Die US-Regierung hat zentrale Angaben zum Ablauf der Kommandoaktion zur Tötung von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden revidiert. Dieser sei bei seiner Tötung durch US-Elitesoldaten nicht bewaffnet gewesen, teilte Jay Carney, der Sprecher des Weißen Hauses mit. Bin Laden habe sich aber auf andere Weise gewehrt. "Widerstand zu leisten erfordert keine Feuerwaffe", so Carney wörtlich. Außerdem seien andere Terroristen im Gebäude bewaffnet gewesen.
Ein US-Sonderkommando hatte den Gründer und Chef des Terrornetzwerks al-Qaida in der Nacht zum Montag erschossen. Zunächst hatten ranghohe Vertreter der US-Regierung den Eindruck erweckt, Bin Laden habe sich bei der Kommandoaktion in der Stadt Abbottabad gewehrt und auch selbst geschossen.
"Bedrohliche Bewegungen"
CIA-Chef Leon Panetta sagte, das Seal-Team sei angehalten gewesen, Bin Laden gefangen zu nehmen, wenn er "seine Hände hoch genommen, sich ergeben und keine Art von Bedrohung dargestellt" hätte. Aber es habe einige "bedrohliche Bewegungen" gegeben "und das ist der Grund, warum sie feuerten", so Panetta weiter. "Ich glaube nicht, dass er (Bin Laden) eine Menge Zeit hatte, etwas zu sagen", fügte der Direktor des US-Geheimdienstes hinzu.
Panetta hatte in mehreren Interviews betont, die USA hätten keine Fotos oder andere Beweise gehabt, dass Bin Laden auf dem Anwesen bei Islamabad lebte, in dem er dann erschossen wurde. CIA-Analytiker seien nur zu 60 bis 80 Prozent sicher gewesen, dass der Terroristenchef dort vorgefunden würde. "Die Realität ist, dass wir dort hätten reingehen können, ohne Bin Laden zu finden."
Auch der Sprecher des Weißen Hauses bekräftigte, dass das Ziel des Einsatzes die Festnahme und nicht die Tötung des Top-Terroristen gewesen sei. Wegen des "großen Widerstandes" sei der Al-Qaida-Chef aber erschossen worden, sagte Carney. Die US-Spezialkräfte hätten bei dem Einsatz mit "allergrößter Professionalität" gehandelt.
Nach Carneys Worten wurde Bin Laden in einem Raum im oberen Stockwerk des Anwesens getötet. Im ersten Stockwerk habe das Kommando zwei bereits zuvor als Kuriere des Terroristenchefs identifizierte Männer erschossen, eine Frau sei im Kreuzfeuer getroffen und ebenfalls getötet worden. Während der gesamten Aktion habe es intensive Feuergefechte gegeben, so Carney. Er sprach von einer "sehr explosiven Situation".
Das Weiße Haus korrigierte auch seine Darstellung bei der angeblichen Tötung einer Ehefrau Bin Ladens. Anders als zunächst mitgeteilt sei die Frau lediglich mit einem Schuss ins Bein verletzt worden, sagte Carney. Die Frau habe sich im gleichen Zimmer befunden wie Bin Laden und sei auf die US-Soldaten zugestürmt. Damit rückte die US-Regierung auch von der Version von Obamas Anti-Terror-Berater John Brennan ab, wonach die Ehefrau getötet worden sei, weil Bin Laden sie als menschliches Schutzschild missbraucht habe.
USA erwägen Veröffentlichung eines Fotos des toten Bin Laden
Das Weiße Haus erwägt weiterhin die Veröffentlichung eines Fotos des toten Osama bin Laden. Sprecher Jay Carney sagte, derzeit werde geprüft, ob es nötig sei, die Fotos freizugeben. Skeptiker innerhalb der US-Regierung argumentieren allerdings, dass die Aufnahmen "zu grausig" seien. Bin Laden soll zwei Mal in den Kopf getroffen worden sein, einmal direkt über dem linken Auge. Wie es in Medienberichten hieß, "explodierte sein Kopf". Befürworter meinen, die Veröffentlichung sei nötig, um Zweifel am Tod des Al-Qaida-Chefs auszuräumen.
