Süddeutsche Zeitung

Studie:Blick auf die Deutschen

Welche kulturellen Unterschiede Migranten wahrnehmen - und wie schwer sie sich damit tun.

Von Benjamin Emonts

Die Deutschen kümmerten sich mehr um ihr eigenes Wohl als um das ihrer Familie. Auch ältere Menschen seien ihnen weniger wichtig. Andererseits legten sie mehr Wert darauf, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Dies sind Beispiele dafür, welche kulturellen Unterschiede ein Teil der Flüchtlinge in Deutschland zwischen der Bundesrepublik und ihren Herkunftsländern sieht. Eine Studie dazu stellten am Donnerstag der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration (SVR) und die Robert Bosch Stiftung in Berlin vor.

Angebliche oder tatsächliche kulturelle Unterschiede entfachen immer wieder hitzige Debatten über Migration und Integration. Wie fremd sind die Vorstellungen der Neuankömmlinge? Inwiefern lassen sie sich auf Grundwerte in Deutschland ein? Hierzu will der SVR weitere Antworten liefern. Forscher haben für die Studie 369 Flüchtlinge befragt. Diese stammen aus den wichtigsten Herkunftsländern wie Syrien, Afghanistan, dem Irak oder Iran. Die Ergebnisse seien nicht repräsentativ für alle Asylsuchenden, bildeten aber die Haltung vom "Gros" der seit 2014 Gekommenen ab, heißt es in dem Bericht.

Zwei zentrale Erkenntnisse der Studie sind besonders bemerkenswert: Mehr als die Hälfte der befragten Migranten nimmt zwischen ihrem Herkunftsland und Deutschland keine kulturellen Unterschiede wahr, sofern es nicht um den Umgang mit Familie und Homosexuellen geht. Und falls sie doch Unterschiede feststellen, könnten sie damit "sehr leicht" oder "eher leicht" umgehen. Eine fehlende Bereitschaft, sich auf kulturelle Unterschiede einzulassen, sei nach den Ergebnissen der Befragung nicht festzustellen, sagt der Autor der Studie, Timo Tonassi.

Inhaltlich konzentriert sich Tonassi jedoch auf die Geflüchteten, die Unterschiede wahrnehmen. So soll die Untersuchung Erkenntnisse darüber liefern, wo aus Sicht der Migranten die größten Hürden kultureller Integration liegen. Im Zentrum stehen dabei Fragen der sexuellen Orientierung und des familiären Zusammenhalts. Viele Flüchtlinge sind der Ansicht, dass in ihrer Heimat Familien generell einen höheren Stellenwert genießen. So stimmten 67 Prozent der Aussage zu, dass sich Deutsche mehr um sich selbst als um ihre Familie sorgen. Für fast 38 Prozent dieser Befragten sei es "eher schwer" oder "sehr schwer", mit diesem Unterschied umzugehen. Nur 56 Prozent der Geflüchteten glauben indes, dass es der Mehrheit der Deutschen wichtig sei, älteren Familienmitgliedern Respekt entgegenzubringen und sich um diese zu kümmern, wohingegen Menschen in ihren Herkunftsländern mehr auf Ältere achteten. 20,5 Prozent gaben an, damit "eher schwer" klarzukommen, für 16,7 Prozent sei es "sehr schwer". Ganz ähnlich verhält es sich mit den Zahlen zum Thema Homosexualität. 89 Prozent haben den Eindruck, dass es den Deutschen wichtig sei, dass Homosexuelle rechtlich gleichgestellt sind - über die Menschen in ihrem Herkunftsland sagten das nur 30 Prozent. Mehr als 18 Prozent gaben an, dass ihnen der Umgang damit sehr schwer fällt, 21,5 Prozent finden es "eher schwer".

Die Studie zeigt zudem Wege auf, kulturelle Unterschiede verständlicher zu machen oder gar zu nutzen. Besonders wichtig seien dafür Alltagserfahrungen und Begegnungen, sagt Cornelia Schu, die Direktorin des SVR-Forschungsbereichs. "Das kann in Schulen, Büros oder bei Veranstaltungen sein. Es liegt ein Stück weit auch an uns allen, wie gut der Integrationsprozess gelingt."

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Quelle:
SZ vom 20.09.2019
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