Düsseldorf (dpa/lnw) - Angesichts des umfassenden Verteidigungsplans infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sucht die Bundeswehr in Nordrhein-Westfalen noch viele Reservisten für den Heimatschutz. Bisher seien rund 500 Reservisten beordert worden, sagte Brigadegeneral Hans-Dieter Müller, Kommandeur des Landeskommandos Nordrhein-Westfalen, in Düsseldorf. Zudem hätten sich bereits mehr als 1.400 ehemalige Wehrdienstleistende und 546 Ungediente beworben.
Das Heimatschutzregiment war Ende Oktober 2023 feierlich als drittes von deutschlandweit sechs geplanten Regimentern in den Dienst gestellt worden.
Gebraucht würden bei einer Zielgröße von 1.000 Menschen für das Heimatschutzregiment in NRW bis zu 4.000 Reservisten, da jede Dienststelle mehrfach besetzt werden könne, sagte Müller. Besonders ermutigend seien die Anträge von Ungedienten, die angesichts der Krisenlage etwas für ihr Land tun wollten. Für Ungediente gibt es eine Grundlagenausbildung mit zwei je zweiwöchigen Lehrgängen. Danach folgen weitere Wehrübungen und Ausbildungen.
Fachkräfte werden gebraucht
Zwar gibt es im Heimatschutz auch Infanterieeinheiten, aber gebraucht werden nach Angaben Müllers vor allem Fachkräfte wie Mechaniker oder Mechatroniker sowie auch Küchenkräfte. Dieses Personal sei auch schon im zivilen Segment schwer umkämpft.
„An Kämpfern mangelt es nicht, und bei Kämpfern gucken wir natürlich auch aufs Lebensalter“, sagte der Brigadegeneral. Beim Heimatschutzregiment sei die Altersgrenze für den Einsatz in der Infanterie beim Jahrgang 1969 gezogen worden. „Grundsätzlich können wir aber alle bis 65 gebrauchen. 18 bis 65 ist die Botschaft“, so Müller. „Und deswegen nehmen wir jeden, der geeignet ist.“
Dass die Dienststellen mehrfach besetzt würden, liege auch daran, dass die Beorderung von Reservisten auf dem Freiwilligkeitsprinzip beruhe und auf Arbeitgeber angewiesen sei, die bereit seien, Reservisten freizugeben. Außerdem dauere die Beorderung manchmal auch Monate, weil niemand ohne Sicherheitsüberprüfung in die Streitkräfte komme. „Da gibt es eine Nulltoleranzlinie in der Streitkraft.“
Sicherung der Infrastruktur im Ernstfall
Zu den Kernaufgaben des Heimatschutzes gehörten die Sicherung von verteidigungswichtiger Infrastruktur wie Häfen oder Bahnhöfen und die Unterstützung alliierter Kräfte bei Transporten durch Deutschland. Reservisten des Heimatschutzes können auch in Not- und Katastrophenlagen eingesetzt werden. So waren Reservisten als Helfer während der Hochwassers 2021 im Einsatz. Soldaten koordinierten auch den Corona-Einsatz in Gesundheitsämtern.
„Wir sind in der Krisenvorsorge jetzt gefragt, unser Land auch wehrhaft zu gestalten und eine Abschreckung aufzubauen, ohne die alles nichts ist“, sagte Müller. Der zivil-militärischen Zusammenarbeit in den Reservestrukturen wie den Bezirks- und Kreisverbindungskommandos komme dabei eine besondere Bedeutung zu.
Bundeswehr zeigt Präsenz
Die Bundeswehr werde auch am Wochenende beim NRW-Tag in Köln mit einem Beratungsmobil und „viel Großgerät“ präsent sein, um in der Bevölkerung wahrgenommen zu werden. Müller berichtete, er habe in NRW auch schon viele Offiziere und Feldwebel angeschrieben und gefragt, ob sie sich nicht in ihrer Heimatgemeinde engagieren wollten.
Er spüre fast jeden Tag, dass die Türen für die Bundeswehr in der Gesellschaft und auch in politischen Parteien „sehr weit offen“ seien. Das habe wesentlich auch damit zu tun, dass jeden Tag über die Kriegslage in der Ukraine berichtet werde und die Bevölkerung sich natürlich Sorgen mache.
Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine Anfang 2022 sei ein Krieg gedanklich noch in weiter Ferne gewesen. „Wer sich mit Russland auseinandergesetzt hat, weiß, das war zum Teil sehr blauäugig.“ Schon 2014 sei mit der völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim klar gewesen, welchen Weg Russland gehen wolle.
NRW als Transitland für Nato-Truppen
„Wir müssen durch Rückbesinnung auf Landes- und Bündnisverteidigung die Weichen neu stellen“, sagte Müller. NRW werde mit seiner geografischen Lage eine Drehscheibe für die Nato werden, wenn es darum gehe, Kräfte an die Ostflanke zu bringen oder im schlimmsten Fall Verwundete oder Flüchtlinge zu transportieren.
Hintergrund des Aufrufs des Landeskommandos ist auch der neue Operationsplan für eine gesamtstaatliche Verteidigung. Die Bundeswehr hat damit erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges wieder einen umfassenden Verteidigungsplan aufgestellt, der laufend aktualisiert werden soll. Mit dem in den Details geheimen Dokument werden die Planungen für den Schutz der Bevölkerung und die Verteidigung der Infrastruktur sowie den Schutz eines Truppenaufmarsches der Nato neu aufgestellt.
Auch die teils marode Infrastruktur in NRW, besonders Brücken und Autobahnen, fließen nach Angaben Müllers in den Operationsplan ein. Er habe sich mit NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) getroffen. „Am Ende ist es dann mit Blick auf die konkret betroffenen Straßen auch eine Frage der Erkundung“, sagte Müller. „Wir arbeiten gerade mit Hochdruck daran, dass wir da ein aktuelles Lagebild haben.“
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