Studie über Muslime in Deutschland:"Substantielle Minderheit" neben dem System

14 Prozent aller Muslime in Deutschland akzeptieren Gewalt und Demokratiefeindliches - das ermittelte eine Studie des Bundesinnenministeriums. Doch wie ernst ist die Lage wirklich? sueddeutsche.de sprach mit Peter Wetzels, dem Autor der Untersuchung.

Christoph Schäfer

Peter Wetzels ist Mitautor der Studie "Muslime in Deutschland", die im Auftrag des Bundesinnenministeriums erstellt wurde. Der Professor für Kriminologie forscht und lehrt am Institut für Kriminalwissenschaften der Universität Hamburg.

Studie über Muslime in Deutschland: Mit der Integration von Muslimen in Deutschland steht es nicht immer zum Besten: Jeder siebte lehnt Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ab.

Mit der Integration von Muslimen in Deutschland steht es nicht immer zum Besten: Jeder siebte lehnt Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ab.

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Wetzels, laut Ihrer Studie sind 40 Prozent aller Muslime in Deutschland "fundamental orientiert", jeder siebte kann mit Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nichts anfangen. Hat Deutschland ein riesiges Integrationsproblem?

Peter Wetzels: Hier muss dringend differenziert werden: "Fundamental orientiert" ist nicht gleichzusetzen mit Fundamentalismus. Es bedeutet lediglich, dass sich 40 Prozent der Muslime gegen eine Modernisierung ihrer Religion stemmen, weil sie fürchten, das Religiöse zu verwässern.

Allerdings können wir feststellen, dass bei etwa zehn Prozent der Befragten demokratiefeindliche Haltungen existieren. Viele dieser Personen fordern eine harte Hand, die Moral und Ordnung wiederherstellen soll.

sueddeutsche.de: Ihrer Studie zufolge akzeptieren sechs Prozent der Muslime, dass dieses Ziel mit Gewalt umgesetzt wird.

Wetzels: Es ist richtig, dass wir bei etwa sechs Prozent der muslimischen Bevölkerung Haltungen erkennen können, wonach Gewalt aus politisch-religiösen Gründen akzeptiert wird. Betrachtet man die Gesamtheit derer, die entweder gewaltakzeptierende oder demokratiefeindliche Haltungen aufweisen, dann beläuft sich das auf etwa 14 Prozent der Muslime in Deutschland. Das ist eine Minderheit, freilich eine substantielle.

sueddeutsche.de: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble warnt schon seit Monaten vor dem "hausgemachten Terrorismus". Sind seine Mahnungen berechtigt?

Wetzels: Eine sehr schwierige Frage. Auf dieses Problem direkt bezogen kann unsere Studie keine Antworten geben. Wir haben Einstellungen untersucht, die ein wichtiger Hintergrund von solchen Aktivitäten sein können. So haben wir beispielsweise Muslime nach ihrer Meinung zu folgender Aussage gebeten: "Wer junge Muslime auffordert oder dazu anleitet, Selbstmordattentate zu begehen, ist ein gottloser Krimineller." 90 Prozent haben zugestimmt, 9,4 Prozent abgelehnt.

"Substantielle Minderheit" neben dem System

sueddeutsche.de: In Deutschland leben etwa 3,5 Millionen Muslime. Wenn man diese Zahlen herunterrechnet, finden Selbstmordattentate bei fast 350.000 Muslimen in Deutschland Zustimmung.

Wetzels: Das darf man nicht einfach so herunterbrechen! Man darf bei so etwas nicht nur eine Antwort nehmen, sondern man braucht ein konsistentes Antwortmuster, das Gewalt durchgehend legitimiert. Und das trifft auf 5,9 Prozent der Befragten zu.

sueddeutsche.de: Welche Schlussfolgerung ziehen Sie aus dieser Zahl?

Wetzels: Es wäre falsch, das Problem aus Gründen politischer Korrektheit zu verschweigen. Gleichzeitig darf man aber auch nicht das Kind mit dem Bad ausschütten. Die überwiegende Mehrzahl der Muslime lebt friedlich hier, und wir brauchen sie, um die anderen zu erreichen.

sueddeutsche.de: Integrationsprobleme wurden bis dato gerne mit mangelhaften Deutschkenntnissen und schlechten Bildungsabschlüssen erklärt...

Wetzels: ... das ist auch richtig...

sueddeutsche.de: Warum stehen laut Ihrer Studie dann auch einige muslimische Studenten mit westlichen Werten auf Kriegsfuß?

Wetzels: Hier spielt etwas eine Rolle, das wir "stellvertretende Opfererfahrung" nennen: Studenten, die ihre Identität in der "Gemeinschaft der Muslime" finden - selbst wenn diese nur virtuell existiert - erleben Integrationsprobleme in Deutschland zwar nicht am eigenen Leib, aber doch als Ungerechtigkeit, die Mitgliedern ihrer Gemeinschaft widerfährt. Zudem reagieren sie teilweise sehr sensibel auf globale politische Prozesse, in denen sie Muslime als ungerecht behandelt erleben. Daraus kann Verbitterung entstehen.

sueddeutsche.de: Die Bundesregierung hat einen Integrationsgipfel im Kanzleramt abgehalten, es gibt einen "Nationalen Aktionsplan" und eine "Deutsche Islamkonferenz". Hat das alles nichts gebracht?

Wetzels: Da fragen Sie zu früh. Das braucht alles seine Zeit. Allerdings gibt es zum Dialog mit den Muslimen keine Alternative. Insofern gehen die bisherigen Bemühungen in die richtige Richtung.

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