Studentinnen über Umsturz in Ukraine:"Wie ein Loch ins Herz gebrannt"

Für junge, gut ausgebildete Ukrainer ist Europa eine Utopie, die sich mit der Realität in ihrem Land nicht verträgt. Ein Besuch auf dem Campus der Kiewer Mohyla-Akademie.

Von Hannah Beitzer

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Larysa Chovnyuk

Quelle: SZ

Für junge, gut ausgebildete Ukrainer ist Europa eine Utopie, die sich mit der Realität in ihrem Land nicht verträgt. Ein Besuch auf dem Campus der renommierten, prowestlichen Mohyla-Akademie in Kiew.

Larysa Chovnyuk, 39 Jahre, leitet das International Office an der Kiewer Mohyla-Akademie

Ich bin ja ein bisschen älter als meine Studentinnen und Studenten. Als ich jung war haben meine Eltern mir immer gesagt: Halte dich fern vom Staat und seinen Repräsentanten. Dieses Verständnis hat noch sehr viel länger überlebt als die Sowjetunion. Dass du schaust, dass du selber durchkommst, überlebst, aber dich von der Politik fernhältst. Ich merke das bis heute. Neulich war die Fußgängerampel vor meinem Büro kaputt. Anstatt einfach selbst bei der Stadt anzurufen, habe ich erst einmal der Uni-Leitung Bescheid gesagt. Erst als dann einige Wochen nichts passiert ist, habe ich gedacht: Hey, es ist doch irgendwie auch deine Ampel, da musst du vielleicht selbst was tun! Dann habe ich im Internet die Nummer der zuständigen Behörde rausgesucht. Das hat nur drei Minuten gedauert und nochmal drei Minuten, dort anzurufen. Aber ich habe mehrere Wochen gebraucht, um auf die Idee zu kommen, selbst aktiv zu werden. Ich glaube, dass sich das Verhältnis von Bürgern zum Staat in der Ukraine langsam ändert. Viele Ukrainer verstehen inzwischen, dass die Zivilgesellschaft nicht nur irgendwelche NGOs sind, sondern sie selbst.

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Studentinnen über Umsturz in Ukraine:Julia Korotniuk, 20 Jahre, studiert Politikwissenschaften

Julia Korotniuk

Quelle: SZ

Als wir Anfang November auf dem Maidan demonstriert haben, war es ein Protest für das EU-Assoziierungsabkommen. Wir wollten einfach nur unser Missfallen ausdrücken und ich dachte noch lange, dass der Präsident uns nichts tun wird. Als dann die Polizei versucht hat, uns zu vertreiben, hat sich alles verändert. Am schlimmsten aber war die Nacht auf den 20. Februar, als so viele Demonstranten gestorben sind. Überall war Blut. Ich sah einen Jungen, 18 Jahre oder so. Er war tot. Früher habe ich immer im Postamt am Maidan meine Briefmarken gekauft, jetzt kann ich da nicht mehr hin. Diese Nacht hat sich wie ein Loch in mein Herz gebrannt. Ich kann es immer noch nicht fassen, was auf dem Maidan passiert ist, es ist einfach zu furchtbar. Aber das Gute ist: Wir sind nun bereit, alles für unser Land zu geben, notfalls auch dafür zu sterben.

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Studentinnen über Umsturz in Ukraine:Olena Gordiienko, 23 Jahre, studiert Wirtschaftspolitik

Olena Gordiienko

Quelle: SZ

Der Euromaidan war ein Punkt, von dem aus es nicht mehr zurückgeht. Ich glaube, dass das der Anfang für tiefere Veränderungen ist. Die Basis dafür wurde allerdings schon früher gelegt. Wir haben eine neue Generation Ukrainer, die ins Ausland geht, zurückkommt und neue Vorstellungen im Kopf hat. Sicher, schon früher gab es NGOs, in denen sich Leute engagiert haben. Aber inzwischen sind viel mehr Menschen bereit, etwas zu tun. Die Leute verstehen jetzt, dass sie die Regierung kontrollieren müssen, dass der Staat transparent sein muss. Auf dem Maidan hatten wir eine kleine Republik, die so funktioniert hat, wie wir uns unser ganzes Land wünschen: demokratisch, transparent, hilfsbereit, friedlich.

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Studentinnen über Umsturz in Ukraine:Alina Poliakova, 22 Jahre, studiert Soziologie

Alina Poliakova

Quelle: SZ

Während der Proteste habe ich gerade ein Praktikum im Parlament gemacht. Mich hat sehr schockiert, dass die Abgeordneten in der Kommission, für die ich gearbeitet habe, überhaupt nicht über die Ereignisse geredet haben. Dabei ging es sie doch direkt an! Aber da kam nichts! Inzwischen ist das anders, die Politiker haben verstanden, dass sie nicht nur Repräsentanten ihrer Fraktion, sondern für das Land verantwortlich sind. Unsere Politiker sollten für die Freiheit einstehen, Reformen für die Menschen anstoßen.

© Süddeutsche.de/sebi
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