AKW-Stresstest:Schlechte Noten für Europas Meiler

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Nach den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima sollte alles besser und sicherer werden. Ein Stresstest der Atomkraftwerke in der EU ergibt: Zahlreiche Meiler weisen schwere Mängel auf - auch in Deutschland.

Cerstin Gammelin, Brüssel, und Marlene Weiss

Der Befund steht fest, aber der Bote zögert, die Nachricht zu überbringen - denn sie ist ausgesprochen heikel: Europas Atomkraftwerke weisen schwere Mängel auf. Die Sicherheitsstandards der 134 in der Europäischen Union betriebenen Reaktoren differieren erheblich. Zahlreiche Betreiber haben die nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 vereinbarten Sicherheitsmaßnahmen erst gar nicht umgesetzt. Auch ein Teil der deutschen Atomkraftwerke erhält schlechte Noten.

Das alles steht in einem Entwurf des Abschlussberichtes über Stresstests von europäischen Atomkraftwerken (neben der EU haben daran auch die Schweiz und die Ukraine teilgenommen), welcher der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Der zuständige Energiekommissar Günther Oettinger will ihn am Mittwoch in Brüssel seinen Kollegen der Kommission vorstellen. Danach soll er allerdings weiter unter Verschluss belieben. Bevor die Öffentlichkeit offiziell von den Mängeln erfahren darf, sollen die europäischen Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel am 18. und 19. Oktober in Brüssel darüber informiert werden.

Das dürfte für Ärger sorgen. Denn die Europäische Kommission rechnet damit, dass die Länder in den kommenden Jahren 30 bis 200 Millionen Euro in jeden bestehenden Reaktor investieren müssen, um dort Sicherheitsmängel auszubessern - insgesamt zehn bis 25 Milliarden Euro. Das Geld dürfte keine Regierung leicht auftreiben können - wo doch jeder Cent in die Bewältigung der Euro-Krise fließt. "Bleibt es bei diesem Nachbesserungsbedarf, stehen einige Länder vor großen Problemen", sagte ein hoher EU-Diplomat in Brüssel.

Frankreich führt die europaweite Mängelliste an; das Land betreibt die meisten Atomkraftwerke in Europa. Aber auch deutschen Meilern werden Mängel bescheinigt. So kritisiert die Kommission die installierten Erdbeben-Warnsysteme als unzureichend. Zudem seien die von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) geforderten Leitlinien bei schweren Unfällen unvollständig umgesetzt. Am Montag mühte sich Oettinger, die Mängel klein zu reden. Die allgemeine Sicherheitslage sei "zufriedenstellend", ließ Oettinger über seine Sprecherin ausrichten. Allerdings sei dies kein Grund, "nachlässig zu werden".

Versprochene Verbesserungen nicht umgesetzt

Die Stresstests waren von Anfang an umstritten, Umweltschützer hatten sie als unzureichend kritisiert. Ursprünglich wollte Oettinger auch terroristische Anschläge und Cyberangriffe einbeziehen, doch Frankreich und Großbritannien wehrten sich erfolgreich dagegen, so dass sich die Tests letztlich vor allem auf Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Erdbeben konzentrierten. Mit Terror- und Cybergefahren befasste sich eine eigene Arbeitsgruppe, deren im Mai veröffentlichten Ergebnisse sehr vage blieben und vor allem auf die Empfehlungen der IAEA verweisen - die allerdings selbst betont, keinerlei Kontrollfunktion zu haben.

Die Prüfberichte sollten zunächst von den nationalen Betreibern und Behörden erstellt und erst dann von Expertenteams aus dem Ausland und von der EU-Kommission überprüft werden. Aber sogar das ging manchem zu weit, und man einigte sich darauf, dass die Staaten ein Vetorecht bei der Zusammensetzung der Kontrollteams erhielten. Im Juni hätte der endgültige Bericht fertig sein sollen, aber Oettinger verlangte Nachbesserungen, weil nur 38 Atomkraftwerke überhaupt besucht worden waren; wegen Sicherheitsmängeln kritisierte Standorte wie das tschechische Temelin oder das französische Fessenheim hatte man nur auf dem Papier inspiziert. Erst im September wurden Besuche bei acht Atomkraftwerken nachgeholt.

Der Umweltschutzverband BUND forderte eine schnellere Energiewende: "Echte Sicherheit kann nur die Abschaltung eines Atomkraftwerks bringen", sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. Sylvia Kotting-Uhl, atompolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, sieht es ähnlich: "Man muss darüber reden, ob nicht noch mehr Reaktoren abgeschaltet werden." Wenn es bei den Ergebnissen bleibe, müsse man Konsequenzen ziehen. Noch immer seien die nach Fukushima versprochenen Verbesserungen der Sicherheit nicht umgesetzt.

© SZ vom 02.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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