Süddeutsche Zeitung

Streitpunkte:Fristen, Härten und zwei Klassen

Themen, bei denen die SPD in den Verhandlungen unbedingt Korrekturen durchsetzen will.

Von Henrike Roßbach, Kristiana Ludwig und Bernd Kastner

Der SPD-Parteitag hat die Parteiführung zu Korrekturen in den Koalitionsverhandlungen vor allem in drei Punkten aufgefordert: grundlos befristete Arbeitsverträge sollen abgeschafft, die "Zwei-Klassen-Medizin" überwunden und eine "weitergehende Härtefallregelung" beim Familiennachzug von Flüchtlingen eingeführt werden.

Befristete Arbeitsverträge

2016 hatten hierzulande 8,5 Prozent der Beschäftigten einen befristeten Vertrag. Damit lag Deutschland unter dem europäischen Durchschnitt von 11,3 Prozent. Das Statistische Bundesamt rechnet vor, dass 36,5 Prozent dieser Arbeitnehmer lieber unbefristet angestellt wären; die anderen steckten in einer Ausbildung, in der Probezeit oder wollten gar keine unbefristete Stelle. Umstritten zwischen Union und SPD sind nicht alle befristeten Verträge. Abschaffen wollen die Sozialdemokraten nur die "sachgrundlose Befristung". Nach Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das zur Bundesagentur für Arbeit gehört, waren das 2013 genau 48 Prozent aller Arbeitsverträge auf Zeit.

Ohne sachlichen Grund können Arbeitsverträge nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz für höchstens zwei Jahre befristet werden; und zwar nur dann, wenn das Unternehmen noch nie zuvor einen Arbeitsvertrag mit dem entsprechenden Arbeitnehmer geschlossen hatte. Kürzere Verträge können auch mehrmals verlängert werden, insgesamt aber höchsten dreimal, und auch dann dürfen die zwei Jahre in der Summe nicht überschritten werden.

Ausnahmen gibt es. In neu gegründeten Firmen sind vier Jahre Befristung zulässig; für ältere Arbeitnehmer, die vorher arbeitslos waren, bis zu fünf. Sonderregeln gelten zudem im öffentlichen Dienst und in der Wissenschaft, wo es besonders viele befristete Jobs gibt, von der wissenschaftlichen Mitarbeit über drittmittelfinanzierte Forschungsprojekte bis zu Doktorandenstellen. Es gilt das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das längere und wiederholte Befristungen erlaubt. Grundlage ist das Rotationsprinzip: Nachwuchsforscher sollen die Chance haben, eine Zeit lang im Hochschulbereich arbeiten zu können.

Krankenkassen

In den Sondierungen konnten die Sozialdemokraten keine Bürgerversicherung durchsetzen. Die große Koalition solle dennoch "das Ende der Zwei-Klassen-Medizin einleiten", jetzt eben durch eine "gerechtere Honorarordnung" für Ärzte, fordert die Partei. Bisher zahlen die gesetzlichen Kassen für die Untersuchung von Patienten weniger als Privatversicherungen. Das will die SPD ändern. Doch der Plan hat Tücken: Wenn Ärzte am Ende im Durchschnitt genauso viel verdienen sollen wie heute, müssten die Preise für Privatpatienten sinken und die für Kassenpatienten steigen. Das könnte für die Beitragszahler der Krankenkassen teuer werden - und für die privaten Versicherer ein Sparprogramm. Eine neue Ungerechtigkeit ließe sich abmildern, wenn man das ganze Krankenkassensystem ändern würde, zum Beispiel durch einen neuen Finanzausgleich oder einen Fonds. Doch im Konzept der SPD steht dazu wenig. Auch deshalb stößt sie an der Stelle auf massiven Widerstand der Union.

Ähnlich verhält es sich mit der Forderung der SPD-Delegierten, die gesetzlichen Kassen für Beamte zu öffnen. Zwar würde das vor allem alten und chronisch kranken Privatversicherten sehr helfen. Doch die Koalition müsste auch einen Weg finden, wie Beamte ihre angesparten Altersrückstellungen aus der Privatversicherung in die gesetzlichen Kassen einspeisen können. Sonst würden die Beamten die Gemeinschaft der Versicherten belasten, ohne je etwas beigetragen zu haben. Wie das funktionieren soll, ist sehr umstritten. Selbst die SPD räumt ein, dass dies "im Zweifelsfall vom Bundesverfassungsgericht entschieden werden" müsste.

Flüchtlinge

Eine Härtefallregelung für den Familiennachzug von Flüchtlingen, wie ihn die SPD anstrebt, wäre keine neue Erfindung. Es gibt sie längst, verankert in Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes: "Aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen" könne eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Allein, in der Praxis erweist sich dieses Schlupfloch als sehr eng: Von Januar bis Anfang Dezember 2017 wurden so gerade mal 66 Visa vergeben. Das Sondierungspapier sieht vor, dass von August an 1000 Angehörige pro Monat zu subsidiär Geschützten nachziehen dürfen.

Lange interpretierte das Auswärtige Amt die Regelung so, dass der Härtefall bei dem Angehörigen im Ausland vorliegen müsse: Eine "besonders gelagerte Notsituation" müsse zu erkennen sein, "die sich von den Lebensumständen im Aufenthaltsland deutlich abhebt", etwa "eine dringende Gefahr für Leib und Leben". Diese restriktive Haltung korrigierte Ende 2017 das Verwaltungsgericht Berlin mit einem wegweisenden Urteil. Es sprach einem jugendlichen Syrer das Recht zu, seine Eltern und Geschwister nachkommen zu lassen. Das Gericht berief sich auf die völkerrechtliche Komponente in Paragraf 22: Die UN-Kinderrechtskonvention gebiete es, auch die Situation des in Deutschland lebenden Flüchtlings zu beachten. Jenseits der juristischen Auslegung gibt es weitere Hürden für die Angehörigen subsidiär Geschützter, meist sind es Syrer. Die Wartezeiten in den deutschen Botschaften für einen Termin, nur um den Visumantrag zu stellen, sind mitunter sehr lang, in Beirut etwa zwölf Monate. Dort stehen gut 40 000 Menschen auf der Warteliste.

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SZ vom 23.01.2018
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