Studie:Fein getrennt

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Verstehe einer die Deutschen: Nur jeder Fünfte hält mangelnden Umweltschutz für ein drängendes Problem, dennoch achten viele auf Nachhaltigkeit. Wie passt das zusammen?

Von Laura Hertreiter, Berlin

Zu laut, zu schmutzig, zu teuer: Der Großteil der Deutschen hätte gern weniger Autos auf den Straßen, wie eine am Montag in Berlin vorgestellte Studie zeigt. 82 Prozent forderten demnach, die Verkehrsplanung in Städten und Gemeinden nicht mehr vorrangig auf Autos auszurichten. Stattdessen wünschen sie sich Fuß- und Fahrradwege, Car-Sharing-Angebote und Verbesserungen im öffentlichen Nahverkehr. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sagte bei der Präsentation der Studie: "Die Leute wollen nicht mehr in Städten leben, die sich nur um Autos drehen." Es gehe vor allem darum, die Lärm- und Feinstaubbelastung zu reduzieren.

Auch wenn das nach radikalem Umdenken klingt, zählt Umweltschutz für die meisten Deutschen nicht mehr zu den drängendsten Herausforderungen in ihrem Land, wie die Studie zeigt: Nur noch 19 Prozent halten ihn für eines der wichtigsten Probleme. Die seit 1996 alle zwei Jahre erscheinende Erhebung zum Umweltbewusstsein in Deutschland hatte noch 2012 ergeben, dass 35 Prozent der Befragten den mangelnden Umweltschutz für ein drängendes Problem halten - in dem Jahr diskutierte die Bundesrepublik über die Energiewende, nachdem es Anfang 2011 zur Nuklearkatastrophe in Fukushima gekommen war. Der nun ermittelte Wert ist der niedrigste seit zehn Jahren. Als gravierender sehen die Deutschen demnach im Moment die Problemfelder "soziale Sicherung", gefolgt von "Wirtschafts-, und Finanzpolitik" sowie "Rentenpolitik" und "Kriminalität, Frieden und Sicherheit".

Die zuständige Ministerin erkennt einen "spannenden Wandel des Umweltbewusstseins"

Umweltministerin Hendricks sieht darin jedoch keinen Grund zur Annahme, die Bürger könnten Umweltschutz gar für unwichtig halten. "Wir erleben einen spannenden Wandel des Umweltbewusstseins", sagte sie. Dieses sei für die Menschen in Deutschland heute weniger ein Problem als vielmehr eine Lösung. So gaben 30 Prozent der 2117 im Juli und August 2014 online befragten Personen an, dass für sie "gutes Leben" und Umweltschutz zusammengehören. Fast zwei Drittel halten Umweltschutz darüber hinaus für notwendig, um Zukunftsaufgaben wie die Globalisierung zu meistern. 56 Prozent halten ihn für eine Voraussetzung, um den Wohlstand zu sichern. In den Jahren zuvor hätten wirtschaftlicher Erfolg und Umweltschutz in der Wahrnehmung der Menschen eher in Konkurrenz gestanden, sagte Hendricks.

So zeigt die Umfrage auch, dass der Konsum umweltschonender Produkte steigt. Fast die Hälfte der Befragten gab an, in den vergangenen zwei Jahren ausschließlich energieeffiziente Haushaltsgeräte und Glühbirnen gekauft zu haben. Mehr als die Hälfte hat demnach bei Putzmitteln, Toilettenpapier und Taschentüchern immer oder meist auf Nachhaltigkeit geachtet.

Am Kleiderschrank aber scheint das Bewusstsein zu enden: Nur zwölf Prozent der Deutschen haben laut Studie immer oder vor allem umweltfreundliche Kleidungsstücke gekauft. Laut Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamts, sind daran jedoch weniger die Kunden, als vielmehr die Hersteller schuld. Sie kritisierte, in diesem Bereich gebe es bislang kaum Angebote. Der Anteil von Bio-Baumwolle etwa mache auf dem Markt gerade einmal ein Prozent aus. Auch auf den Straßen ist der Klimaschutz ausbaufähig: Das Auto ist laut Erhebung noch immer Verkehrsmittel Nummer eins, 56 Prozent der Befragten im Alter von 18 und mehr Jahren nutzen es im Alltag immer oder häufig. Nur 24 Prozent fahren in diesem Ausmaß Bus und Bahn, 26 Prozent nehmen das Fahrrad, 33 Prozent gehen zu Fuß.

Angesichts dieser Zahlen überrascht die mehrheitliche Forderung nach weniger Autos in Ortschaften: 82 Prozent der Menschen im führerscheinfähigen Alter und 92 Prozent der den 14- bis 17-Jährigen setzen sich dafür ein. Eine Erklärung könnte sein, dass viele Menschen in Befragungen so antworten, wie sie es für sozial erwünscht halten, und auf diese Weise die Resultate verzerren. Denkbar ist, dass dieser in den Sozialwissenschaften hinlänglich bekannte Mechanismus auch dazu führt, dass die Autofahrernation Deutschland in der vorliegenden Studie bekundet, Autos aus den Ortschaften fernhalten zu wollen. Andererseits, dies ist die zweite mögliche Erklärung, ist das Auto für die Mehrheit der Befragten womöglich die einzige Möglichkeit, mobil zu sein - insbesondere im ländlichen Raum.

Davon jedenfalls geht Umweltministerin Barbara Hendricks aus. "Gerade auf dem Land müssen die Orte besser angebunden werden", fordert sie.

© SZ vom 31.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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