Stromverteilung:Schalt doch einfach mal ab

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"Erhebliche Unsicherheiten": Die Autoindustrie lehnt Vorschläge der Bundesnetzagentur ab, bei Bedarf den Stromverbrauch stundenweise zu drosseln. (Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)

15 Millionen Elektroautos bis 2030, 500 000 neue Wärmepumpen jedes Jahr. Wie sollen das die örtlichen Stromnetze in Deutschland aushalten?

Von Michael Bauchmüller und Christina Kunkel

Deutschlands Verbraucherschützer und die Autoindustrie lagen schon oft über Kreuz, aber diesmal kämpfen sie gemeinsam. "Erhebliche Unsicherheiten" drohten, "nicht zumutbar" sei das Ganze. Die Pläne der Bundesnetzagentur lehne man "strikt ab". Der Ton ist scharf geworden - denn es geht um die Verteilung von Strom im deutschen Netz. Genauer: um die Frage, ob die Besitzer von Elektroautos, Stromspeichern oder Wärmepumpen in Zukunft jederzeit genügend Strom bekommen. Oder ob es auch mal Stunden geben kann, in denen ihr Stromfluss gedrosselt wird.

Dahinter stehen mögliche Engpässe in den regionalen Verteilnetzen. Bis 2030 will die Bundesregierung 15 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen sehen, 500 000 Wärmepumpen sollen künftig jedes Jahr angeschlossen werden. Wenn die alle Strom beziehen, kann es schon mal eng werden - jede Stromleitung hat schließlich nur begrenzte Kapazität. "Das ist der gleiche Effekt, wie wenn man zu Hause gleichzeitig Waschmaschine, Trockner und Fön benutzt", heißt es bei der Bonner Netzbehörde. Auch das könne das Stromnetz daheim überlasten. Nur wolle man es in den örtlichen Leitungen erst gar nicht dazu kommen lassen.

Die Netzagentur hat dafür weitreichende Kompetenzen, und sie will davon Gebrauch machen. Schon im November veröffentlichte sie ein Eckpunktepapier, das die Debatte eröffnen sollte. Das ist gründlich gelungen. "Die Elektrifizierung des Wärme- sowie des Verkehrssektors ist ein ganz wesentlicher Pfeiler der Energiewende", heißt es darin. "Unerlässlich" sei deshalb der rasche Ausbau der örtlichen Verteilernetze. "Gleichzeitig soll es nicht vermehrt zu Stromausfällen wegen Überlastungen örtlicher Leitungen kommen."

Der Vorschlag der Behörde: Wenn sich so eine Überlastung abzeichnet, sollen Wärmepumpen und Wallboxen in ihrem Strombezug gedrosselt werden, auf höchstens 3,7 Kilowatt Leistung. Gängige Wallboxen laden mit elf kW. Selbst mit der reduzierten Leistung lasse sich ein leeres Elektroauto in drei Stunden so laden, dass es 50 Kilometer weit komme, heißt es bei der Bonner Behörde. Im Übrigen sei es im Interesse aller Verbraucherinnen und Verbraucher, dass das Netz stabil sei. Und wenn es einmal ertüchtigt sei, erledige sich das Problem ohnehin.

Doch der Graben zwischen denen, die das Netz nutzen wollen, und denen, die es betreiben, ist tief. Hildegard Müller etwa, die Chefin des Automobilverbands VDA, war auch einmal Chefin des Stromverbands BDEW, später saß sie im Vorstand der einstigen RWE-Tochter Innogy. "Ich kenne die Strukturen in der Stromwirtschaft sehr gut", sagt sie. "Wir müssen alles tun, damit der Netzausbau und die Digitalisierung der Netze schneller vorangeht." Wenn aber die neuen Regeln tatsächlich kämen, könne das "die Akzeptanz für die E-Mobilität stark beeinträchtigen", fürchtet Müller. Auch wenn noch gar nicht klar ist, ob und wie oft in einem Haushalt die Ladeleistung gedimmt wird - allein die theoretische Möglichkeit dazu reiche laut Müller aus, dass sich Menschen überlegen, ob sie sich ein Elektroauto anschaffen: "Das verunsichert die Menschen in erheblichem Maße."

Was Müller besonders ärgert: "Es ist unnötig." Man könne das anders lösen, etwa über zeitvariable Netzentgelte. Das bedeutet, der Strom wird dann teurer, wenn Lastspitzen zu erwarten sind, zum Beispiel am Abend. Wer tagsüber oder erst später in der Nacht sein E-Auto lädt, zahlt dagegen weniger. Die Betreiber der Stromnetze dagegen sehen in dem Vorschlag aus Bonn die beste Möglichkeit, Netze schnell zu stabilisieren. Entscheidend sei "die Praktikabilität der Neuregelung", sagt der Stromverband BDEW.

Netzbetreiber werfen der Autoindustrie Angstmacherei vor

Ohnehin finden die Netzbetreiber die ganze Aufregung übertrieben. Christoph Müller, Chef von Netze BW, dem größten Netze-Betreiber in Baden-Württemberg, spricht von "Fantasieszenarien", die ihm Regierungsvertreter in Diskussionsrunden vorhielten. Etwa, dass ein E-Auto-Besitzer es mit fast leerem Akku gerade noch nach Hause schafft, aber dann nicht mehr laden kann und auch keinen Strom mehr für warmes Essen habe. Alles Angstmacherei, findet Müller. So einen Fall würde es auch mit der neuen Regelung nicht geben, da der Strom damit nie komplett abgeschaltet werden soll und von einer möglichen Drosselung nur Wallboxen oder Wärmepumpen betroffen wären.

Dabei sehen auch die Netzbetreiber die Herausforderung, die Millionen E-Autos und Wärmepumpen mit sich bringen. Denn diese brauchen nun mal deutlich mehr Stromleistung als Wasserkocher oder Föns, vor allem, wenn viele davon gleichzeitig an der Steckdose hängen. Die vorgeschlagene Lösung der Bundesnetzagentur hält der Netze-BW-Chef für "einfach und pragmatisch". Denn wenn der Strom irgendwo gedrosselt werden muss, ist damit gleichzeitig der Auftrag verbunden, das betroffene Ortsnetz, also die letzte Meile in der Stromversorgung, auszubauen. Aber Christoph Müller gibt auch zu: "Das kostet Zeit und Geld."

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