Anti-Terror-Berater John Brennan sagte im Fernsehen, die Regierung prüfe auch die Freigabe "zusätzlicher Informationen". Dazu zählten Details über die Erstürmung des Anwesens in Pakistan und möglicherweise Fotos. "Wir wollen genau wissen, welches die möglichen Reaktionen auf die Veröffentlichung solcher Informationen sein könnten", erläuterte der Top-Berater von Präsident Barack Obama. Laut ABC könnten zu dem Material auch Aufnahmen von Helmkameras der Spezialkräfte während der Erstürmung des Bin-Laden-Anwesens zählen.
Pakistan gerät immer stärker unter Druck
Pakistan gerät unterdessen wegen des Aufenthaltsorts des Terroristenführers zunehmend in Erklärungsnot. Das Haus in Abbottabad, in dem der Al-Qaida-Chef lebte, lag nur 1,6 Kilometer von der pakistanischen Militärakademie entfernt. Es sei "unvorstellbar", dass sich Bin Laden ohne Hilfe längere Zeit dort habe verstecken können, sagte der Anti-Terror-Berater von US-Präsident Barack Obama, John Brennan.
Eigentlich ist Pakistan ein Verbündeter der USA im Kampf gegen den Terror: Wie wenig die pakistanische Regierung jedoch wusste von der Geheimaktion des US-Militärs, wie überrascht sie war von der Tötung Bin Ladens, spiegelt das große Misstrauen der Amerikaner in den Verbündeten wider.
Die Kommandoaktion zur Tötung des Al-Qaida-Chefs haben die USA bewusst vor Pakistan geheimgehalten, aus Angst vor Verrat. Die pakistanischen Behörden seien nicht informiert worden, weil sie Bin Laden hätten "vorwarnen" können, bestätigte CIA-Chef Leon Panetta dem US-Magazin Time. Washington habe entschieden, dass "jede Bemühung zur Zusammenarbeit mit den Pakistanern die Mission aufs Spiel gesetzt hätte".
Die USA untersuchen demnach, ob der Al-Qaida-Chef über ein Unterstützersystem in Pakistan verfügt habe. Auch über eine Kürzung amerikanischer Hilfszahlungen an Pakistan wird im US-Kongress nachgedacht, falls sich herausstellen sollte, dass die Regierung in Islamabad das Versteck von Osama bin Laden kannte.
Pakistans Präsident Asif Ali Zardari bestreitet, dass die pakistanischen Sicherheitskräfte Bin Laden Unterschlupf gewährt hätten. Der Staatschef räumte, dass der Zugriff nicht gemeinsam mit den US-Truppen durchgeführt wurde. Islamabad sei erst informiert worden, als Bin Laden tot und das US-Kommando wieder in Afghanistan gelandet war.
Das Außenministerium in Islamabad äußerte sich "zutiefst besorgt" über die Art und Weise des Einsatzes: "Solche Aktionen untergraben die Zusammenarbeit und können eine Gefahr für den internationalen Frieden und Sicherheit sein." Die Regierung sprach von einem "unautorisierten" Einsatz, der nicht als Präzedenzfall für zukünftige Missionen der amerikanischen Streitkräfte auf pakistanischem Gebiet dienen dürfe. Ein Vertreter des pakistanischen Geheimdienstes ISI bezeichnete es allerdings als "blamabel", dass es nicht gelungen sei, Bin Laden in dem Anwesen aufzuspüren. "Hätten wir gewusst, dass er da ist, hätten wir ihn gefangen genommen und den Amerikanern übergeben", sagte der Vertreter, der anonym bleiben wollte.