutes in der NS-Zeit. Auffällig, so Rathkolb, dass weit mehr Befragte mit niedriger Bildung der Nazi-Zeit Positives abgewinnen könnten als Akademiker. Und dramatisch, dass vor allem junge Leute gar keine Meinung hätten: Immerhin ein Drittel der unter 35-Jährigen wusste dazu nichts oder wollte nichts sagen.

Die Befunde sind ohne Zweifel problematisch, und das kleine Österreich ist ein Spiegel der Zeit. Was tun? Allein mit Pizza-Austragen ist es nicht getan, auch wenn die SPÖ vermeldet, dass die Aktion ein Mega-Erfolg auf Facebook sei und "in aller Munde". Die Forscher plädieren eher für Nachhaltigkeit: Bildung, Bildung, Bildung.

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SZ vom 21.04.2017/lalse
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