Süddeutsche Zeitung

Studie:Die neue Angst der Jugend

Nicht mehr die Terrorgefahr treibt 12- bis 25-Jährige um, sondern die Furcht vor der Zerstörung der Umwelt. Die neue Shell-Studie zeigt aber auch: Viele sind empfänglich für populistische Parolen.

Von Benjamin Emonts, Berlin

Man musste sich in den vergangenen Monaten nur die Transparente und Slogans der Umweltbewegung "Fridays for Future" ansehen, um zu ahnen, was jetzt schwarz auf weiß in der mehr als 300 Seiten starken Shell-Jugendstudie zu lesen ist: Die größte Angst der Jugendlichen ist die vor der Zerstörung der Umwelt. Von Politikern fühlen sich viele junge Menschen nicht gehört. Deshalb fordern sie nachdrücklich mehr Mitsprache. Und sie verlangen von der Politik, endlich zu handeln.

Das sind zentrale Erkenntnisse aus der 18. Shell-Jugendstudie, die am Dienstag in Berlin veröffentlicht wurde. Das Umwelt- und Klimabewusstsein der Jugendlichen wächst, ebenso verfestigt sich ihre Haltung, dass politisches Engagement wichtiger wird. 71 Prozent der 2572 Jugendlichen im Alter zwischen zwölf und 25 Jahren gaben an, dass die Angst vor Umweltzerstörung ihre größte ist, auf Platz drei folgt der Klimawandel hinter Terrorattacken. Die Jugendlichen werden politisch aktiver, weil sie ihre Lebensgrundlage akut in Gefahr sehen. "Sie sehen, dass es Zeit ist, zu handeln", sagt Studienleiter Mathias Albert von der Universität Bielefeld. Ihre Botschaft an ältere Generationen sei: "Wir bleiben zuversichtlich, aber hört auf uns, und achtet jetzt auf unsere Zukunft."

Die Bilder, die von den jungen Menschen auf großen Klimademos um die Welt gehen, mögen auch den Schluss nahelegen, dass die Jugendlichen insgesamt politisch interessierter werden. Die aktuelle Shell-Jugendstudie zeigt aber ein differenziertes Bild. Seit 2015 ist die Zahl der Jugendlichen, die sich als politisch interessiert bezeichnen, gar von 43 auf 41 Prozent leicht gesunken. Diejenigen Jugendlichen jedoch, die sich bereits in der Vergangenheit politisch engagierten, haben ihren Einsatz noch weiter verstärkt, wie Albert erklärt. Der Wissenschaftler spricht von einer "Politisierung der bereits Politisierten". Die Bedeutung politischen Engagements für junge Menschen nimmt laut der Studie zu. 2019 liegt der Anteil derer, die es für wichtig erachten, sich persönlich politisch zu engagieren, bei 34 Prozent, das macht eine Steigerung um elf Prozentpunkte im Vergleich zum Jahr 2010. Wie sich auch an der "Fridays for Future"-Bewegung zeige, sei politisches Engagement besonders jungen Frauen zunehmend wichtig. Sie erweisen sich laut dem Mitautor der Studie Klaus Hurrelmann oftmals als besonders gebildet, weltoffen und wertorientiert.

Die Überschrift der Studie "Eine Generation meldet sich zu Wort" erscheint vor den neuen Erkenntnissen durchaus passend. Während das Vertrauen in Politiker und Parteien sehr gering ist - 71 Prozent der Jugendlichen glauben, dass es Politiker nicht kümmert, was sie denken -, wird das Verlangen, von der Politik gehört zu werden, immer stärker. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) nimmt die Veröffentlichung der Studie am Dienstag umgehend zum Anlass, um sich für die Senkung des Wahlalters einzusetzen. "Junge Menschen sind im Alter von 16 Jahren in der Lage, eine Wahlentscheidung zu treffen", sagt sie mit dem Hinweis, dass Jugendwahlen Rekordbeteiligungen vorweisen könnten. Giffey spricht sich generell dafür aus, die Interessen der jungen Menschen verstärkt in politische Entscheidungen einfließen zu lassen.

Freunde und Familie sind den Jugendlichen wichtiger als ein hoher Lebensstandard

Sie wertet es als positives Zeichen, dass die Zahl der politisch interessierten Jugendlichen mit 41 Prozent relativ konstant bleibt. Im Jahr 2002, als sich nur 30 Prozent der Befragten als politisch interessiert bezeichnet hatten, war ein vorläufiger Tiefpunkt erreicht. "Das politische Interesse stabilisiert sich auf einem hohen Niveau", urteilt dementsprechend Studienleiter Mathias Albert.

Das Vertrauen der Jugendlichen in die deutsche Demokratie wächst indes, obwohl man den politischen Akteuren offensichtlich wenig zutraut. 77 Prozent der Befragten bezeichnen sich als zufrieden mit der Demokratie, im Jahr 2006 waren es nur 59 Prozent. In Ostdeutschland ist die Zufriedenheit in dieser Zeit gar von 44 auf 66 Prozent gestiegen, in Westdeutschland von 63 auf 78 Prozent. Besorgt zeigt sich Familienministerin Giffey jedoch über die Entwicklung, dass Jugendliche der Studie zufolge empfänglich für Rechts- und Nationalpopulismus sind, insbesondere die unteren Bildungsschichten. So stimmte mehr als ein Drittel der Aussage zu, dass man nichts Negatives über Ausländer sagen darf, ohne als Rassist zu gelten. Giffey fordert in Anbetracht der Zahlen mehr politische Bildung an den Schulen. Außerdem kündigte sie an, Jugendverbände und Vereinsarbeit finanziell stark unterstützen zu wollen.

Das Bild, das die Studie befördert, zeigt insgesamt eine sehr weltoffene, europazugewandte Jugend, die klar ihre Meinung sagt. Die jungen Menschen akzeptieren verschiedene gesellschaftliche Gruppen oder Minderheiten mit Toleranzquoten von 80 bis 95 Prozent, wobei die Ablehnung noch am größten bei Geflüchteten ist. Die Angst vor Ausländerfeindlichkeit ist bei dieser Generation der Studie zufolge weiter verbreitet als die vor Zuwanderung. "Es ist eine sehr tolerante Generation", sagt Studienleiter Albert.

Und es ist eine zuversichtliche Generation: 58 Prozent geben an, optimistisch in die Zukunft zu schauen; zum ersten Mal sind die ostdeutschen Jugendlichen genauso optimistisch wie die westdeutschen. Für die große Mehrheit der Jugendlichen sind gute Freunde (97 Prozent), eine vertrauensvolle Partnerschaft (94 Prozent) und ein gutes Familienleben (90 Prozent) die wichtigsten Werte - fast alle berichten insbesondere von einem guten Verhältnis zu ihren Eltern. Ein hoher Lebensstandard verliert dagegen an Bedeutung.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2019
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